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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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bewegt hat, das Heirathen eine moralische Unmöglich¬
keit ist. Ich will keine Frau, die so blasirt wäre,
nicht von mir hören zu wollen: ich liebe Dich! und
wie kann ich das, ohne mir selbst lächerlich vorzu¬
kommen, zu ihr sagen, wenn ich es schon so und so
vielen anderen in allen mir bekannten Sprachen ge¬
sagt habe? Nein, nein! mit solchen Gesinnungen mag
man Türke werden und sich einen Harem anschaffen,
aber für die monogamische Ehe im höchsten, reinsten
Sinne, wo sie eine wunderbare Alchymie ist, die aus
den Zweien Eines macht, für diese Ehe, die auch ich
heilig halte, ist man wahrlich zu schlecht."

"Und doch," sagte Oswald, "liegt in der wahren
Liebe eine reinigende und heiligende Macht, vor der
alle Zweifel an uns selbst verschwinden, wie der Nebel
vor den Strahlen der Sonne. Die wahre Liebe wischt,
wie der echte Haß "von der Tafel der Erinnerung
weg alle thörichten Geschichten" und macht uns mit
einem Schlage aus wüsten Barbaren zu zartfühlenden,
feinsinnigen Hellenen. Die rohe Kraft, die vorher
sich nur bethätigen wollte, gleichviel ob sie schaffte
oder zerstörte, nimmt jetzt Form an, und wo sie früher
einen Siva schuf, dessen glühender Blick alle Creatur
verzehrt, schafft sie jetzt einen olympischen Zeus, der
Alles, was ist, mit Vateraugen segnet."

bewegt hat, das Heirathen eine moraliſche Unmöglich¬
keit iſt. Ich will keine Frau, die ſo blaſirt wäre,
nicht von mir hören zu wollen: ich liebe Dich! und
wie kann ich das, ohne mir ſelbſt lächerlich vorzu¬
kommen, zu ihr ſagen, wenn ich es ſchon ſo und ſo
vielen anderen in allen mir bekannten Sprachen ge¬
ſagt habe? Nein, nein! mit ſolchen Geſinnungen mag
man Türke werden und ſich einen Harem anſchaffen,
aber für die monogamiſche Ehe im höchſten, reinſten
Sinne, wo ſie eine wunderbare Alchymie iſt, die aus
den Zweien Eines macht, für dieſe Ehe, die auch ich
heilig halte, iſt man wahrlich zu ſchlecht.“

„Und doch,“ ſagte Oswald, „liegt in der wahren
Liebe eine reinigende und heiligende Macht, vor der
alle Zweifel an uns ſelbſt verſchwinden, wie der Nebel
vor den Strahlen der Sonne. Die wahre Liebe wiſcht,
wie der echte Haß „von der Tafel der Erinnerung
weg alle thörichten Geſchichten“ und macht uns mit
einem Schlage aus wüſten Barbaren zu zartfühlenden,
feinſinnigen Hellenen. Die rohe Kraft, die vorher
ſich nur bethätigen wollte, gleichviel ob ſie ſchaffte
oder zerſtörte, nimmt jetzt Form an, und wo ſie früher
einen Siva ſchuf, deſſen glühender Blick alle Creatur
verzehrt, ſchafft ſie jetzt einen olympiſchen Zeus, der
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[29/0039] bewegt hat, das Heirathen eine moraliſche Unmöglich¬ keit iſt. Ich will keine Frau, die ſo blaſirt wäre, nicht von mir hören zu wollen: ich liebe Dich! und wie kann ich das, ohne mir ſelbſt lächerlich vorzu¬ kommen, zu ihr ſagen, wenn ich es ſchon ſo und ſo vielen anderen in allen mir bekannten Sprachen ge¬ ſagt habe? Nein, nein! mit ſolchen Geſinnungen mag man Türke werden und ſich einen Harem anſchaffen, aber für die monogamiſche Ehe im höchſten, reinſten Sinne, wo ſie eine wunderbare Alchymie iſt, die aus den Zweien Eines macht, für dieſe Ehe, die auch ich heilig halte, iſt man wahrlich zu ſchlecht.“ „Und doch,“ ſagte Oswald, „liegt in der wahren Liebe eine reinigende und heiligende Macht, vor der alle Zweifel an uns ſelbſt verſchwinden, wie der Nebel vor den Strahlen der Sonne. Die wahre Liebe wiſcht, wie der echte Haß „von der Tafel der Erinnerung weg alle thörichten Geſchichten“ und macht uns mit einem Schlage aus wüſten Barbaren zu zartfühlenden, feinſinnigen Hellenen. Die rohe Kraft, die vorher ſich nur bethätigen wollte, gleichviel ob ſie ſchaffte oder zerſtörte, nimmt jetzt Form an, und wo ſie früher einen Siva ſchuf, deſſen glühender Blick alle Creatur verzehrt, ſchafft ſie jetzt einen olympiſchen Zeus, der Alles, was iſt, mit Vateraugen ſegnet.“

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/39>, abgerufen am 21.11.2024.