Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Lottchen. (bebend und zitternd)
Liebster Vater, was ist Ihnen widerfahren?

Vater. (im schrecklichen weinenden
Tone)
Kind des Jammers! kannst du mir Trost
gewähren, kannst du's widerlegen, so eile, damit
dich dein sterbender Vater noch segnen kann.
(mit erhöheter Stimme) Ist's aber wahr!
-- -- O dann fliehe eilend, damit dich mein ge-
rechter Fluch nicht mehr erreicht, nicht dort auch
unglücklich macht.

Lottchen. (auf ihre Knie sinkend)
Vater! Vater!

Vater. (mit gräßlicher Stimme) So
ist's wahr? Du antwortest, du vertheidigst dich
nicht? (aufspringend) O, ich unglückseli-
ger! O, ich geschändeter! O, ich erbarmungs-
würdiger Vater! Mutter! Mutter! Dein Lieb-
ling, dein Lottchen, das du mir noch in deiner
Todesangst so dringend empfahlst, das mir um
dieser schrecklichen Stunde willen so theuer wur-
de, ist gefallen, hat Ehre und Tugend vergessen,
hat dein unbeflecktes Andenken bei der Nachwelt
gebrandmarkt, stürzt mich mit Leid und Kummer
in die Grube! -- Sie haben Recht, daß sie
Genugthuung fordern, ich muß sie leisten! --
(stößt Lottchen von sich) Weg, weg, da-
mit ich dich nicht länger sehe, sonst vermag ich's
nicht! (Lottchen will fortwanken, mit
gerührter Stimme
) Gott schütze dich vor

Lottchen. (bebend und zitternd)
Liebſter Vater, was iſt Ihnen widerfahren?

Vater. (im ſchrecklichen weinenden
Tone)
Kind des Jammers! kannſt du mir Troſt
gewaͤhren, kannſt du's widerlegen, ſo eile, damit
dich dein ſterbender Vater noch ſegnen kann.
(mit erhoͤheter Stimme) Iſt's aber wahr!
— — O dann fliehe eilend, damit dich mein ge-
rechter Fluch nicht mehr erreicht, nicht dort auch
ungluͤcklich macht.

Lottchen. (auf ihre Knie ſinkend)
Vater! Vater!

Vater. (mit graͤßlicher Stimme) So
iſt's wahr? Du antworteſt, du vertheidigſt dich
nicht? (aufſpringend) O, ich ungluͤckſeli-
ger! O, ich geſchaͤndeter! O, ich erbarmungs-
wuͤrdiger Vater! Mutter! Mutter! Dein Lieb-
ling, dein Lottchen, das du mir noch in deiner
Todesangſt ſo dringend empfahlſt, das mir um
dieſer ſchrecklichen Stunde willen ſo theuer wur-
de, iſt gefallen, hat Ehre und Tugend vergeſſen,
hat dein unbeflecktes Andenken bei der Nachwelt
gebrandmarkt, ſtuͤrzt mich mit Leid und Kummer
in die Grube! — Sie haben Recht, daß ſie
Genugthuung fordern, ich muß ſie leiſten! —
(ſtoͤßt Lottchen von ſich) Weg, weg, da-
mit ich dich nicht laͤnger ſehe, ſonſt vermag ich's
nicht! (Lottchen will fortwanken, mit
geruͤhrter Stimme
) Gott ſchuͤtze dich vor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0085" n="71"/>
        <p><hi rendition="#g">Lottchen. (bebend und zitternd)</hi><lb/>
Lieb&#x017F;ter Vater, was                     i&#x017F;t Ihnen widerfahren?</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Vater. (im &#x017F;chrecklichen weinenden<lb/>
Tone)</hi> Kind des                     Jammers! kann&#x017F;t du mir Tro&#x017F;t<lb/>
gewa&#x0364;hren, kann&#x017F;t du's widerlegen, &#x017F;o eile,                     damit<lb/>
dich dein &#x017F;terbender Vater noch &#x017F;egnen kann.<lb/>
(<hi rendition="#g">mit erho&#x0364;heter Stimme</hi>) I&#x017F;t's aber wahr!<lb/>
&#x2014; &#x2014; O dann fliehe eilend,                     damit dich mein ge-<lb/>
rechter Fluch nicht mehr erreicht, nicht dort                     auch<lb/>
unglu&#x0364;cklich macht.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Lottchen. (auf ihre Knie &#x017F;inkend)</hi><lb/>
Vater! Vater!</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Vater. (mit gra&#x0364;ßlicher Stimme)</hi> So<lb/>
i&#x017F;t's wahr? Du                     antworte&#x017F;t, du vertheidig&#x017F;t dich<lb/>
nicht? (<hi rendition="#g">auf&#x017F;pringend</hi>) O, ich unglu&#x0364;ck&#x017F;eli-<lb/>
ger! O, ich ge&#x017F;cha&#x0364;ndeter! O,                     ich erbarmungs-<lb/>
wu&#x0364;rdiger Vater! Mutter! Mutter! Dein Lieb-<lb/>
ling, dein                     Lottchen, das du mir noch in deiner<lb/>
Todesang&#x017F;t &#x017F;o dringend empfahl&#x017F;t, das                     mir um<lb/>
die&#x017F;er &#x017F;chrecklichen Stunde willen &#x017F;o theuer wur-<lb/>
de, i&#x017F;t                     gefallen, hat Ehre und Tugend verge&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
hat dein unbeflecktes Andenken bei                     der Nachwelt<lb/>
gebrandmarkt, &#x017F;tu&#x0364;rzt mich mit Leid und Kummer<lb/>
in die                     Grube! &#x2014; Sie haben Recht, daß &#x017F;ie<lb/>
Genugthuung fordern, ich muß &#x017F;ie lei&#x017F;ten!                         &#x2014;<lb/>
(<hi rendition="#g">&#x017F;to&#x0364;ßt Lottchen von &#x017F;ich</hi>) Weg, weg,                     da-<lb/>
mit ich dich nicht la&#x0364;nger &#x017F;ehe, &#x017F;on&#x017F;t vermag ich's<lb/>
nicht! (<hi rendition="#g">Lottchen will fortwanken, mit<lb/>
geru&#x0364;hrter Stimme</hi>)                     Gott &#x017F;chu&#x0364;tze dich vor<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0085] Lottchen. (bebend und zitternd) Liebſter Vater, was iſt Ihnen widerfahren? Vater. (im ſchrecklichen weinenden Tone) Kind des Jammers! kannſt du mir Troſt gewaͤhren, kannſt du's widerlegen, ſo eile, damit dich dein ſterbender Vater noch ſegnen kann. (mit erhoͤheter Stimme) Iſt's aber wahr! — — O dann fliehe eilend, damit dich mein ge- rechter Fluch nicht mehr erreicht, nicht dort auch ungluͤcklich macht. Lottchen. (auf ihre Knie ſinkend) Vater! Vater! Vater. (mit graͤßlicher Stimme) So iſt's wahr? Du antworteſt, du vertheidigſt dich nicht? (aufſpringend) O, ich ungluͤckſeli- ger! O, ich geſchaͤndeter! O, ich erbarmungs- wuͤrdiger Vater! Mutter! Mutter! Dein Lieb- ling, dein Lottchen, das du mir noch in deiner Todesangſt ſo dringend empfahlſt, das mir um dieſer ſchrecklichen Stunde willen ſo theuer wur- de, iſt gefallen, hat Ehre und Tugend vergeſſen, hat dein unbeflecktes Andenken bei der Nachwelt gebrandmarkt, ſtuͤrzt mich mit Leid und Kummer in die Grube! — Sie haben Recht, daß ſie Genugthuung fordern, ich muß ſie leiſten! — (ſtoͤßt Lottchen von ſich) Weg, weg, da- mit ich dich nicht laͤnger ſehe, ſonſt vermag ich's nicht! (Lottchen will fortwanken, mit geruͤhrter Stimme) Gott ſchuͤtze dich vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/85
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/85>, abgerufen am 21.11.2024.