sich auf sein Zimmer, um noch einige Minuten unge¬ stört über seine Aufgabe nachzudenken.
Er beugte sich über die Karte, die auf dem großen Reißbrett aufgespannt war, und an der er seit der Abreise der Familie, d. h. seit beinahe acht Tagen nicht das Mindeste gearbeitet hatte.
"Wenn das so fort geht, wird sich Anna-Maria über meine Fortschritte wundern," murmelte er; "es ist wirklich überraschend, welch' ein ausgebildetes Ta¬ lent zur Faulheit, oder höflicher ausgedrückt: zum dolce far niente in mir steckt. Es giebt offenbar im Leben verwunschene Lazzaronis, wie es verwunschene Prinzen in Märchen giebt; und ich bin augenscheinlich so ein, in die Jammergestalt eines im Schweiße seines Angesichts sein Brod essenden Geometers verwunsche¬ ner Sohn des sonnegetränkten Neapels. Aber wie kommt es denn eigentlich, daß ich seit einer Woche so ganz meiner natürlichen Tendenz folge? Die kleine Marguerite ist doch nicht allein daran schuld? rich¬ tig -- jetzt besinne ich mich -- ich brauche eine Karte aus der Registratur und ließ mir schon vor acht Tagen den Schlüssel dazu geben. Die muß ich mir wenigstens holen, sonst -- bei meiner heißen Liebe zur kleinen Marguerite! -- bleibt diese angefangene Karte ein Fragment in Ewigkeit."
ſich auf ſein Zimmer, um noch einige Minuten unge¬ ſtört über ſeine Aufgabe nachzudenken.
Er beugte ſich über die Karte, die auf dem großen Reißbrett aufgeſpannt war, und an der er ſeit der Abreiſe der Familie, d. h. ſeit beinahe acht Tagen nicht das Mindeſte gearbeitet hatte.
„Wenn das ſo fort geht, wird ſich Anna-Maria über meine Fortſchritte wundern,“ murmelte er; „es iſt wirklich überraſchend, welch' ein ausgebildetes Ta¬ lent zur Faulheit, oder höflicher ausgedrückt: zum dolce far niente in mir ſteckt. Es giebt offenbar im Leben verwunſchene Lazzaronis, wie es verwunſchene Prinzen in Märchen giebt; und ich bin augenſcheinlich ſo ein, in die Jammergeſtalt eines im Schweiße ſeines Angeſichts ſein Brod eſſenden Geometers verwunſche¬ ner Sohn des ſonnegetränkten Neapels. Aber wie kommt es denn eigentlich, daß ich ſeit einer Woche ſo ganz meiner natürlichen Tendenz folge? Die kleine Marguerite iſt doch nicht allein daran ſchuld? rich¬ tig — jetzt beſinne ich mich — ich brauche eine Karte aus der Regiſtratur und ließ mir ſchon vor acht Tagen den Schlüſſel dazu geben. Die muß ich mir wenigſtens holen, ſonſt — bei meiner heißen Liebe zur kleinen Marguerite! — bleibt dieſe angefangene Karte ein Fragment in Ewigkeit.“
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ſich auf ſein Zimmer, um noch einige Minuten unge¬
ſtört über ſeine Aufgabe nachzudenken.
Er beugte ſich über die Karte, die auf dem großen
Reißbrett aufgeſpannt war, und an der er ſeit der
Abreiſe der Familie, d. h. ſeit beinahe acht Tagen
nicht das Mindeſte gearbeitet hatte.
„Wenn das ſo fort geht, wird ſich Anna-Maria
über meine Fortſchritte wundern,“ murmelte er; „es
iſt wirklich überraſchend, welch' ein ausgebildetes Ta¬
lent zur Faulheit, oder höflicher ausgedrückt: zum
dolce far niente in mir ſteckt. Es giebt offenbar im
Leben verwunſchene Lazzaronis, wie es verwunſchene
Prinzen in Märchen giebt; und ich bin augenſcheinlich
ſo ein, in die Jammergeſtalt eines im Schweiße ſeines
Angeſichts ſein Brod eſſenden Geometers verwunſche¬
ner Sohn des ſonnegetränkten Neapels. Aber wie
kommt es denn eigentlich, daß ich ſeit einer Woche ſo
ganz meiner natürlichen Tendenz folge? Die kleine
Marguerite iſt doch nicht allein daran ſchuld? rich¬
tig — jetzt beſinne ich mich — ich brauche eine Karte
aus der Regiſtratur und ließ mir ſchon vor acht Tagen
den Schlüſſel dazu geben. Die muß ich mir wenigſtens
holen, ſonſt — bei meiner heißen Liebe zur kleinen
Marguerite! — bleibt dieſe angefangene Karte ein
Fragment in Ewigkeit.“
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/101>, abgerufen am 16.07.2024.
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