Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.daß seine schöne Gestalt auf ihre Sinne, sein ed- Der angenehme, empfindungsvolle Ton, mit Karoline, so nannte sich das reiche, aber auch daß ſeine ſchoͤne Geſtalt auf ihre Sinne, ſein ed- Der angenehme, empfindungsvolle Ton, mit Karoline, ſo nannte ſich das reiche, aber auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0112" n="104"/> daß ſeine ſchoͤne Geſtalt auf ihre Sinne, ſein ed-<lb/> les, ſtilles Betragen auf ihr Herz mit Macht ge-<lb/> wirkt habe. Konrad wohnte mit ihr in einem<lb/> Hauſe, ſein Meiſter, bei welchem er in Arbeit<lb/> ſtand, hatte ein kleines Hintergebaͤude in der<lb/> Miethe, welches mit dem groͤßern durch einen<lb/> Gang verbunden war; uͤber dieſen mußte man<lb/> gehen, wenn man auf die Gaſſe gelangen wollte,<lb/> uͤber dieſen gieng Konrad ſelten, ohne die Toch-<lb/> ter des Hauſes ſehen und gruͤßen zu muͤſſen.<lb/> Sie erwiederte ſeinen Gruß ſtets mit großer<lb/> Freundlichkeit, als aber der ſchuͤchterne Juͤngling<lb/> nie mehr als dieſen wagte, ſo verſuchte ſies ernſt-<lb/> licher ihm Rede abzugewinnen. Sie forſchte nach<lb/> ſeinem Namen und Vaterlande, fragte nach ſei-<lb/> nen Freunden und Bekannten, und ließ ſich nach<lb/> und nach ſeine ganze, obgleich kleine, aber doch<lb/> immer merkwuͤrdige Lebensgeſchichte erzaͤhlen.</p><lb/> <p>Der angenehme, empfindungsvolle Ton, mit<lb/> welchem er dieſe Geſchichte erzaͤhlte, die Thraͤnen,<lb/> welche bei der Erinnerung an ſeine theuern Pfleg-<lb/> eltern ſeinen Augen entſtuͤrzten, wirkten aͤußerſt<lb/> maͤchtig auf das unbefangne Herz des empfindſa-<lb/> men Maͤdchens. Er war ſo ſchoͤn, und nebenbei<lb/> ſo unverdient ungluͤcklich! Beides ſind Eigen-<lb/> ſchaften, an welchen Stolz und Eitelkeit des Lie-<lb/> be fuͤhlenden Maͤdchens ſehr oft ſcheitert, und der<lb/> keimenden Liebe willig weicht.</p><lb/> <p>Karoline, ſo nannte ſich das reiche, aber auch<lb/> ſchoͤne Maͤdchen, hinderte dieſe Wirkung nicht,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [104/0112]
daß ſeine ſchoͤne Geſtalt auf ihre Sinne, ſein ed-
les, ſtilles Betragen auf ihr Herz mit Macht ge-
wirkt habe. Konrad wohnte mit ihr in einem
Hauſe, ſein Meiſter, bei welchem er in Arbeit
ſtand, hatte ein kleines Hintergebaͤude in der
Miethe, welches mit dem groͤßern durch einen
Gang verbunden war; uͤber dieſen mußte man
gehen, wenn man auf die Gaſſe gelangen wollte,
uͤber dieſen gieng Konrad ſelten, ohne die Toch-
ter des Hauſes ſehen und gruͤßen zu muͤſſen.
Sie erwiederte ſeinen Gruß ſtets mit großer
Freundlichkeit, als aber der ſchuͤchterne Juͤngling
nie mehr als dieſen wagte, ſo verſuchte ſies ernſt-
licher ihm Rede abzugewinnen. Sie forſchte nach
ſeinem Namen und Vaterlande, fragte nach ſei-
nen Freunden und Bekannten, und ließ ſich nach
und nach ſeine ganze, obgleich kleine, aber doch
immer merkwuͤrdige Lebensgeſchichte erzaͤhlen.
Der angenehme, empfindungsvolle Ton, mit
welchem er dieſe Geſchichte erzaͤhlte, die Thraͤnen,
welche bei der Erinnerung an ſeine theuern Pfleg-
eltern ſeinen Augen entſtuͤrzten, wirkten aͤußerſt
maͤchtig auf das unbefangne Herz des empfindſa-
men Maͤdchens. Er war ſo ſchoͤn, und nebenbei
ſo unverdient ungluͤcklich! Beides ſind Eigen-
ſchaften, an welchen Stolz und Eitelkeit des Lie-
be fuͤhlenden Maͤdchens ſehr oft ſcheitert, und der
keimenden Liebe willig weicht.
Karoline, ſo nannte ſich das reiche, aber auch
ſchoͤne Maͤdchen, hinderte dieſe Wirkung nicht,
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