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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

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Knechts Glauben beimessen? Nicht vielmehr die-
sen für wahnsinnig halten sollte? Wenigstens
schien des letztern Physiognomie nicht zu wider-
sprechen, da des grauen Mannes seine hingegen
offenbar das Gegentheil bewieß. Um nicht län-
ger im Labyrinthe ungewisser Zweifel umher zu
irren, eilte ich in's Schloß; ich erblickte unter
mehrern Gästen den so redlichen und würdigen
Pfarrer des Orts und führte ihn sogleich an's
Fenster.

Ich. (mit gespannter Erwartung)
Kennen Sie den grauen Mann, welcher mit sei-
nem Stabe am Boden zeichnet?

Der Pfarrer. Ich kenne ihn.

Ich. Wie heißt er? Wer ist er?

Der Pfarrer. (lächelnd) Ein großer,
ein wichtiger Mann!

Ich. (mit innerer Selbstzufrieden-
heit)
Dacht's ja gleich, daß mich mein Bischen
physiognomische Kenntniß nicht trügen könne.

Der Pfarrer. Und für was nahm ihn diese?

Ich. Für einen großen Philosophen, für ei-
nen tiefdenkenden Forscher, für -- --

Der Pfarrer. O gefehlt, weit gefehlt!

Ich. Gefehlt? Sollte er mehr noch seyn?

Pfarrer. Allerdings! Versteht sich aber in
seiner Einbildung.


Knechts Glauben beimeſſen? Nicht vielmehr die-
ſen fuͤr wahnſinnig halten ſollte? Wenigſtens
ſchien des letztern Phyſiognomie nicht zu wider-
ſprechen, da des grauen Mannes ſeine hingegen
offenbar das Gegentheil bewieß. Um nicht laͤn-
ger im Labyrinthe ungewiſſer Zweifel umher zu
irren, eilte ich in's Schloß; ich erblickte unter
mehrern Gaͤſten den ſo redlichen und wuͤrdigen
Pfarrer des Orts und fuͤhrte ihn ſogleich an's
Fenſter.

Ich. (mit geſpannter Erwartung)
Kennen Sie den grauen Mann, welcher mit ſei-
nem Stabe am Boden zeichnet?

Der Pfarrer. Ich kenne ihn.

Ich. Wie heißt er? Wer iſt er?

Der Pfarrer. (laͤchelnd) Ein großer,
ein wichtiger Mann!

Ich. (mit innerer Selbſtzufrieden-
heit)
Dacht's ja gleich, daß mich mein Bischen
phyſiognomiſche Kenntniß nicht truͤgen koͤnne.

Der Pfarrer. Und fuͤr was nahm ihn dieſe?

Ich. Fuͤr einen großen Philoſophen, fuͤr ei-
nen tiefdenkenden Forſcher, fuͤr — —

Der Pfarrer. O gefehlt, weit gefehlt!

Ich. Gefehlt? Sollte er mehr noch ſeyn?

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[37/0051] Knechts Glauben beimeſſen? Nicht vielmehr die- ſen fuͤr wahnſinnig halten ſollte? Wenigſtens ſchien des letztern Phyſiognomie nicht zu wider- ſprechen, da des grauen Mannes ſeine hingegen offenbar das Gegentheil bewieß. Um nicht laͤn- ger im Labyrinthe ungewiſſer Zweifel umher zu irren, eilte ich in's Schloß; ich erblickte unter mehrern Gaͤſten den ſo redlichen und wuͤrdigen Pfarrer des Orts und fuͤhrte ihn ſogleich an's Fenſter. Ich. (mit geſpannter Erwartung) Kennen Sie den grauen Mann, welcher mit ſei- nem Stabe am Boden zeichnet? Der Pfarrer. Ich kenne ihn. Ich. Wie heißt er? Wer iſt er? Der Pfarrer. (laͤchelnd) Ein großer, ein wichtiger Mann! Ich. (mit innerer Selbſtzufrieden- heit) Dacht's ja gleich, daß mich mein Bischen phyſiognomiſche Kenntniß nicht truͤgen koͤnne. Der Pfarrer. Und fuͤr was nahm ihn dieſe? Ich. Fuͤr einen großen Philoſophen, fuͤr ei- nen tiefdenkenden Forſcher, fuͤr — — Der Pfarrer. O gefehlt, weit gefehlt! Ich. Gefehlt? Sollte er mehr noch ſeyn? Pfarrer. Allerdings! Verſteht ſich aber in ſeiner Einbildung.

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/51>, abgerufen am 21.11.2024.