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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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eigenthümlich genug. Er schien den ganzen, so verän¬
derten Zustand nur als ein fait accompli hinzu¬
nehmen, dem man sich beugt, weil man muß. Er
belästigte mich nicht mit Fragen; er verlangte keine
vertrauliche Mittheilung, auf die der einzige Freund
meiner Kinder- und Mädchenjahre doch wohl An¬
spruch hatte. Er machte mir auch keine Vorwürfe;
er sagte mir nicht, daß er mich geliebt, daß er auf
meine Hand gehofft hatte, obgleich ich nachher erfuhr,
daß dies doch der Fall gewesen, und daß er, als ihn
die Nachricht von meiner Verheirathung in Heidel¬
berg traf, fast in Raserei gefallen war und wochen¬
lang, monatelang an einer unbesieglichen Schwermuth
gekrankt hatte. Er suchte sich durch eigene Beobach¬
tung ein möglichst klares Bild meines jetzigen Ver¬
hältnisses zu verschaffen. Ich sah, daß ihm nichts
entging, daß keine meiner Aeußerungen von ihm un¬
berücksichtigt, keine meiner Mienen von ihm unbeobach¬
tet blieb. Dieses Bewußtsein, unter der Controle
eines so scharfsichtigen Auges zu stehen, war nichts
weniger als behaglich, zumal wenn, wie in diesem
Falle, so Vieles hätte anders sein können, anders
sein müssen. Es trat bald wieder dasselbe Verhält¬
niß ein, welches früher zwischen uns geherrscht hatte,
nur daß die heftigen Scenen wegblieben, die damals

eigenthümlich genug. Er ſchien den ganzen, ſo verän¬
derten Zuſtand nur als ein fait accompli hinzu¬
nehmen, dem man ſich beugt, weil man muß. Er
beläſtigte mich nicht mit Fragen; er verlangte keine
vertrauliche Mittheilung, auf die der einzige Freund
meiner Kinder- und Mädchenjahre doch wohl An¬
ſpruch hatte. Er machte mir auch keine Vorwürfe;
er ſagte mir nicht, daß er mich geliebt, daß er auf
meine Hand gehofft hatte, obgleich ich nachher erfuhr,
daß dies doch der Fall geweſen, und daß er, als ihn
die Nachricht von meiner Verheirathung in Heidel¬
berg traf, faſt in Raſerei gefallen war und wochen¬
lang, monatelang an einer unbeſieglichen Schwermuth
gekrankt hatte. Er ſuchte ſich durch eigene Beobach¬
tung ein möglichſt klares Bild meines jetzigen Ver¬
hältniſſes zu verſchaffen. Ich ſah, daß ihm nichts
entging, daß keine meiner Aeußerungen von ihm un¬
berückſichtigt, keine meiner Mienen von ihm unbeobach¬
tet blieb. Dieſes Bewußtſein, unter der Controle
eines ſo ſcharfſichtigen Auges zu ſtehen, war nichts
weniger als behaglich, zumal wenn, wie in dieſem
Falle, ſo Vieles hätte anders ſein können, anders
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[68/0078] eigenthümlich genug. Er ſchien den ganzen, ſo verän¬ derten Zuſtand nur als ein fait accompli hinzu¬ nehmen, dem man ſich beugt, weil man muß. Er beläſtigte mich nicht mit Fragen; er verlangte keine vertrauliche Mittheilung, auf die der einzige Freund meiner Kinder- und Mädchenjahre doch wohl An¬ ſpruch hatte. Er machte mir auch keine Vorwürfe; er ſagte mir nicht, daß er mich geliebt, daß er auf meine Hand gehofft hatte, obgleich ich nachher erfuhr, daß dies doch der Fall geweſen, und daß er, als ihn die Nachricht von meiner Verheirathung in Heidel¬ berg traf, faſt in Raſerei gefallen war und wochen¬ lang, monatelang an einer unbeſieglichen Schwermuth gekrankt hatte. Er ſuchte ſich durch eigene Beobach¬ tung ein möglichſt klares Bild meines jetzigen Ver¬ hältniſſes zu verſchaffen. Ich ſah, daß ihm nichts entging, daß keine meiner Aeußerungen von ihm un¬ berückſichtigt, keine meiner Mienen von ihm unbeobach¬ tet blieb. Dieſes Bewußtſein, unter der Controle eines ſo ſcharfſichtigen Auges zu ſtehen, war nichts weniger als behaglich, zumal wenn, wie in dieſem Falle, ſo Vieles hätte anders ſein können, anders ſein müſſen. Es trat bald wieder daſſelbe Verhält¬ niß ein, welches früher zwiſchen uns geherrſcht hatte, nur daß die heftigen Scenen wegblieben, die damals

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/78>, abgerufen am 24.11.2024.