"Sind Sie sicher, mein Fräulein, daß Sie nicht selbst noch in diesem Augenblick Komödie spielen?"
Emilie antwortete nicht. Sie sank mit einem leisen Stöhnen auf die Bank, preßte ihr Gesicht in die Hände und schluchzte, als ob ihr das Herz brechen wollte.
Oswald gehörte nicht zu den Männern, die un¬ gerührt ein Weib können weinen sehen. Er trat dicht vor die Unglückliche und sagte in viel milderem Ton:
"Wollen Sie mir ein paar Augenblicke ruhig zu¬ hören?"
Emilien's einzige Antwort war ein krampfhaftes Schluchzen.
"Glauben Sie mir," fuhr Oswald fort; "ich be¬ daure von ganzem Herzen, daß eine solche Scene wie diese möglich wurde, und ich fühle, daß ich einzig und allein die Schuld davon trage. Hätte ich Ihnen an jenem Abend gesagt, was ich Ihnen heute sagen muß, Ihr Stolz würde Alles längst entschieden haben. -- Ich kann Sie nicht lieben; das klingt sehr wunderlich gegenüber einem so holden, liebenswürdigen Geschöpf, aber es ist dennoch wahr. Warum wollen Sie nun Ihre Liebe an Jemand verschwenden, der sich des kostbaren Geschenkes so ganz unwürdig zeigt? warum nicht Jemand damit beglücken, der mehr Talent zum Glücklichsein und Beglücktwerden hat, als ich? -- Ich
„Sind Sie ſicher, mein Fräulein, daß Sie nicht ſelbſt noch in dieſem Augenblick Komödie ſpielen?“
Emilie antwortete nicht. Sie ſank mit einem leiſen Stöhnen auf die Bank, preßte ihr Geſicht in die Hände und ſchluchzte, als ob ihr das Herz brechen wollte.
Oswald gehörte nicht zu den Männern, die un¬ gerührt ein Weib können weinen ſehen. Er trat dicht vor die Unglückliche und ſagte in viel milderem Ton:
„Wollen Sie mir ein paar Augenblicke ruhig zu¬ hören?“
Emilien's einzige Antwort war ein krampfhaftes Schluchzen.
„Glauben Sie mir,“ fuhr Oswald fort; „ich be¬ daure von ganzem Herzen, daß eine ſolche Scene wie dieſe möglich wurde, und ich fühle, daß ich einzig und allein die Schuld davon trage. Hätte ich Ihnen an jenem Abend geſagt, was ich Ihnen heute ſagen muß, Ihr Stolz würde Alles längſt entſchieden haben. — Ich kann Sie nicht lieben; das klingt ſehr wunderlich gegenüber einem ſo holden, liebenswürdigen Geſchöpf, aber es iſt dennoch wahr. Warum wollen Sie nun Ihre Liebe an Jemand verſchwenden, der ſich des koſtbaren Geſchenkes ſo ganz unwürdig zeigt? warum nicht Jemand damit beglücken, der mehr Talent zum Glücklichſein und Beglücktwerden hat, als ich? — Ich
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0079"n="69"/><p>„Sind Sie ſicher, mein Fräulein, daß Sie nicht<lb/>ſelbſt noch in dieſem Augenblick Komödie ſpielen?“</p><lb/><p>Emilie antwortete nicht. Sie ſank mit einem leiſen<lb/>
Stöhnen auf die Bank, preßte ihr Geſicht in die Hände<lb/>
und ſchluchzte, als ob ihr das Herz brechen wollte.</p><lb/><p>Oswald gehörte nicht zu den Männern, die un¬<lb/>
gerührt ein Weib können weinen ſehen. Er trat dicht<lb/>
vor die Unglückliche und ſagte in viel milderem Ton:</p><lb/><p>„Wollen Sie mir ein paar Augenblicke ruhig zu¬<lb/>
hören?“</p><lb/><p>Emilien's einzige Antwort war ein krampfhaftes<lb/>
Schluchzen.</p><lb/><p>„Glauben Sie mir,“ fuhr Oswald fort; „ich be¬<lb/>
daure von ganzem Herzen, daß eine ſolche Scene wie<lb/>
dieſe möglich wurde, und ich fühle, daß ich einzig und<lb/>
allein die Schuld davon trage. Hätte ich Ihnen an<lb/>
jenem Abend geſagt, was ich Ihnen heute ſagen muß,<lb/>
Ihr Stolz würde Alles längſt entſchieden haben. —<lb/>
Ich kann Sie nicht lieben; das klingt ſehr wunderlich<lb/>
gegenüber einem ſo holden, liebenswürdigen Geſchöpf,<lb/>
aber es iſt dennoch wahr. Warum wollen Sie nun<lb/>
Ihre Liebe an Jemand verſchwenden, der ſich des<lb/>
koſtbaren Geſchenkes ſo ganz unwürdig zeigt? warum<lb/>
nicht Jemand damit beglücken, der mehr Talent zum<lb/>
Glücklichſein und Beglücktwerden hat, als ich? — Ich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[69/0079]
„Sind Sie ſicher, mein Fräulein, daß Sie nicht
ſelbſt noch in dieſem Augenblick Komödie ſpielen?“
Emilie antwortete nicht. Sie ſank mit einem leiſen
Stöhnen auf die Bank, preßte ihr Geſicht in die Hände
und ſchluchzte, als ob ihr das Herz brechen wollte.
Oswald gehörte nicht zu den Männern, die un¬
gerührt ein Weib können weinen ſehen. Er trat dicht
vor die Unglückliche und ſagte in viel milderem Ton:
„Wollen Sie mir ein paar Augenblicke ruhig zu¬
hören?“
Emilien's einzige Antwort war ein krampfhaftes
Schluchzen.
„Glauben Sie mir,“ fuhr Oswald fort; „ich be¬
daure von ganzem Herzen, daß eine ſolche Scene wie
dieſe möglich wurde, und ich fühle, daß ich einzig und
allein die Schuld davon trage. Hätte ich Ihnen an
jenem Abend geſagt, was ich Ihnen heute ſagen muß,
Ihr Stolz würde Alles längſt entſchieden haben. —
Ich kann Sie nicht lieben; das klingt ſehr wunderlich
gegenüber einem ſo holden, liebenswürdigen Geſchöpf,
aber es iſt dennoch wahr. Warum wollen Sie nun
Ihre Liebe an Jemand verſchwenden, der ſich des
koſtbaren Geſchenkes ſo ganz unwürdig zeigt? warum
nicht Jemand damit beglücken, der mehr Talent zum
Glücklichſein und Beglücktwerden hat, als ich? — Ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/79>, abgerufen am 17.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.