der Professor Berger nennt sie den einzigen Schwan in einer gewaltigen Heerde von Gänsen."
"So waren Sie längere Zeit in Grünwald?"
"Ich komme eben von dort her, nachdem ich ein halbes Jahr in den schattig-stillen Straßen der trefflichen Stadt ein äußerst idyllisches Leben geführt, und unter Berger's Auspicien meine Examina absol¬ virt hatte." "Aber -- Sie werden jetzt mit größerem Recht über meine Indiscretion klagen -- was be¬ stimmte Sie, wenn Sie diese Brücke der Lahmen und Blinden hinter sich haben, der Wirksamkeit in einem größeren Kreise, für die Sie doch offenbar vorzüglich befähigt sind, das Stillleben eines Hauslehrers in einer adligen Familie vorzuziehen, wo es Ihnen ge¬ radezu unmöglich wird, Ihre Kräfte frei zu entfalten?"
"Was mich dazu bestimmte?" antwortete Oswald, "ich weiß es selbst kaum. Einmal wohl der gründ¬ liche Abscheu vor dem, was die Menschen mit jenem, für ein planetarisches Gemüth so äußerst bedenklichen Ausdruck: eine feste Anstellung, bezeichnen; sodann der Einfluß Berger's, der mir dringend rieth, mich nicht vor der Zeit zu binden, sondern noch ein paar Jahre in der Welt herumzusinbadisiren, wozu ich jetzt, wenn meinen Zöglingen die Flügel erst noch ein wenig ge¬ wachsen sein werden, sogar contractlich verpflichtet bin."
der Profeſſor Berger nennt ſie den einzigen Schwan in einer gewaltigen Heerde von Gänſen.“
„So waren Sie längere Zeit in Grünwald?“
„Ich komme eben von dort her, nachdem ich ein halbes Jahr in den ſchattig-ſtillen Straßen der trefflichen Stadt ein äußerſt idylliſches Leben geführt, und unter Berger's Auſpicien meine Examina abſol¬ virt hatte.“ „Aber — Sie werden jetzt mit größerem Recht über meine Indiscretion klagen — was be¬ ſtimmte Sie, wenn Sie dieſe Brücke der Lahmen und Blinden hinter ſich haben, der Wirkſamkeit in einem größeren Kreiſe, für die Sie doch offenbar vorzüglich befähigt ſind, das Stillleben eines Hauslehrers in einer adligen Familie vorzuziehen, wo es Ihnen ge¬ radezu unmöglich wird, Ihre Kräfte frei zu entfalten?“
„Was mich dazu beſtimmte?“ antwortete Oswald, „ich weiß es ſelbſt kaum. Einmal wohl der gründ¬ liche Abſcheu vor dem, was die Menſchen mit jenem, für ein planetariſches Gemüth ſo äußerſt bedenklichen Ausdruck: eine feſte Anſtellung, bezeichnen; ſodann der Einfluß Berger's, der mir dringend rieth, mich nicht vor der Zeit zu binden, ſondern noch ein paar Jahre in der Welt herumzuſinbadiſiren, wozu ich jetzt, wenn meinen Zöglingen die Flügel erſt noch ein wenig ge¬ wachſen ſein werden, ſogar contractlich verpflichtet bin.“
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0124"n="114"/>
der Profeſſor Berger nennt ſie den einzigen Schwan<lb/>
in einer gewaltigen Heerde von Gänſen.“</p><lb/><p>„So waren Sie längere Zeit in Grünwald?“</p><lb/><p>„Ich komme eben von dort her, nachdem ich ein<lb/>
halbes Jahr in den ſchattig-ſtillen Straßen der<lb/>
trefflichen Stadt ein äußerſt idylliſches Leben geführt,<lb/>
und unter Berger's Auſpicien meine Examina abſol¬<lb/>
virt hatte.“„Aber — Sie werden jetzt mit größerem<lb/>
Recht über meine Indiscretion klagen — was be¬<lb/>ſtimmte Sie, wenn Sie dieſe Brücke der Lahmen und<lb/>
Blinden hinter ſich haben, der Wirkſamkeit in einem<lb/>
größeren Kreiſe, für die Sie doch offenbar vorzüglich<lb/>
befähigt ſind, das Stillleben eines Hauslehrers in<lb/>
einer adligen Familie vorzuziehen, wo es Ihnen ge¬<lb/>
radezu unmöglich wird, Ihre Kräfte frei zu entfalten?“</p><lb/><p>„Was mich dazu beſtimmte?“ antwortete Oswald,<lb/>„ich weiß es ſelbſt kaum. Einmal wohl der gründ¬<lb/>
liche Abſcheu vor dem, was die Menſchen mit jenem,<lb/>
für ein planetariſches Gemüth ſo äußerſt bedenklichen<lb/>
Ausdruck: eine feſte Anſtellung, bezeichnen; ſodann der<lb/>
Einfluß Berger's, der mir dringend rieth, mich nicht<lb/>
vor der Zeit zu binden, ſondern noch ein paar Jahre<lb/>
in der Welt herumzuſinbadiſiren, wozu ich jetzt, wenn<lb/>
meinen Zöglingen die Flügel erſt noch ein wenig ge¬<lb/>
wachſen ſein werden, ſogar contractlich verpflichtet bin.“<lb/></p></div></body></text></TEI>
[114/0124]
der Profeſſor Berger nennt ſie den einzigen Schwan
in einer gewaltigen Heerde von Gänſen.“
„So waren Sie längere Zeit in Grünwald?“
„Ich komme eben von dort her, nachdem ich ein
halbes Jahr in den ſchattig-ſtillen Straßen der
trefflichen Stadt ein äußerſt idylliſches Leben geführt,
und unter Berger's Auſpicien meine Examina abſol¬
virt hatte.“ „Aber — Sie werden jetzt mit größerem
Recht über meine Indiscretion klagen — was be¬
ſtimmte Sie, wenn Sie dieſe Brücke der Lahmen und
Blinden hinter ſich haben, der Wirkſamkeit in einem
größeren Kreiſe, für die Sie doch offenbar vorzüglich
befähigt ſind, das Stillleben eines Hauslehrers in
einer adligen Familie vorzuziehen, wo es Ihnen ge¬
radezu unmöglich wird, Ihre Kräfte frei zu entfalten?“
„Was mich dazu beſtimmte?“ antwortete Oswald,
„ich weiß es ſelbſt kaum. Einmal wohl der gründ¬
liche Abſcheu vor dem, was die Menſchen mit jenem,
für ein planetariſches Gemüth ſo äußerſt bedenklichen
Ausdruck: eine feſte Anſtellung, bezeichnen; ſodann der
Einfluß Berger's, der mir dringend rieth, mich nicht
vor der Zeit zu binden, ſondern noch ein paar Jahre
in der Welt herumzuſinbadiſiren, wozu ich jetzt, wenn
meinen Zöglingen die Flügel erſt noch ein wenig ge¬
wachſen ſein werden, ſogar contractlich verpflichtet bin.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/124>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.