Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

ihr betrügt euch alle, ich werde doch die Stube
nicht verlassen, mich nicht dem Gespötte der Leute
blos stellen. Geh fort, ich mag dich auch nicht
mehr sehen.

Marie. (weinend) Leb wohl! Gott
schenke dir bald deinen Verstand wieder.

Jakob. Verstand? Verstand? den hab ich
vollkommen, sonst könnte ich eure List nicht ein-
sehen. -- --

Marie schied nun von ihm, und hinterbrachte
seinen Anverwandten alles getreu, was sie mit
ihm gesprochen hatte. Der Wundarzt, welcher
auch zugegen war, benutzte diese Entdeckung auf
der Stelle, er gieng zu Jakob, bedauerte seinen
unglücklichen Zustand, und stellte sich, als ob er
vollkommen davon überzeugt wäre; dadurch ge-
wann er sogleich das Vertrauen des Wahnsinni-
gen, der nun zum erstenmal mit ihm sprach.

Wundarzt. Mach dir nichts daraus, lie-
ber Jakob, es ist nicht der erste Fall, der mir in
meiner Praxis vorkommt, ich habe schon drei ähn-
liche Kranke gehabt, und zwei davon glücklich
kurirt.

Jakob. Ach, wenn das möglich wäre!
die Hälfte meines Vermögens wollte ich dir
schenken.

Wundarzt. Ich nehme weniger, und ku-
rire dich doch! Morgen früh bringe ich dir ein

großes,

ihr betruͤgt euch alle, ich werde doch die Stube
nicht verlaſſen, mich nicht dem Geſpoͤtte der Leute
blos ſtellen. Geh fort, ich mag dich auch nicht
mehr ſehen.

Marie. (weinend) Leb wohl! Gott
ſchenke dir bald deinen Verſtand wieder.

Jakob. Verſtand? Verſtand? den hab ich
vollkommen, ſonſt koͤnnte ich eure Liſt nicht ein-
ſehen. — —

Marie ſchied nun von ihm, und hinterbrachte
ſeinen Anverwandten alles getreu, was ſie mit
ihm geſprochen hatte. Der Wundarzt, welcher
auch zugegen war, benutzte dieſe Entdeckung auf
der Stelle, er gieng zu Jakob, bedauerte ſeinen
ungluͤcklichen Zuſtand, und ſtellte ſich, als ob er
vollkommen davon uͤberzeugt waͤre; dadurch ge-
wann er ſogleich das Vertrauen des Wahnſinni-
gen, der nun zum erſtenmal mit ihm ſprach.

Wundarzt. Mach dir nichts daraus, lie-
ber Jakob, es iſt nicht der erſte Fall, der mir in
meiner Praxis vorkommt, ich habe ſchon drei aͤhn-
liche Kranke gehabt, und zwei davon gluͤcklich
kurirt.

Jakob. Ach, wenn das moͤglich waͤre!
die Haͤlfte meines Vermoͤgens wollte ich dir
ſchenken.

Wundarzt. Ich nehme weniger, und ku-
rire dich doch! Morgen fruͤh bringe ich dir ein

großes,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0126" n="112"/>
ihr betru&#x0364;gt euch alle, ich werde doch die Stube<lb/>
nicht                     verla&#x017F;&#x017F;en, mich nicht dem Ge&#x017F;po&#x0364;tte der Leute<lb/>
blos &#x017F;tellen. Geh fort, ich                     mag dich auch nicht<lb/>
mehr &#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Marie. (weinend)</hi> Leb wohl! Gott<lb/>
&#x017F;chenke dir bald                     deinen Ver&#x017F;tand wieder.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Jakob</hi>. Ver&#x017F;tand? Ver&#x017F;tand? den hab ich<lb/>
vollkommen,                     &#x017F;on&#x017F;t ko&#x0364;nnte ich eure Li&#x017F;t nicht ein-<lb/>
&#x017F;ehen. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Marie &#x017F;chied nun von ihm, und hinterbrachte<lb/>
&#x017F;einen Anverwandten alles getreu,                     was &#x017F;ie mit<lb/>
ihm ge&#x017F;prochen hatte. Der Wundarzt, welcher<lb/>
auch zugegen                     war, benutzte die&#x017F;e Entdeckung auf<lb/>
der Stelle, er gieng zu Jakob, bedauerte                     &#x017F;einen<lb/>
unglu&#x0364;cklichen Zu&#x017F;tand, und &#x017F;tellte &#x017F;ich, als ob er<lb/>
vollkommen                     davon u&#x0364;berzeugt wa&#x0364;re; dadurch ge-<lb/>
wann er &#x017F;ogleich das Vertrauen des                     Wahn&#x017F;inni-<lb/>
gen, der nun zum er&#x017F;tenmal mit ihm &#x017F;prach.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Wundarzt</hi>. Mach dir nichts daraus, lie-<lb/>
ber Jakob, es                     i&#x017F;t nicht der er&#x017F;te Fall, der mir in<lb/>
meiner Praxis vorkommt, ich habe &#x017F;chon                     drei a&#x0364;hn-<lb/>
liche Kranke gehabt, und zwei davon glu&#x0364;cklich<lb/>
kurirt.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Jakob</hi>. Ach, wenn das mo&#x0364;glich wa&#x0364;re!<lb/>
die Ha&#x0364;lfte                     meines Vermo&#x0364;gens wollte ich dir<lb/>
&#x017F;chenken.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Wundarzt</hi>. Ich nehme weniger, und ku-<lb/>
rire dich doch!                     Morgen fru&#x0364;h bringe ich dir ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">großes,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0126] ihr betruͤgt euch alle, ich werde doch die Stube nicht verlaſſen, mich nicht dem Geſpoͤtte der Leute blos ſtellen. Geh fort, ich mag dich auch nicht mehr ſehen. Marie. (weinend) Leb wohl! Gott ſchenke dir bald deinen Verſtand wieder. Jakob. Verſtand? Verſtand? den hab ich vollkommen, ſonſt koͤnnte ich eure Liſt nicht ein- ſehen. — — Marie ſchied nun von ihm, und hinterbrachte ſeinen Anverwandten alles getreu, was ſie mit ihm geſprochen hatte. Der Wundarzt, welcher auch zugegen war, benutzte dieſe Entdeckung auf der Stelle, er gieng zu Jakob, bedauerte ſeinen ungluͤcklichen Zuſtand, und ſtellte ſich, als ob er vollkommen davon uͤberzeugt waͤre; dadurch ge- wann er ſogleich das Vertrauen des Wahnſinni- gen, der nun zum erſtenmal mit ihm ſprach. Wundarzt. Mach dir nichts daraus, lie- ber Jakob, es iſt nicht der erſte Fall, der mir in meiner Praxis vorkommt, ich habe ſchon drei aͤhn- liche Kranke gehabt, und zwei davon gluͤcklich kurirt. Jakob. Ach, wenn das moͤglich waͤre! die Haͤlfte meines Vermoͤgens wollte ich dir ſchenken. Wundarzt. Ich nehme weniger, und ku- rire dich doch! Morgen fruͤh bringe ich dir ein großes,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/126
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/126>, abgerufen am 26.11.2024.