"Und wie alt war Baron Harald, als sein Vater starb?" fragte Oswald.
"Zehn Jahre," antwortete Mutter Clausen; "und ihm wäre besser gewesen, er wäre an dem Tage ge¬ storben, -- ihm und manchem Andern."
Die Alte hatte das Strickzeug, das in ihrem Schooß müßig gelegen hatte, wieder zur Hand genommen und strickte emsiger wie zuvor, als müsse sie die verlorne Zeit einholen.
"Ja, ja," sagte sie; es wäre besser gewesen. Da¬ mals war er ein bildhübscher, unschuldiger Junge mit Augen, blau wie Veilchen und rosenrothen Wan¬ gen; und als er starb --"
Die Alte schwieg -- die Nadeln klapperten und der Regen klatschte gegen die Scheiben.
"Nun, sagte Oswald, "und als er starb --"
"Da starb ein böser Mann, und es war ein böses, böses Sterben. Ich weiß es allein, denn ich war allein mit dem Unseligen, als der Tod ihn packte mit seiner eisernen Faust. Da rangen sie Beide, der starke Harald und der starke Tod, und gräßlich genug war es anzu¬ sehen, so gräßlich, daß die Andern davon liefen -- aber ich wollte ihn nicht verlassen in seiner letzten Noth, denn er war, böse wie er war, doch Oskar's Sohn und ich hatte ihn, als er ein unschuldig Kind war, auf
„Und wie alt war Baron Harald, als ſein Vater ſtarb?“ fragte Oswald.
„Zehn Jahre,“ antwortete Mutter Clauſen; „und ihm wäre beſſer geweſen, er wäre an dem Tage ge¬ ſtorben, — ihm und manchem Andern.“
Die Alte hatte das Strickzeug, das in ihrem Schooß müßig gelegen hatte, wieder zur Hand genommen und ſtrickte emſiger wie zuvor, als müſſe ſie die verlorne Zeit einholen.
„Ja, ja,“ ſagte ſie; es wäre beſſer geweſen. Da¬ mals war er ein bildhübſcher, unſchuldiger Junge mit Augen, blau wie Veilchen und roſenrothen Wan¬ gen; und als er ſtarb —“
Die Alte ſchwieg — die Nadeln klapperten und der Regen klatſchte gegen die Scheiben.
„Nun, ſagte Oswald, „und als er ſtarb —“
„Da ſtarb ein böſer Mann, und es war ein böſes, böſes Sterben. Ich weiß es allein, denn ich war allein mit dem Unſeligen, als der Tod ihn packte mit ſeiner eiſernen Fauſt. Da rangen ſie Beide, der ſtarke Harald und der ſtarke Tod, und gräßlich genug war es anzu¬ ſehen, ſo gräßlich, daß die Andern davon liefen — aber ich wollte ihn nicht verlaſſen in ſeiner letzten Noth, denn er war, böſe wie er war, doch Oskar's Sohn und ich hatte ihn, als er ein unſchuldig Kind war, auf
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„Und wie alt war Baron Harald, als ſein Vater
ſtarb?“ fragte Oswald.
„Zehn Jahre,“ antwortete Mutter Clauſen; „und
ihm wäre beſſer geweſen, er wäre an dem Tage ge¬
ſtorben, — ihm und manchem Andern.“
Die Alte hatte das Strickzeug, das in ihrem Schooß
müßig gelegen hatte, wieder zur Hand genommen und
ſtrickte emſiger wie zuvor, als müſſe ſie die verlorne
Zeit einholen.
„Ja, ja,“ ſagte ſie; es wäre beſſer geweſen. Da¬
mals war er ein bildhübſcher, unſchuldiger Junge
mit Augen, blau wie Veilchen und roſenrothen Wan¬
gen; und als er ſtarb —“
Die Alte ſchwieg — die Nadeln klapperten und
der Regen klatſchte gegen die Scheiben.
„Nun, ſagte Oswald, „und als er ſtarb —“
„Da ſtarb ein böſer Mann, und es war ein böſes,
böſes Sterben. Ich weiß es allein, denn ich war allein
mit dem Unſeligen, als der Tod ihn packte mit ſeiner
eiſernen Fauſt. Da rangen ſie Beide, der ſtarke Harald
und der ſtarke Tod, und gräßlich genug war es anzu¬
ſehen, ſo gräßlich, daß die Andern davon liefen — aber
ich wollte ihn nicht verlaſſen in ſeiner letzten Noth, denn
er war, böſe wie er war, doch Oskar's Sohn und
ich hatte ihn, als er ein unſchuldig Kind war, auf
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/233>, abgerufen am 17.02.2025.
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