mit herzgewinnender Freundlichkeit die Hand entgegen und sagte: "Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie durch dies oder jenes Wort, das vielleicht weniger überlegt war, gekränkt haben sollte. Aber ich gerathe jedes¬ mal in Aufregung, wenn ich eine hohe Intelligenz feiern, oder in einer falschen Richtung thätig sehe. Das erste ist die Sünde gegen den heiligen Geist, die un¬ serer Sünden größte ist, die zweite ist nicht ganz so groß, aber kommt jener fast gleich. Von jener spreche ich Sie los, dieser erkläre ich Sie für schuldig. Sie wissen, wie ich über Ihre Stellung hier schon neulich dachte; jetzt, nachdem ich Sie zum ersten Male in dem Kreise selbst gesehen habe, finde ich das Verhältniß noch viel bedenklicher. Geben Sie es auf, ehe es zu spät ist! Es mag eine entsetzliche Indiscretion sein, daß ich mir erlaube, so zu Ihnen zu sprechen; aber Sie wissen, wir Aerzte haben einmal das Recht, in¬ discret zu sein. Sind Sie mir bös?"
"Ich wäre der lächerlichste Narr, wenn ich so schwach sein könnte," antwortete Oswald. "Im Ge¬ gentheil, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir eine Theilnahme zeigen, die ich sogar nicht verdient zu haben mir bewußt bin. Aber ich glaube, Sie sehen die Dinge ein wenig zu schwarz --"
"Blos zu schwarz?" sagte der Doctor lachend;
mit herzgewinnender Freundlichkeit die Hand entgegen und ſagte: „Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie durch dies oder jenes Wort, das vielleicht weniger überlegt war, gekränkt haben ſollte. Aber ich gerathe jedes¬ mal in Aufregung, wenn ich eine hohe Intelligenz feiern, oder in einer falſchen Richtung thätig ſehe. Das erſte iſt die Sünde gegen den heiligen Geiſt, die un¬ ſerer Sünden größte iſt, die zweite iſt nicht ganz ſo groß, aber kommt jener faſt gleich. Von jener ſpreche ich Sie los, dieſer erkläre ich Sie für ſchuldig. Sie wiſſen, wie ich über Ihre Stellung hier ſchon neulich dachte; jetzt, nachdem ich Sie zum erſten Male in dem Kreiſe ſelbſt geſehen habe, finde ich das Verhältniß noch viel bedenklicher. Geben Sie es auf, ehe es zu ſpät iſt! Es mag eine entſetzliche Indiscretion ſein, daß ich mir erlaube, ſo zu Ihnen zu ſprechen; aber Sie wiſſen, wir Aerzte haben einmal das Recht, in¬ discret zu ſein. Sind Sie mir bös?“
„Ich wäre der lächerlichſte Narr, wenn ich ſo ſchwach ſein könnte,“ antwortete Oswald. „Im Ge¬ gentheil, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir eine Theilnahme zeigen, die ich ſogar nicht verdient zu haben mir bewußt bin. Aber ich glaube, Sie ſehen die Dinge ein wenig zu ſchwarz —“
„Blos zu ſchwarz?“ ſagte der Doctor lachend;
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mit herzgewinnender Freundlichkeit die Hand entgegen
und ſagte: „Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie durch
dies oder jenes Wort, das vielleicht weniger überlegt
war, gekränkt haben ſollte. Aber ich gerathe jedes¬
mal in Aufregung, wenn ich eine hohe Intelligenz
feiern, oder in einer falſchen Richtung thätig ſehe. Das
erſte iſt die Sünde gegen den heiligen Geiſt, die un¬
ſerer Sünden größte iſt, die zweite iſt nicht ganz ſo
groß, aber kommt jener faſt gleich. Von jener ſpreche
ich Sie los, dieſer erkläre ich Sie für ſchuldig. Sie
wiſſen, wie ich über Ihre Stellung hier ſchon neulich
dachte; jetzt, nachdem ich Sie zum erſten Male in dem
Kreiſe ſelbſt geſehen habe, finde ich das Verhältniß
noch viel bedenklicher. Geben Sie es auf, ehe es zu
ſpät iſt! Es mag eine entſetzliche Indiscretion ſein,
daß ich mir erlaube, ſo zu Ihnen zu ſprechen; aber
Sie wiſſen, wir Aerzte haben einmal das Recht, in¬
discret zu ſein. Sind Sie mir bös?“
„Ich wäre der lächerlichſte Narr, wenn ich ſo
ſchwach ſein könnte,“ antwortete Oswald. „Im Ge¬
gentheil, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir eine
Theilnahme zeigen, die ich ſogar nicht verdient zu
haben mir bewußt bin. Aber ich glaube, Sie ſehen die
Dinge ein wenig zu ſchwarz —“
„Blos zu ſchwarz?“ ſagte der Doctor lachend;
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/178>, abgerufen am 16.02.2025.
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