Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.So sprach Herr Timm, zog mit dem Fuße noch Der Schein der Lampe fiel ihm dabei voll ins So ſprach Herr Timm, zog mit dem Fuße noch Der Schein der Lampe fiel ihm dabei voll ins <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0194" n="184"/> <p>So ſprach Herr Timm, zog mit dem Fuße noch<lb/> einen Rohrſtuhl herbei, um ſeine Beine darauf zu<lb/> legen, und ſtreckte ſich behaglich, den Kopf etwas hinten¬<lb/> über gebogen, um dem Rauch ſeiner Cigarre bequemer<lb/> und länger nachſchauen zu können.</p><lb/> <p>Der Schein der Lampe fiel ihm dabei voll ins<lb/> Geſicht und Oswald bemerkte jetzt zum erſten Male,<lb/> daß Herrn Timm's Züge, beſonders im Profil ge¬<lb/> ſehen, wo die kecken, ſaubern Linien zur vollen<lb/> Geltung kamen, wirklich überraſchend hübſch und in¬<lb/> tereſſant waren. Dieſe Entdeckung war für Oswald<lb/> durchaus nicht gleichgültig. Er ging noch einen<lb/> Schritt weiter als Voltaire, und hielt dafür, daß<lb/> nicht nur von den Büchern, ſondern auch von den<lb/> Menſchen das <hi rendition="#aq">genre ennuyeux</hi> das ſchlimmſte ſei, und<lb/> bei einem überaus regen und durch Studien vielfach<lb/> gebildeten Formenſinn ließ er ſich von ſeiner leiden¬<lb/> ſchaftlichen Liebe für maleriſche und plaſtiſche Schön¬<lb/> heit in einer Weiſe beherrſchen, daß ſein Gefühl des<lb/> Wahren und Guten dabei Gefahr lief, nicht unterdrückt,<lb/> aber doch getrübt zu werden. So war es in dieſem<lb/> Falle. Herrn Timm's formloſes Weſen und nur<lb/> dünn verſchleierter derber Realismus hatten ihn im<lb/> Laufe des Abends ein paar mal recht empfindlich be¬<lb/> leidigt, und er war ſchon entſchloſſen geweſen, den<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [184/0194]
So ſprach Herr Timm, zog mit dem Fuße noch
einen Rohrſtuhl herbei, um ſeine Beine darauf zu
legen, und ſtreckte ſich behaglich, den Kopf etwas hinten¬
über gebogen, um dem Rauch ſeiner Cigarre bequemer
und länger nachſchauen zu können.
Der Schein der Lampe fiel ihm dabei voll ins
Geſicht und Oswald bemerkte jetzt zum erſten Male,
daß Herrn Timm's Züge, beſonders im Profil ge¬
ſehen, wo die kecken, ſaubern Linien zur vollen
Geltung kamen, wirklich überraſchend hübſch und in¬
tereſſant waren. Dieſe Entdeckung war für Oswald
durchaus nicht gleichgültig. Er ging noch einen
Schritt weiter als Voltaire, und hielt dafür, daß
nicht nur von den Büchern, ſondern auch von den
Menſchen das genre ennuyeux das ſchlimmſte ſei, und
bei einem überaus regen und durch Studien vielfach
gebildeten Formenſinn ließ er ſich von ſeiner leiden¬
ſchaftlichen Liebe für maleriſche und plaſtiſche Schön¬
heit in einer Weiſe beherrſchen, daß ſein Gefühl des
Wahren und Guten dabei Gefahr lief, nicht unterdrückt,
aber doch getrübt zu werden. So war es in dieſem
Falle. Herrn Timm's formloſes Weſen und nur
dünn verſchleierter derber Realismus hatten ihn im
Laufe des Abends ein paar mal recht empfindlich be¬
leidigt, und er war ſchon entſchloſſen geweſen, den
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