nach Faschwitz noch immer nicht verschmerzen kann? Noch neulich sagte Professor Lichtscheu, den ich in einer Gesellschaft beim Kanonikus Schwarz traf: es sei unverantwortlich, daß ein gewisser Gelehrter, den ich nicht nennen will, den reichen Schatz seines Wissens in der Einsamkeit eines Dorfes, dessen Namen mir entfallen ist, vergraben solle; worauf ich ihm erwiederte: es sei nicht minder unverantwortlich, daß die Dichterin der "Kornblumen" noch immer unter Kornblumen wandle.
So ging es mit unendlicher Zungenfertigkeit fort, dabei war Alles, was Timm sprach, so augenscheinlich ohne jegliche Absicht, witzig und geistreich sein zu wollen, -- trotzdem es manchmal geistreich und witzig genug war -- gesagt, daß man ihm zuhören konnte wie einem lustigen und in seiner Lustigkeit freilich et¬ was überlauten Kanarienvogel, dem die Morgensonne in das Bauer scheint und der dabei auf den Einfall kommt, sich einmal ordentlich auszusingen. Nur kam es Oswald manchmal vor, als ob Herr Timm's Hu¬ mor durchaus nicht so natürlich sei, als es den An¬ schein hatte; als ob Herr Timm nur eine wohl ein¬ studirte und fein berechnete Rolle, allerdings mit voll¬ endeter Naturwahrheit, spiele, und als ob der gut¬ müthige Bonvivant und anspruchlose Naturbursche bei Licht besehen die ganze Gesellschaft, die er mit dem
nach Faſchwitz noch immer nicht verſchmerzen kann? Noch neulich ſagte Profeſſor Lichtſcheu, den ich in einer Geſellſchaft beim Kanonikus Schwarz traf: es ſei unverantwortlich, daß ein gewiſſer Gelehrter, den ich nicht nennen will, den reichen Schatz ſeines Wiſſens in der Einſamkeit eines Dorfes, deſſen Namen mir entfallen iſt, vergraben ſolle; worauf ich ihm erwiederte: es ſei nicht minder unverantwortlich, daß die Dichterin der „Kornblumen“ noch immer unter Kornblumen wandle.
So ging es mit unendlicher Zungenfertigkeit fort, dabei war Alles, was Timm ſprach, ſo augenſcheinlich ohne jegliche Abſicht, witzig und geiſtreich ſein zu wollen, — trotzdem es manchmal geiſtreich und witzig genug war — geſagt, daß man ihm zuhören konnte wie einem luſtigen und in ſeiner Luſtigkeit freilich et¬ was überlauten Kanarienvogel, dem die Morgenſonne in das Bauer ſcheint und der dabei auf den Einfall kommt, ſich einmal ordentlich auszuſingen. Nur kam es Oswald manchmal vor, als ob Herr Timm's Hu¬ mor durchaus nicht ſo natürlich ſei, als es den An¬ ſchein hatte; als ob Herr Timm nur eine wohl ein¬ ſtudirte und fein berechnete Rolle, allerdings mit voll¬ endeter Naturwahrheit, ſpiele, und als ob der gut¬ müthige Bonvivant und anſpruchloſe Naturburſche bei Licht beſehen die ganze Geſellſchaft, die er mit dem
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nach Faſchwitz noch immer nicht verſchmerzen kann?
Noch neulich ſagte Profeſſor Lichtſcheu, den ich in
einer Geſellſchaft beim Kanonikus Schwarz traf: es
ſei unverantwortlich, daß ein gewiſſer Gelehrter, den
ich nicht nennen will, den reichen Schatz ſeines Wiſſens
in der Einſamkeit eines Dorfes, deſſen Namen mir
entfallen iſt, vergraben ſolle; worauf ich ihm erwiederte:
es ſei nicht minder unverantwortlich, daß die Dichterin
der „Kornblumen“ noch immer unter Kornblumen wandle.
So ging es mit unendlicher Zungenfertigkeit fort,
dabei war Alles, was Timm ſprach, ſo augenſcheinlich
ohne jegliche Abſicht, witzig und geiſtreich ſein zu
wollen, — trotzdem es manchmal geiſtreich und witzig
genug war — geſagt, daß man ihm zuhören konnte
wie einem luſtigen und in ſeiner Luſtigkeit freilich et¬
was überlauten Kanarienvogel, dem die Morgenſonne
in das Bauer ſcheint und der dabei auf den Einfall
kommt, ſich einmal ordentlich auszuſingen. Nur kam
es Oswald manchmal vor, als ob Herr Timm's Hu¬
mor durchaus nicht ſo natürlich ſei, als es den An¬
ſchein hatte; als ob Herr Timm nur eine wohl ein¬
ſtudirte und fein berechnete Rolle, allerdings mit voll¬
endeter Naturwahrheit, ſpiele, und als ob der gut¬
müthige Bonvivant und anſpruchloſe Naturburſche bei
Licht beſehen die ganze Geſellſchaft, die er mit dem
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/175>, abgerufen am 16.02.2025.
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