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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

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Herz war wie ein Mann, der, was er Liebstes und
Theuerstes hat, auf seinen Schultern vor dem ver¬
folgenden Feinde davonträgt und schaudernd dem Augen¬
blick entgegensieht, wo er unter der Last zusammen¬
brechen wird. Er wagte Helene's Namen nicht mehr
auszusprechen, aus Furcht sein Geheimniß zu ver¬
rathen; er wagte nicht mehr, die Augen zu ihr auf¬
zuschlagen. Und dennoch sah er Alles, was um ihn
her vorging, und der Plan der Baronin blieb für ihn
nicht lange ein Geheimniß. Sein Haß gegen Felix
kannte keine Grenzen, und er gab sich sehr wenig Mühe,
diesen Haß zu verbergen. Er forderte den Roue bei
jeder Gelegenheit durch höhnische und satyrische Be¬
merkungen heraus, immer in der Hoffnung, Felix werde
doch endlich einmal den hingeworfenen Handschuh auf¬
heben; aber dieser ließ sich wie Alle, welche im Grunde
sich und die ganze Welt verachten, sehr viel gefallen
und erwiederte des Knaben grausame Sarkasmen mit
mehr oder weniger guten Witzen, so daß er die Lacher
stets auf seiner Seite behielt. Und dann hatte er auf
der andern Seite doch auch wieder eine viel zu gute
Meinung von sich, um sich mit einem Gegner, den
er so tief unter sich glaubte, in einen ernstlichen Streit
einzulassen. Wäre er gestern Nacht auf Bruno, der
ihm sein Rendezvous gestört hatte, nicht so ärgerlich

Herz war wie ein Mann, der, was er Liebſtes und
Theuerſtes hat, auf ſeinen Schultern vor dem ver¬
folgenden Feinde davonträgt und ſchaudernd dem Augen¬
blick entgegenſieht, wo er unter der Laſt zuſammen¬
brechen wird. Er wagte Helene's Namen nicht mehr
auszuſprechen, aus Furcht ſein Geheimniß zu ver¬
rathen; er wagte nicht mehr, die Augen zu ihr auf¬
zuſchlagen. Und dennoch ſah er Alles, was um ihn
her vorging, und der Plan der Baronin blieb für ihn
nicht lange ein Geheimniß. Sein Haß gegen Felix
kannte keine Grenzen, und er gab ſich ſehr wenig Mühe,
dieſen Haß zu verbergen. Er forderte den Roué bei
jeder Gelegenheit durch höhniſche und ſatyriſche Be¬
merkungen heraus, immer in der Hoffnung, Felix werde
doch endlich einmal den hingeworfenen Handſchuh auf¬
heben; aber dieſer ließ ſich wie Alle, welche im Grunde
ſich und die ganze Welt verachten, ſehr viel gefallen
und erwiederte des Knaben grauſame Sarkasmen mit
mehr oder weniger guten Witzen, ſo daß er die Lacher
ſtets auf ſeiner Seite behielt. Und dann hatte er auf
der andern Seite doch auch wieder eine viel zu gute
Meinung von ſich, um ſich mit einem Gegner, den
er ſo tief unter ſich glaubte, in einen ernſtlichen Streit
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[182/0192] Herz war wie ein Mann, der, was er Liebſtes und Theuerſtes hat, auf ſeinen Schultern vor dem ver¬ folgenden Feinde davonträgt und ſchaudernd dem Augen¬ blick entgegenſieht, wo er unter der Laſt zuſammen¬ brechen wird. Er wagte Helene's Namen nicht mehr auszuſprechen, aus Furcht ſein Geheimniß zu ver¬ rathen; er wagte nicht mehr, die Augen zu ihr auf¬ zuſchlagen. Und dennoch ſah er Alles, was um ihn her vorging, und der Plan der Baronin blieb für ihn nicht lange ein Geheimniß. Sein Haß gegen Felix kannte keine Grenzen, und er gab ſich ſehr wenig Mühe, dieſen Haß zu verbergen. Er forderte den Roué bei jeder Gelegenheit durch höhniſche und ſatyriſche Be¬ merkungen heraus, immer in der Hoffnung, Felix werde doch endlich einmal den hingeworfenen Handſchuh auf¬ heben; aber dieſer ließ ſich wie Alle, welche im Grunde ſich und die ganze Welt verachten, ſehr viel gefallen und erwiederte des Knaben grauſame Sarkasmen mit mehr oder weniger guten Witzen, ſo daß er die Lacher ſtets auf ſeiner Seite behielt. Und dann hatte er auf der andern Seite doch auch wieder eine viel zu gute Meinung von ſich, um ſich mit einem Gegner, den er ſo tief unter ſich glaubte, in einen ernſtlichen Streit einzulaſſen. Wäre er geſtern Nacht auf Bruno, der ihm ſein Rendezvous geſtört hatte, nicht ſo ärgerlich

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/192>, abgerufen am 22.12.2024.