Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.ihren Tod. Alle Jünglinge und Mädchen trugen Wilhelmine, die Frucht ihrer unglücklichen ihren Tod. Alle Juͤnglinge und Maͤdchen trugen Wilhelmine, die Frucht ihrer ungluͤcklichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0114" n="100"/> ihren Tod. Alle Juͤnglinge und Maͤdchen trugen<lb/> ihrem Andenken zu Ehren Trauerkleider, und be-<lb/> traten unter dieſer Zeit nie den Tanzboden. Der<lb/> Pfarrer zierte ihre Ruheſtaͤtte mit einem weißen,<lb/> einfachen Steine, worauf die Worte ſtehen:<lb/><hi rendition="#g">Himmel und Hoͤlle trennte, aber der<lb/> Tod vereinigt ſie</hi>! — — Wenn man jetzt<lb/> dieſe Schrift leſen will, ſo muß man ſich durch<lb/> eine dichte Roſenhecke hindurch draͤngen, welche<lb/> die Jungfrauen des Dorfs dahin pflanzten, und<lb/> immer noch mit gleicher Sorgfalt pflegen.</p><lb/> <p>Wilhelmine, die Frucht ihrer ungluͤcklichen<lb/> Liebe, ward von dem Pfarrer des Orts, welcher<lb/> nie heirathete, zu ſeinem Kinde angenommen,<lb/> und mit einer Sorgfalt erzogen, die ſein Anden-<lb/> ken noch im Grabe ehrt. Ich ſah ſie vor unge-<lb/> faͤhr zehn Jahren, ſie war damals ſchon lange<lb/> die Gattin eines Gerichtsverwalters, der ſie innig<lb/> und zaͤrtlich zu lieben ſchien. Ihre vielen und<lb/> herrlichen Kenntniſſe, ihr ſanfter, liebenswuͤrdiger<lb/> Karakter hatten ihr die Bewunderung und Hoch-<lb/> achtung der ganzen Gegend erworben. Sie war<lb/> noch ſehr ſchoͤn, aber auf ihrer Stirne ruhten<lb/> Kennzeichen innerer Schwermuth, welche das<lb/> ſanfte Laͤcheln ihres Mundes nicht wegzuwiſchen<lb/> vermochte. Ihr Gatte verſicherte mich, daß er<lb/> ſehr gluͤcklich mit ihr lebe, ſich aber huͤten muͤſſe,<lb/> ſie nur mit unbedeutenden Worten zu kraͤnken<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [100/0114]
ihren Tod. Alle Juͤnglinge und Maͤdchen trugen
ihrem Andenken zu Ehren Trauerkleider, und be-
traten unter dieſer Zeit nie den Tanzboden. Der
Pfarrer zierte ihre Ruheſtaͤtte mit einem weißen,
einfachen Steine, worauf die Worte ſtehen:
Himmel und Hoͤlle trennte, aber der
Tod vereinigt ſie! — — Wenn man jetzt
dieſe Schrift leſen will, ſo muß man ſich durch
eine dichte Roſenhecke hindurch draͤngen, welche
die Jungfrauen des Dorfs dahin pflanzten, und
immer noch mit gleicher Sorgfalt pflegen.
Wilhelmine, die Frucht ihrer ungluͤcklichen
Liebe, ward von dem Pfarrer des Orts, welcher
nie heirathete, zu ſeinem Kinde angenommen,
und mit einer Sorgfalt erzogen, die ſein Anden-
ken noch im Grabe ehrt. Ich ſah ſie vor unge-
faͤhr zehn Jahren, ſie war damals ſchon lange
die Gattin eines Gerichtsverwalters, der ſie innig
und zaͤrtlich zu lieben ſchien. Ihre vielen und
herrlichen Kenntniſſe, ihr ſanfter, liebenswuͤrdiger
Karakter hatten ihr die Bewunderung und Hoch-
achtung der ganzen Gegend erworben. Sie war
noch ſehr ſchoͤn, aber auf ihrer Stirne ruhten
Kennzeichen innerer Schwermuth, welche das
ſanfte Laͤcheln ihres Mundes nicht wegzuwiſchen
vermochte. Ihr Gatte verſicherte mich, daß er
ſehr gluͤcklich mit ihr lebe, ſich aber huͤten muͤſſe,
ſie nur mit unbedeutenden Worten zu kraͤnken
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