Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich weiß noch nicht. Meine Solitude, -- so
taufte nämlich mein Großvater diesen seinen Lieblings¬
ort -- gefällt mir diesmal besser, als sonst wohl.
Ich habe in den letzten Jahren ein etwas buntes
Leben geführt und so viel Adamskinder der verschie¬
densten Racen und Culturzustände durcheinander ge¬
sehen, daß zuletzt einer genau so aussah, wie der an¬
dere, ein Beweis, daß meine Sinne vollkommen abge¬
stumpft waren und eine längere Hungercur nöthig ist.
Daß ich nicht ganz verhungere, dafür sollen Sie und
die Czika sorgen."

"Und wo ist denn unser kleiner Findling?"

"Irgendwo auf der Haide, wo sie sich in den
blühenden Ginster legt und in den Himmel starrt,
oder am Strande, wo sie zwischen den Felsblöcken
umherklettert und vor Vergnügen in die Hände klatscht,
wenn eine Welle ihre nackten Füße benetzt. Bis zu
Schuhen hat sie es nämlich noch nicht gebracht, das
heißt: ich habe sie noch nicht dazu bringen können.
Ich lasse ihr überhaupt absolute Freiheit, seitdem sie mir
gleich am zweiten Tage, als ich sie bei dem schauder¬
haften Wetter nicht herauslassen wollte, sehr energisch er¬
klärte: Czika stirbt, wenn Czika nicht in den Regen darf."

"Sehnt sie sich denn nicht nach ihrer Mutter zurück?"

"Glauben Sie wirklich, das das braune Weib, das

„Ich weiß noch nicht. Meine Solitude, — ſo
taufte nämlich mein Großvater dieſen ſeinen Lieblings¬
ort — gefällt mir diesmal beſſer, als ſonſt wohl.
Ich habe in den letzten Jahren ein etwas buntes
Leben geführt und ſo viel Adamskinder der verſchie¬
denſten Racen und Culturzuſtände durcheinander ge¬
ſehen, daß zuletzt einer genau ſo ausſah, wie der an¬
dere, ein Beweis, daß meine Sinne vollkommen abge¬
ſtumpft waren und eine längere Hungercur nöthig iſt.
Daß ich nicht ganz verhungere, dafür ſollen Sie und
die Czika ſorgen.“

„Und wo iſt denn unſer kleiner Findling?“

„Irgendwo auf der Haide, wo ſie ſich in den
blühenden Ginſter legt und in den Himmel ſtarrt,
oder am Strande, wo ſie zwiſchen den Felsblöcken
umherklettert und vor Vergnügen in die Hände klatſcht,
wenn eine Welle ihre nackten Füße benetzt. Bis zu
Schuhen hat ſie es nämlich noch nicht gebracht, das
heißt: ich habe ſie noch nicht dazu bringen können.
Ich laſſe ihr überhaupt abſolute Freiheit, ſeitdem ſie mir
gleich am zweiten Tage, als ich ſie bei dem ſchauder¬
haften Wetter nicht herauslaſſen wollte, ſehr energiſch er¬
klärte: Czika ſtirbt, wenn Czika nicht in den Regen darf.“

„Sehnt ſie ſich denn nicht nach ihrer Mutter zurück?“

„Glauben Sie wirklich, das das braune Weib, das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0031" n="21"/>
        <p>&#x201E;Ich weiß noch nicht. Meine Solitude, &#x2014; &#x017F;o<lb/>
taufte nämlich mein Großvater die&#x017F;en &#x017F;einen Lieblings¬<lb/>
ort &#x2014; gefällt mir diesmal be&#x017F;&#x017F;er, als &#x017F;on&#x017F;t wohl.<lb/>
Ich habe in den letzten Jahren ein etwas buntes<lb/>
Leben geführt und &#x017F;o viel Adamskinder der ver&#x017F;chie¬<lb/>
den&#x017F;ten Racen und Culturzu&#x017F;tände durcheinander ge¬<lb/>
&#x017F;ehen, daß zuletzt einer genau &#x017F;o aus&#x017F;ah, wie der an¬<lb/>
dere, ein Beweis, daß meine Sinne vollkommen abge¬<lb/>
&#x017F;tumpft waren und eine längere Hungercur nöthig i&#x017F;t.<lb/>
Daß ich nicht ganz verhungere, dafür &#x017F;ollen Sie und<lb/>
die Czika &#x017F;orgen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und wo i&#x017F;t denn un&#x017F;er kleiner Findling?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Irgendwo auf der Haide, wo &#x017F;ie &#x017F;ich in den<lb/>
blühenden Gin&#x017F;ter legt und in den Himmel &#x017F;tarrt,<lb/>
oder am Strande, wo &#x017F;ie zwi&#x017F;chen den Felsblöcken<lb/>
umherklettert und vor Vergnügen in die Hände klat&#x017F;cht,<lb/>
wenn eine Welle ihre nackten Füße benetzt. Bis zu<lb/>
Schuhen hat &#x017F;ie es nämlich noch nicht gebracht, das<lb/>
heißt: ich habe &#x017F;ie noch nicht dazu bringen können.<lb/>
Ich la&#x017F;&#x017F;e ihr überhaupt ab&#x017F;olute Freiheit, &#x017F;eitdem &#x017F;ie mir<lb/>
gleich am zweiten Tage, als ich &#x017F;ie bei dem &#x017F;chauder¬<lb/>
haften Wetter nicht herausla&#x017F;&#x017F;en wollte, &#x017F;ehr energi&#x017F;ch er¬<lb/>
klärte: Czika &#x017F;tirbt, wenn Czika nicht in den Regen darf.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sehnt &#x017F;ie &#x017F;ich denn nicht nach ihrer Mutter zurück?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Glauben Sie wirklich, das das braune Weib, das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0031] „Ich weiß noch nicht. Meine Solitude, — ſo taufte nämlich mein Großvater dieſen ſeinen Lieblings¬ ort — gefällt mir diesmal beſſer, als ſonſt wohl. Ich habe in den letzten Jahren ein etwas buntes Leben geführt und ſo viel Adamskinder der verſchie¬ denſten Racen und Culturzuſtände durcheinander ge¬ ſehen, daß zuletzt einer genau ſo ausſah, wie der an¬ dere, ein Beweis, daß meine Sinne vollkommen abge¬ ſtumpft waren und eine längere Hungercur nöthig iſt. Daß ich nicht ganz verhungere, dafür ſollen Sie und die Czika ſorgen.“ „Und wo iſt denn unſer kleiner Findling?“ „Irgendwo auf der Haide, wo ſie ſich in den blühenden Ginſter legt und in den Himmel ſtarrt, oder am Strande, wo ſie zwiſchen den Felsblöcken umherklettert und vor Vergnügen in die Hände klatſcht, wenn eine Welle ihre nackten Füße benetzt. Bis zu Schuhen hat ſie es nämlich noch nicht gebracht, das heißt: ich habe ſie noch nicht dazu bringen können. Ich laſſe ihr überhaupt abſolute Freiheit, ſeitdem ſie mir gleich am zweiten Tage, als ich ſie bei dem ſchauder¬ haften Wetter nicht herauslaſſen wollte, ſehr energiſch er¬ klärte: Czika ſtirbt, wenn Czika nicht in den Regen darf.“ „Sehnt ſie ſich denn nicht nach ihrer Mutter zurück?“ „Glauben Sie wirklich, das das braune Weib, das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/31
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/31>, abgerufen am 21.11.2024.