Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.stets sich zurücksehnen nach der blauen Blume, die Nein und tausendmal nein! Er mußte sich los¬ "Ich glaube, Ihre Melancholie steckt an, Dottore," ſtets ſich zurückſehnen nach der blauen Blume, die Nein und tauſendmal nein! Er mußte ſich los¬ „Ich glaube, Ihre Melancholie ſteckt an, Dottore,“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0222" n="212"/> ſtets ſich zurückſehnen nach der blauen Blume, die<lb/> ihm hier nahe wie noch nie geblüht hatte, ſo nahe,<lb/> daß ihm der Duft bis in's Herz gedrungen war?<lb/> Was war aus den ſtolzen Ideen geworden, denen<lb/> nachzudenken ſonſt die Freude ſeines Lebens geweſen?<lb/> aus den kühnen Plänen, mit denen er ſich ſchon Jahre<lb/> lang getragen? war Alles nun dahin? und dahin um<lb/> eines Weibes willen, um der Liebe willen zu einer<lb/> Frau, die nie die ſeine werden konnte?</p><lb/> <p>Nein und tauſendmal nein! Er mußte ſich los¬<lb/> reißen aus dieſer ſinnverwirrenden Zauberwelt, und<lb/> ſollte es ihm das Herz zerreißen! ihm! was war an<lb/> ihm gelegen! er hatte ja kein ganzes Herz mehr zu<lb/> verlieren! aber ſie — was ſollte dann aus ihr werden?</p><lb/> <p>„Ich glaube, Ihre Melancholie ſteckt an, Dottore,“<lb/> ſagte Albert, als ſie eine Zeit lang ſchweigend neben¬<lb/> einander hergegangen waren; „wie kann ſich nur ein<lb/> ſo geiſtreicher Mann wie Sie von den Einflüſſen der<lb/> Witterung, oder was Ihnen ſonſt in den Gliedern<lb/> ſteckt, ſo gänzlich beherrſchen laſſen! Ihr melancho¬<lb/> liſchen Genies ſeid doch pudelnärriſche Menſchen. Im¬<lb/> mer heißt es bei euch: hie Welf! oder: hie Waiblingen.<lb/> Die <hi rendition="#aq">aurea mediocritas</hi> des Horaz iſt für euch um¬<lb/> ſonſt gepredigt. Ihr wollt nicht darauf hören, weil<lb/> euch der Stolz nicht erlaubt, jemals mittelmäßig zu<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [212/0222]
ſtets ſich zurückſehnen nach der blauen Blume, die
ihm hier nahe wie noch nie geblüht hatte, ſo nahe,
daß ihm der Duft bis in's Herz gedrungen war?
Was war aus den ſtolzen Ideen geworden, denen
nachzudenken ſonſt die Freude ſeines Lebens geweſen?
aus den kühnen Plänen, mit denen er ſich ſchon Jahre
lang getragen? war Alles nun dahin? und dahin um
eines Weibes willen, um der Liebe willen zu einer
Frau, die nie die ſeine werden konnte?
Nein und tauſendmal nein! Er mußte ſich los¬
reißen aus dieſer ſinnverwirrenden Zauberwelt, und
ſollte es ihm das Herz zerreißen! ihm! was war an
ihm gelegen! er hatte ja kein ganzes Herz mehr zu
verlieren! aber ſie — was ſollte dann aus ihr werden?
„Ich glaube, Ihre Melancholie ſteckt an, Dottore,“
ſagte Albert, als ſie eine Zeit lang ſchweigend neben¬
einander hergegangen waren; „wie kann ſich nur ein
ſo geiſtreicher Mann wie Sie von den Einflüſſen der
Witterung, oder was Ihnen ſonſt in den Gliedern
ſteckt, ſo gänzlich beherrſchen laſſen! Ihr melancho¬
liſchen Genies ſeid doch pudelnärriſche Menſchen. Im¬
mer heißt es bei euch: hie Welf! oder: hie Waiblingen.
Die aurea mediocritas des Horaz iſt für euch um¬
ſonſt gepredigt. Ihr wollt nicht darauf hören, weil
euch der Stolz nicht erlaubt, jemals mittelmäßig zu
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