Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.legentlich annimmt und ablegt, wie ein Kleid, oder "Still, Melitta, mir war, als hörte ich Jemand legentlich annimmt und ablegt, wie ein Kleid, oder „Still, Melitta, mir war, als hörte ich Jemand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0084" n="74"/> legentlich annimmt und ablegt, wie ein Kleid, oder<lb/> der Ausdruck einer wirklichen tiefgewurzelten Neigung.<lb/> Es war unmöglich, Oldenburg in dieſer Zeit nicht zu<lb/> bewundern. Sein Genius zeigte ſich glänzender, wie<lb/> je zuvor; die Fülle von Geiſt, die er verſchwenderiſch<lb/> entfaltete, war in der That außerordentlich. Er war<lb/> die Seele jeder Geſellſchaft; man riß ſich förmlich<lb/> um ihn, und da er franzöſiſch, engliſch, italieniſch und<lb/> ich weiß nicht, wie viel Sprachen außerdem, ſo gut<lb/> wie deutſch ſpricht, ſo ſchien jede Nation ihn als einen<lb/> der ihrigen anſehen zu dürfen und zu wollen. Wenn<lb/> er nun mich zur Königin jedes Feſtes machte, wenn<lb/> er Alle zwang, mir zu huldigen, wenn er alle Schätze<lb/> ſeines reichen Geiſtes mir entfaltete, um ſie mir zu<lb/> Füßen zu legen, ſo iſt es wol natürlich, daß ich da¬<lb/> gegen nicht gleichgültig bleiben konnte, daß ich mir<lb/> eine kurze Zeit lang einbildete, ihn zu lieben. Ohne<lb/> ihn geradezu aufzumuntern, ließ ich ihn doch gewähren,<lb/> wenn er mich in Augenblicken, wo wir allein waren,<lb/> mit dem vertraulichen Du unſerer Kinderjahre an¬<lb/> redete, wenn er in Geſellſchaft mir jene Aufmerkſam¬<lb/> keiten erwies, die man ſonſt nur von einem erklärten<lb/> Liebhaber entgegenzunehmen gewohnt iſt.”</p><lb/> <p>„Still, Melitta, mir war, als hörte ich Jemand<lb/> im Garten.”<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [74/0084]
legentlich annimmt und ablegt, wie ein Kleid, oder
der Ausdruck einer wirklichen tiefgewurzelten Neigung.
Es war unmöglich, Oldenburg in dieſer Zeit nicht zu
bewundern. Sein Genius zeigte ſich glänzender, wie
je zuvor; die Fülle von Geiſt, die er verſchwenderiſch
entfaltete, war in der That außerordentlich. Er war
die Seele jeder Geſellſchaft; man riß ſich förmlich
um ihn, und da er franzöſiſch, engliſch, italieniſch und
ich weiß nicht, wie viel Sprachen außerdem, ſo gut
wie deutſch ſpricht, ſo ſchien jede Nation ihn als einen
der ihrigen anſehen zu dürfen und zu wollen. Wenn
er nun mich zur Königin jedes Feſtes machte, wenn
er Alle zwang, mir zu huldigen, wenn er alle Schätze
ſeines reichen Geiſtes mir entfaltete, um ſie mir zu
Füßen zu legen, ſo iſt es wol natürlich, daß ich da¬
gegen nicht gleichgültig bleiben konnte, daß ich mir
eine kurze Zeit lang einbildete, ihn zu lieben. Ohne
ihn geradezu aufzumuntern, ließ ich ihn doch gewähren,
wenn er mich in Augenblicken, wo wir allein waren,
mit dem vertraulichen Du unſerer Kinderjahre an¬
redete, wenn er in Geſellſchaft mir jene Aufmerkſam¬
keiten erwies, die man ſonſt nur von einem erklärten
Liebhaber entgegenzunehmen gewohnt iſt.”
„Still, Melitta, mir war, als hörte ich Jemand
im Garten.”
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