Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.Mühe, ihre Thränen zu verbergen, der Vater Muͤhe, ihre Thraͤnen zu verbergen, der Vater <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0080" n="66"/> Muͤhe, ihre Thraͤnen zu verbergen, der Vater<lb/> ſahs, aber da Erinnerung an den guten Wilhelm<lb/> ſein Auge ſelbſt truͤbte, ſo verdachte er's der Toch-<lb/> ter um ſo weniger, weil er uͤberzeugt war, daß<lb/> die jungen Leute ſich gerne geſehen hatten, und<lb/> er wirklich nichts wuͤrde entgegen gehabt haben,<lb/> wenn Wilhelm ohne Soldatenrock mit einer Aus-<lb/> ſicht zu einem Dienſte um ſeiner Tochter Hand<lb/> geworben haͤtte. Das war aber auch alles, was<lb/> ſich der gute Alte dachte, ſein Herz, das des<lb/> jungen Maͤdchens Empfindung nach ſeinem kalten<lb/> Gefuͤhle maß, ahndete keine ſtaͤrkere, viel weni-<lb/> ger ſtrafbare Vertraulichkeit. Er hatte ſeine Kin-<lb/> der in Gottesfurcht erzogen, war von ihrem rei-<lb/> nen, tugendhaften Lebenswandel uͤberzeugt, und<lb/> hielt Abweichung davon fuͤr unmoͤglich. Er war<lb/> gutherzig genug, ihren Gram zu dulden, er<lb/> zankte nicht, wenn ſie in der Folge ſeine Suppe<lb/> verſalzte, oder ſein Lieblingsgerichte, den Eier-<lb/> kuchen, verbrannte. Des armen Lottchens Lage,<lb/> ihr ſich immer mehrendes Leiden, verdiente aber<lb/> auch dieſe Schonung, es war ſchrecklich, es war<lb/> der Erbarmung aller Menſchen wuͤrdig. Sie hat-<lb/> te zwar Staͤrke des Geiſtes genug, ſich uͤber den<lb/> Abſchied des innig Geliebten zu troͤſten, ſie beſaß<lb/> zwar Muth, ſich mit der Hofnung des gluͤcklichen<lb/> Wiederſehns zu laben, aber die marternde Ver-<lb/> muthung, daß ſie wirklich ein Pfand der Liebe<lb/> unter ihrem Herzen trage, die in jeder Stunde<lb/> der Nacht ſie weckte, mit jedem Morgen ſich neu-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [66/0080]
Muͤhe, ihre Thraͤnen zu verbergen, der Vater
ſahs, aber da Erinnerung an den guten Wilhelm
ſein Auge ſelbſt truͤbte, ſo verdachte er's der Toch-
ter um ſo weniger, weil er uͤberzeugt war, daß
die jungen Leute ſich gerne geſehen hatten, und
er wirklich nichts wuͤrde entgegen gehabt haben,
wenn Wilhelm ohne Soldatenrock mit einer Aus-
ſicht zu einem Dienſte um ſeiner Tochter Hand
geworben haͤtte. Das war aber auch alles, was
ſich der gute Alte dachte, ſein Herz, das des
jungen Maͤdchens Empfindung nach ſeinem kalten
Gefuͤhle maß, ahndete keine ſtaͤrkere, viel weni-
ger ſtrafbare Vertraulichkeit. Er hatte ſeine Kin-
der in Gottesfurcht erzogen, war von ihrem rei-
nen, tugendhaften Lebenswandel uͤberzeugt, und
hielt Abweichung davon fuͤr unmoͤglich. Er war
gutherzig genug, ihren Gram zu dulden, er
zankte nicht, wenn ſie in der Folge ſeine Suppe
verſalzte, oder ſein Lieblingsgerichte, den Eier-
kuchen, verbrannte. Des armen Lottchens Lage,
ihr ſich immer mehrendes Leiden, verdiente aber
auch dieſe Schonung, es war ſchrecklich, es war
der Erbarmung aller Menſchen wuͤrdig. Sie hat-
te zwar Staͤrke des Geiſtes genug, ſich uͤber den
Abſchied des innig Geliebten zu troͤſten, ſie beſaß
zwar Muth, ſich mit der Hofnung des gluͤcklichen
Wiederſehns zu laben, aber die marternde Ver-
muthung, daß ſie wirklich ein Pfand der Liebe
unter ihrem Herzen trage, die in jeder Stunde
der Nacht ſie weckte, mit jedem Morgen ſich neu-
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