meinen Sie?" sagte das arme Kind und wurde dunkel¬ roth. -- "Kommen Sie hierher, Fräulein Marie," sagte ich und zog sie in einen Buchengang, wo wir vom Schlosse aus nicht gesehen werden konnten, "ich will Ihnen Alles sagen, was ich auf dem Herzen habe. Ich bin eine alte Frau und Sie sind ein junges Ding, das viel weiß, wie's in der Welt aussieht und wie es hier in Grenwitz zugeht." Und nun schilderte ich ihr das Leben auf dem Schlosse, wie es bis zu ihrer Ankunft gewesen war, und welch' ein wilder, wüster Mensch Harald sei, und daß er falsch und grausam sei, wie ein Tiger. Sie hörte mir mit glü¬ henden Wangen und die langen dunkeln Wimpern nicht von den schönen blauen Augen aufschlagend, ohne mich nur einmal zu unterbrechen, ruhig zu, dann sagte sie leise: "Ich danke Ihnen, liebe Frau Clausen -- aber was Sie mir da sagen, das weiß ich Alles schon." -- Ich war wie vom Donner gerührt. "Sie wissen das," rief ich, "und haben der gnädigen Frau Tante hierher folgen können? Sie wissen das und sind noch hier? Sie wissen das und fürchten sich nicht, mit dem Baron stundenlang, halbe Tage lang allein zu sein? O, Kind, Kind, was soll ich von Ihnen denken!" -- "Denken Sie nichts Schlechtes von mir, gute Frau," sagte sie, mir die Hand auf
meinen Sie?“ ſagte das arme Kind und wurde dunkel¬ roth. — „Kommen Sie hierher, Fräulein Marie,“ ſagte ich und zog ſie in einen Buchengang, wo wir vom Schloſſe aus nicht geſehen werden konnten, „ich will Ihnen Alles ſagen, was ich auf dem Herzen habe. Ich bin eine alte Frau und Sie ſind ein junges Ding, das viel weiß, wie's in der Welt ausſieht und wie es hier in Grenwitz zugeht.“ Und nun ſchilderte ich ihr das Leben auf dem Schloſſe, wie es bis zu ihrer Ankunft geweſen war, und welch' ein wilder, wüſter Menſch Harald ſei, und daß er falſch und grauſam ſei, wie ein Tiger. Sie hörte mir mit glü¬ henden Wangen und die langen dunkeln Wimpern nicht von den ſchönen blauen Augen aufſchlagend, ohne mich nur einmal zu unterbrechen, ruhig zu, dann ſagte ſie leiſe: „Ich danke Ihnen, liebe Frau Clauſen — aber was Sie mir da ſagen, das weiß ich Alles ſchon.“ — Ich war wie vom Donner gerührt. „Sie wiſſen das,“ rief ich, „und haben der gnädigen Frau Tante hierher folgen können? Sie wiſſen das und ſind noch hier? Sie wiſſen das und fürchten ſich nicht, mit dem Baron ſtundenlang, halbe Tage lang allein zu ſein? O, Kind, Kind, was ſoll ich von Ihnen denken!“ — „Denken Sie nichts Schlechtes von mir, gute Frau,“ ſagte ſie, mir die Hand auf
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0246"n="236"/>
meinen Sie?“ſagte das arme Kind und wurde dunkel¬<lb/>
roth. —„Kommen Sie hierher, Fräulein Marie,“<lb/>ſagte ich und zog ſie in einen Buchengang, wo wir<lb/>
vom Schloſſe aus nicht geſehen werden konnten, „ich<lb/>
will Ihnen Alles ſagen, was ich auf dem Herzen<lb/>
habe. Ich bin eine alte Frau und Sie ſind ein junges<lb/>
Ding, das viel weiß, wie's in der Welt ausſieht und<lb/>
wie es hier in Grenwitz zugeht.“ Und nun ſchilderte<lb/>
ich ihr das Leben auf dem Schloſſe, wie es bis zu<lb/>
ihrer Ankunft geweſen war, und welch' ein wilder,<lb/>
wüſter Menſch Harald ſei, und daß er falſch und<lb/>
grauſam ſei, wie ein Tiger. Sie hörte mir mit glü¬<lb/>
henden Wangen und die langen dunkeln Wimpern<lb/>
nicht von den ſchönen blauen Augen aufſchlagend, ohne<lb/>
mich nur einmal zu unterbrechen, ruhig zu, dann ſagte<lb/>ſie leiſe: „Ich danke Ihnen, liebe Frau Clauſen —<lb/>
aber was Sie mir da ſagen, das weiß ich Alles<lb/>ſchon.“— Ich war wie vom Donner gerührt. „Sie<lb/>
wiſſen das,“ rief ich, „und haben der gnädigen Frau<lb/>
Tante hierher folgen können? Sie wiſſen das und<lb/>ſind noch hier? Sie wiſſen das und fürchten ſich<lb/>
nicht, mit dem Baron ſtundenlang, halbe Tage lang<lb/>
allein zu ſein? O, Kind, Kind, was ſoll ich von<lb/>
Ihnen denken!“—„Denken Sie nichts Schlechtes<lb/>
von mir, gute Frau,“ſagte ſie, mir die Hand auf<lb/></p></div></body></text></TEI>
[236/0246]
meinen Sie?“ ſagte das arme Kind und wurde dunkel¬
roth. — „Kommen Sie hierher, Fräulein Marie,“
ſagte ich und zog ſie in einen Buchengang, wo wir
vom Schloſſe aus nicht geſehen werden konnten, „ich
will Ihnen Alles ſagen, was ich auf dem Herzen
habe. Ich bin eine alte Frau und Sie ſind ein junges
Ding, das viel weiß, wie's in der Welt ausſieht und
wie es hier in Grenwitz zugeht.“ Und nun ſchilderte
ich ihr das Leben auf dem Schloſſe, wie es bis zu
ihrer Ankunft geweſen war, und welch' ein wilder,
wüſter Menſch Harald ſei, und daß er falſch und
grauſam ſei, wie ein Tiger. Sie hörte mir mit glü¬
henden Wangen und die langen dunkeln Wimpern
nicht von den ſchönen blauen Augen aufſchlagend, ohne
mich nur einmal zu unterbrechen, ruhig zu, dann ſagte
ſie leiſe: „Ich danke Ihnen, liebe Frau Clauſen —
aber was Sie mir da ſagen, das weiß ich Alles
ſchon.“ — Ich war wie vom Donner gerührt. „Sie
wiſſen das,“ rief ich, „und haben der gnädigen Frau
Tante hierher folgen können? Sie wiſſen das und
ſind noch hier? Sie wiſſen das und fürchten ſich
nicht, mit dem Baron ſtundenlang, halbe Tage lang
allein zu ſein? O, Kind, Kind, was ſoll ich von
Ihnen denken!“ — „Denken Sie nichts Schlechtes
von mir, gute Frau,“ ſagte ſie, mir die Hand auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/246>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.