auf der höckrigen Erde, wo man von Hühneraugen¬ schmerzen und anderen irdischen Empfindungen, die euch lustigen Gesellen erspart sind, gar viel zu leiden hat. Ich habe mir schon manchmal gewünscht, ich hätte ein bestimmt ausgesprochenes Talent für diese oder jene Kunst: Poesie, Musik, Hühneraugenoperiren, Ma¬ lerei, Grimassenschneiden, Plastik, Gliederverrenken -- gleichviel, nur irgend einen Sparren, an dem man sich halten kann, wenn einem die Wellen des Lebens über dem Kopf zusammenschlagen. Ich erinnere mich einmal in einer Thierbude an einem Dachs gesehen zu haben, welcher Segen im Unglück ein solches Ta¬ lent ist. Die übrigen talentlosen Bestien liefen wie verrückt in ihren Käfigen umher, oder brüllten vor Wuth und Hunger, oder ergaben sich im besten Falle einer stummen Verzweiflung. Meister Dachs dagegen seinem angebornen künstlerischen Triebe folgend, arbeitete unverdrossen an einer imaginären Höhle in dem Boden seines Käfigs, kratzend, kratzend, immer kratzend, vom Morgen bis zum Abend. Er vergaß dabei augen¬ scheinlich Hunger und Kälte, vergaß, daß er gefangen war; in der Ausübung seines Talents, selbst unter so verzweifelt ungünstigen Verhältnissen, seine Seligkeit findend. Ich wollte, ich wäre so ein Dachs! -- Der Cognac ist wirklich superb, Sie sollten auch ein Glas
auf der höckrigen Erde, wo man von Hühneraugen¬ ſchmerzen und anderen irdiſchen Empfindungen, die euch luſtigen Geſellen erſpart ſind, gar viel zu leiden hat. Ich habe mir ſchon manchmal gewünſcht, ich hätte ein beſtimmt ausgeſprochenes Talent für dieſe oder jene Kunſt: Poeſie, Muſik, Hühneraugenoperiren, Ma¬ lerei, Grimaſſenſchneiden, Plaſtik, Gliederverrenken — gleichviel, nur irgend einen Sparren, an dem man ſich halten kann, wenn einem die Wellen des Lebens über dem Kopf zuſammenſchlagen. Ich erinnere mich einmal in einer Thierbude an einem Dachs geſehen zu haben, welcher Segen im Unglück ein ſolches Ta¬ lent iſt. Die übrigen talentloſen Beſtien liefen wie verrückt in ihren Käfigen umher, oder brüllten vor Wuth und Hunger, oder ergaben ſich im beſten Falle einer ſtummen Verzweiflung. Meiſter Dachs dagegen ſeinem angebornen künſtleriſchen Triebe folgend, arbeitete unverdroſſen an einer imaginären Höhle in dem Boden ſeines Käfigs, kratzend, kratzend, immer kratzend, vom Morgen bis zum Abend. Er vergaß dabei augen¬ ſcheinlich Hunger und Kälte, vergaß, daß er gefangen war; in der Ausübung ſeines Talents, ſelbſt unter ſo verzweifelt ungünſtigen Verhältniſſen, ſeine Seligkeit findend. Ich wollte, ich wäre ſo ein Dachs! — Der Cognac iſt wirklich ſuperb, Sie ſollten auch ein Glas
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auf der höckrigen Erde, wo man von Hühneraugen¬
ſchmerzen und anderen irdiſchen Empfindungen, die
euch luſtigen Geſellen erſpart ſind, gar viel zu leiden hat.
Ich habe mir ſchon manchmal gewünſcht, ich hätte
ein beſtimmt ausgeſprochenes Talent für dieſe oder
jene Kunſt: Poeſie, Muſik, Hühneraugenoperiren, Ma¬
lerei, Grimaſſenſchneiden, Plaſtik, Gliederverrenken —
gleichviel, nur irgend einen Sparren, an dem man
ſich halten kann, wenn einem die Wellen des Lebens
über dem Kopf zuſammenſchlagen. Ich erinnere mich
einmal in einer Thierbude an einem Dachs geſehen
zu haben, welcher Segen im Unglück ein ſolches Ta¬
lent iſt. Die übrigen talentloſen Beſtien liefen wie
verrückt in ihren Käfigen umher, oder brüllten vor
Wuth und Hunger, oder ergaben ſich im beſten Falle
einer ſtummen Verzweiflung. Meiſter Dachs dagegen
ſeinem angebornen künſtleriſchen Triebe folgend, arbeitete
unverdroſſen an einer imaginären Höhle in dem Boden
ſeines Käfigs, kratzend, kratzend, immer kratzend, vom
Morgen bis zum Abend. Er vergaß dabei augen¬
ſcheinlich Hunger und Kälte, vergaß, daß er gefangen
war; in der Ausübung ſeines Talents, ſelbſt unter ſo
verzweifelt ungünſtigen Verhältniſſen, ſeine Seligkeit
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Cognac iſt wirklich ſuperb, Sie ſollten auch ein Glas
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/202>, abgerufen am 22.11.2024.
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