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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

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der Männer als höchst gefährlich geschildert, und
doch suchte sie solche jetzt rastlos, wenn sie unter
denselben den geliebten Schaafmeister erblickte.
Ihr Auge weinte, ihr Herz trauerte, wenn er
ihr nur gleichgültig antwortete, und nicht zu füh-
len schien, was sie so lebhaft empfand.

Sie schloß bald enge Freundschaft mit seinem
Weibe, und mehrte dadurch ihre Quaal um ein
Großes, weil sie deutlich überzeugt wurde, daß
der Gatte sie herzlich und innig liebe.

Als er dieß einmal in ihrer Gegenwart laut
versicherte, und sie in tobender Eifersucht nach
Hause eilte, da tröstete sie aufs neue der feste
Gedanke: Er muß doch dein Mann werden!

Von dieser Zeit an mied sie sein Haus, seine
Gesellschaft, suchte Einsamkeit, fand nur in die-
ser Vergnügen, und schiens ruhig zu erwarten,
wenn die wahrheitsvolle Ahndung in Erfüllung
gehen würde.

Schrecklich stürmte es in ihrem Herzen, als
bald nachher der junge Ehemann auf der Pfarre
erschien, und ihr mit dem hohen, unverkennba-
ren Freudengefühle eines glücklichen Vaters ver-
kündigte, daß sein trautes Weib ihm einen Sohn
gebohren habe. Sie erdichtete Krankheit, um
ungehindert weinen zu können, und verließ ihr
Lager nur dann, wie der Gedanke: Er muß doch
dein Mann werden! aufs neue ihre Einbildungs-
kraft fesselte und beschäftigte.


der Maͤnner als hoͤchſt gefaͤhrlich geſchildert, und
doch ſuchte ſie ſolche jetzt raſtlos, wenn ſie unter
denſelben den geliebten Schaafmeiſter erblickte.
Ihr Auge weinte, ihr Herz trauerte, wenn er
ihr nur gleichguͤltig antwortete, und nicht zu fuͤh-
len ſchien, was ſie ſo lebhaft empfand.

Sie ſchloß bald enge Freundſchaft mit ſeinem
Weibe, und mehrte dadurch ihre Quaal um ein
Großes, weil ſie deutlich uͤberzeugt wurde, daß
der Gatte ſie herzlich und innig liebe.

Als er dieß einmal in ihrer Gegenwart laut
verſicherte, und ſie in tobender Eiferſucht nach
Hauſe eilte, da troͤſtete ſie aufs neue der feſte
Gedanke: Er muß doch dein Mann werden!

Von dieſer Zeit an mied ſie ſein Haus, ſeine
Geſellſchaft, ſuchte Einſamkeit, fand nur in die-
ſer Vergnuͤgen, und ſchiens ruhig zu erwarten,
wenn die wahrheitsvolle Ahndung in Erfuͤllung
gehen wuͤrde.

Schrecklich ſtuͤrmte es in ihrem Herzen, als
bald nachher der junge Ehemann auf der Pfarre
erſchien, und ihr mit dem hohen, unverkennba-
ren Freudengefuͤhle eines gluͤcklichen Vaters ver-
kuͤndigte, daß ſein trautes Weib ihm einen Sohn
gebohren habe. Sie erdichtete Krankheit, um
ungehindert weinen zu koͤnnen, und verließ ihr
Lager nur dann, wie der Gedanke: Er muß doch
dein Mann werden! aufs neue ihre Einbildungs-
kraft feſſelte und beſchaͤftigte.


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[162/0170] der Maͤnner als hoͤchſt gefaͤhrlich geſchildert, und doch ſuchte ſie ſolche jetzt raſtlos, wenn ſie unter denſelben den geliebten Schaafmeiſter erblickte. Ihr Auge weinte, ihr Herz trauerte, wenn er ihr nur gleichguͤltig antwortete, und nicht zu fuͤh- len ſchien, was ſie ſo lebhaft empfand. Sie ſchloß bald enge Freundſchaft mit ſeinem Weibe, und mehrte dadurch ihre Quaal um ein Großes, weil ſie deutlich uͤberzeugt wurde, daß der Gatte ſie herzlich und innig liebe. Als er dieß einmal in ihrer Gegenwart laut verſicherte, und ſie in tobender Eiferſucht nach Hauſe eilte, da troͤſtete ſie aufs neue der feſte Gedanke: Er muß doch dein Mann werden! Von dieſer Zeit an mied ſie ſein Haus, ſeine Geſellſchaft, ſuchte Einſamkeit, fand nur in die- ſer Vergnuͤgen, und ſchiens ruhig zu erwarten, wenn die wahrheitsvolle Ahndung in Erfuͤllung gehen wuͤrde. Schrecklich ſtuͤrmte es in ihrem Herzen, als bald nachher der junge Ehemann auf der Pfarre erſchien, und ihr mit dem hohen, unverkennba- ren Freudengefuͤhle eines gluͤcklichen Vaters ver- kuͤndigte, daß ſein trautes Weib ihm einen Sohn gebohren habe. Sie erdichtete Krankheit, um ungehindert weinen zu koͤnnen, und verließ ihr Lager nur dann, wie der Gedanke: Er muß doch dein Mann werden! aufs neue ihre Einbildungs- kraft feſſelte und beſchaͤftigte.

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/170>, abgerufen am 22.11.2024.