Herz war wie ein Mann, der, was er Liebstes und Theuerstes hat, auf seinen Schultern vor dem ver¬ folgenden Feinde davonträgt und schaudernd dem Augen¬ blick entgegensieht, wo er unter der Last zusammen¬ brechen wird. Er wagte Helene's Namen nicht mehr auszusprechen, aus Furcht sein Geheimniß zu ver¬ rathen; er wagte nicht mehr, die Augen zu ihr auf¬ zuschlagen. Und dennoch sah er Alles, was um ihn her vorging, und der Plan der Baronin blieb für ihn nicht lange ein Geheimniß. Sein Haß gegen Felix kannte keine Grenzen, und er gab sich sehr wenig Mühe, diesen Haß zu verbergen. Er forderte den Roue bei jeder Gelegenheit durch höhnische und satyrische Be¬ merkungen heraus, immer in der Hoffnung, Felix werde doch endlich einmal den hingeworfenen Handschuh auf¬ heben; aber dieser ließ sich wie Alle, welche im Grunde sich und die ganze Welt verachten, sehr viel gefallen und erwiederte des Knaben grausame Sarkasmen mit mehr oder weniger guten Witzen, so daß er die Lacher stets auf seiner Seite behielt. Und dann hatte er auf der andern Seite doch auch wieder eine viel zu gute Meinung von sich, um sich mit einem Gegner, den er so tief unter sich glaubte, in einen ernstlichen Streit einzulassen. Wäre er gestern Nacht auf Bruno, der ihm sein Rendezvous gestört hatte, nicht so ärgerlich
Herz war wie ein Mann, der, was er Liebſtes und Theuerſtes hat, auf ſeinen Schultern vor dem ver¬ folgenden Feinde davonträgt und ſchaudernd dem Augen¬ blick entgegenſieht, wo er unter der Laſt zuſammen¬ brechen wird. Er wagte Helene's Namen nicht mehr auszuſprechen, aus Furcht ſein Geheimniß zu ver¬ rathen; er wagte nicht mehr, die Augen zu ihr auf¬ zuſchlagen. Und dennoch ſah er Alles, was um ihn her vorging, und der Plan der Baronin blieb für ihn nicht lange ein Geheimniß. Sein Haß gegen Felix kannte keine Grenzen, und er gab ſich ſehr wenig Mühe, dieſen Haß zu verbergen. Er forderte den Roué bei jeder Gelegenheit durch höhniſche und ſatyriſche Be¬ merkungen heraus, immer in der Hoffnung, Felix werde doch endlich einmal den hingeworfenen Handſchuh auf¬ heben; aber dieſer ließ ſich wie Alle, welche im Grunde ſich und die ganze Welt verachten, ſehr viel gefallen und erwiederte des Knaben grauſame Sarkasmen mit mehr oder weniger guten Witzen, ſo daß er die Lacher ſtets auf ſeiner Seite behielt. Und dann hatte er auf der andern Seite doch auch wieder eine viel zu gute Meinung von ſich, um ſich mit einem Gegner, den er ſo tief unter ſich glaubte, in einen ernſtlichen Streit einzulaſſen. Wäre er geſtern Nacht auf Bruno, der ihm ſein Rendezvous geſtört hatte, nicht ſo ärgerlich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0192"n="182"/>
Herz war wie ein Mann, der, was er Liebſtes und<lb/>
Theuerſtes hat, auf ſeinen Schultern vor dem ver¬<lb/>
folgenden Feinde davonträgt und ſchaudernd dem Augen¬<lb/>
blick entgegenſieht, wo er unter der Laſt zuſammen¬<lb/>
brechen wird. Er wagte Helene's Namen nicht mehr<lb/>
auszuſprechen, aus Furcht ſein Geheimniß zu ver¬<lb/>
rathen; er wagte nicht mehr, die Augen zu ihr auf¬<lb/>
zuſchlagen. Und dennoch ſah er Alles, was um ihn<lb/>
her vorging, und der Plan der Baronin blieb für ihn<lb/>
nicht lange ein Geheimniß. Sein Haß gegen Felix<lb/>
kannte keine Grenzen, und er gab ſich ſehr wenig Mühe,<lb/>
dieſen Haß zu verbergen. Er forderte den Rou<hirendition="#aq">é</hi> bei<lb/>
jeder Gelegenheit durch höhniſche und ſatyriſche Be¬<lb/>
merkungen heraus, immer in der Hoffnung, Felix werde<lb/>
doch endlich einmal den hingeworfenen Handſchuh auf¬<lb/>
heben; aber dieſer ließ ſich wie Alle, welche im Grunde<lb/>ſich und die ganze Welt verachten, ſehr viel gefallen<lb/>
und erwiederte des Knaben grauſame Sarkasmen mit<lb/>
mehr oder weniger guten Witzen, ſo daß er die Lacher<lb/>ſtets auf ſeiner Seite behielt. Und dann hatte er auf<lb/>
der andern Seite doch auch wieder eine viel zu gute<lb/>
Meinung von ſich, um ſich mit einem Gegner, den<lb/>
er ſo tief unter ſich glaubte, in einen ernſtlichen Streit<lb/>
einzulaſſen. Wäre er geſtern Nacht auf Bruno, der<lb/>
ihm ſein Rendezvous geſtört hatte, nicht ſo ärgerlich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[182/0192]
Herz war wie ein Mann, der, was er Liebſtes und
Theuerſtes hat, auf ſeinen Schultern vor dem ver¬
folgenden Feinde davonträgt und ſchaudernd dem Augen¬
blick entgegenſieht, wo er unter der Laſt zuſammen¬
brechen wird. Er wagte Helene's Namen nicht mehr
auszuſprechen, aus Furcht ſein Geheimniß zu ver¬
rathen; er wagte nicht mehr, die Augen zu ihr auf¬
zuſchlagen. Und dennoch ſah er Alles, was um ihn
her vorging, und der Plan der Baronin blieb für ihn
nicht lange ein Geheimniß. Sein Haß gegen Felix
kannte keine Grenzen, und er gab ſich ſehr wenig Mühe,
dieſen Haß zu verbergen. Er forderte den Roué bei
jeder Gelegenheit durch höhniſche und ſatyriſche Be¬
merkungen heraus, immer in der Hoffnung, Felix werde
doch endlich einmal den hingeworfenen Handſchuh auf¬
heben; aber dieſer ließ ſich wie Alle, welche im Grunde
ſich und die ganze Welt verachten, ſehr viel gefallen
und erwiederte des Knaben grauſame Sarkasmen mit
mehr oder weniger guten Witzen, ſo daß er die Lacher
ſtets auf ſeiner Seite behielt. Und dann hatte er auf
der andern Seite doch auch wieder eine viel zu gute
Meinung von ſich, um ſich mit einem Gegner, den
er ſo tief unter ſich glaubte, in einen ernſtlichen Streit
einzulaſſen. Wäre er geſtern Nacht auf Bruno, der
ihm ſein Rendezvous geſtört hatte, nicht ſo ärgerlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/192>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.