ihm Zeit zu gönnen, daß er seine Sünden beich- ten könne. Er schwur den kräftigsten Eid, daß er uns nicht verrathen, vielmehr alles beitragen wolle, um den Verdacht zu entfernen.
Ich konnte nicht länger widerstehen, die voll- brachte That hatte quälende Reue in mir erweckt, auch der Bube zitterte und bebte, bat mich selbst, seine Bitte zu erfüllen. Auf mein Geheiß eilte er ins Dorf, um einige Träger herbei zu ru- fen, weil Angst und Schrecken uns unfähig mach- te, ihn fortzutragen.
Ich wollte ihn nur nach dem nächsten Bau- ernhof tragen, und dorthin einen Priester rufen lassen; da er aber in Gegenwart aller derjenigen, welche der Bube herbeigerufen hatte, den Wunsch äusserte, sein Weib nur noch einmal zu sehen, so konnte ichs nicht verhindern, daß sie seine letzte Bitte ehrten. Er sah meine Verlegenheit, merkte meine Angst, und lispelte mir, als ich ihn in die Höhe hob, leise zu, daß er seinen Schwur halten, mich mit keiner Miene verrathen würde.
Diese neue Versicherung stärkte mich kräftig, und machte mich fähig, ruhig das Ende abzuwar- ten. Ich wich nicht von seinem Lager, so lange er lebte; trat nur dann abseits, als er beichtete, und bin fest überzeugt, daß er nicht mein Verrä- ther ward. Gott hat es anders gelenkt, und ich danke ihm herzlich, weil er mich hier dulden läßt, was ich vielleicht einst dort ewig büßen müßte.
Zweit. Bändch. M
ihm Zeit zu goͤnnen, daß er ſeine Suͤnden beich- ten koͤnne. Er ſchwur den kraͤftigſten Eid, daß er uns nicht verrathen, vielmehr alles beitragen wolle, um den Verdacht zu entfernen.
Ich konnte nicht laͤnger widerſtehen, die voll- brachte That hatte quaͤlende Reue in mir erweckt, auch der Bube zitterte und bebte, bat mich ſelbſt, ſeine Bitte zu erfuͤllen. Auf mein Geheiß eilte er ins Dorf, um einige Traͤger herbei zu ru- fen, weil Angſt und Schrecken uns unfaͤhig mach- te, ihn fortzutragen.
Ich wollte ihn nur nach dem naͤchſten Bau- ernhof tragen, und dorthin einen Prieſter rufen laſſen; da er aber in Gegenwart aller derjenigen, welche der Bube herbeigerufen hatte, den Wunſch aͤuſſerte, ſein Weib nur noch einmal zu ſehen, ſo konnte ichs nicht verhindern, daß ſie ſeine letzte Bitte ehrten. Er ſah meine Verlegenheit, merkte meine Angſt, und lispelte mir, als ich ihn in die Hoͤhe hob, leiſe zu, daß er ſeinen Schwur halten, mich mit keiner Miene verrathen wuͤrde.
Dieſe neue Verſicherung ſtaͤrkte mich kraͤftig, und machte mich faͤhig, ruhig das Ende abzuwar- ten. Ich wich nicht von ſeinem Lager, ſo lange er lebte; trat nur dann abſeits, als er beichtete, und bin feſt uͤberzeugt, daß er nicht mein Verraͤ- ther ward. Gott hat es anders gelenkt, und ich danke ihm herzlich, weil er mich hier dulden laͤßt, was ich vielleicht einſt dort ewig buͤßen muͤßte.
Zweit. Baͤndch. M
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0185"n="177"/>
ihm Zeit zu goͤnnen, daß er ſeine Suͤnden beich-<lb/>
ten koͤnne. Er ſchwur den kraͤftigſten Eid, daß<lb/>
er uns nicht verrathen, vielmehr alles beitragen<lb/>
wolle, um den Verdacht zu entfernen.</p><lb/><p>Ich konnte nicht laͤnger widerſtehen, die voll-<lb/>
brachte That hatte quaͤlende Reue in mir erweckt,<lb/>
auch der Bube zitterte und bebte, bat mich<lb/>ſelbſt, ſeine Bitte zu erfuͤllen. Auf mein Geheiß<lb/>
eilte er ins Dorf, um einige Traͤger herbei zu ru-<lb/>
fen, weil Angſt und Schrecken uns unfaͤhig mach-<lb/>
te, ihn fortzutragen.</p><lb/><p>Ich wollte ihn nur nach dem naͤchſten Bau-<lb/>
ernhof tragen, und dorthin einen Prieſter rufen<lb/>
laſſen; da er aber in Gegenwart aller derjenigen,<lb/>
welche der Bube herbeigerufen hatte, den Wunſch<lb/>
aͤuſſerte, ſein Weib nur noch einmal zu ſehen, ſo<lb/>
konnte ichs nicht verhindern, daß ſie ſeine letzte<lb/>
Bitte ehrten. Er ſah meine Verlegenheit, merkte<lb/>
meine Angſt, und lispelte mir, als ich ihn in die<lb/>
Hoͤhe hob, leiſe zu, daß er ſeinen Schwur halten,<lb/>
mich mit keiner Miene verrathen wuͤrde.</p><lb/><p>Dieſe neue Verſicherung ſtaͤrkte mich kraͤftig,<lb/>
und machte mich faͤhig, ruhig das Ende abzuwar-<lb/>
ten. Ich wich nicht von ſeinem Lager, ſo lange<lb/>
er lebte; trat nur dann abſeits, als er beichtete,<lb/>
und bin feſt uͤberzeugt, daß er nicht mein Verraͤ-<lb/>
ther ward. Gott hat es anders gelenkt, und ich<lb/>
danke ihm herzlich, weil er mich hier dulden laͤßt,<lb/>
was ich vielleicht einſt dort ewig buͤßen muͤßte.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">Zweit. Baͤndch. M</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[177/0185]
ihm Zeit zu goͤnnen, daß er ſeine Suͤnden beich-
ten koͤnne. Er ſchwur den kraͤftigſten Eid, daß
er uns nicht verrathen, vielmehr alles beitragen
wolle, um den Verdacht zu entfernen.
Ich konnte nicht laͤnger widerſtehen, die voll-
brachte That hatte quaͤlende Reue in mir erweckt,
auch der Bube zitterte und bebte, bat mich
ſelbſt, ſeine Bitte zu erfuͤllen. Auf mein Geheiß
eilte er ins Dorf, um einige Traͤger herbei zu ru-
fen, weil Angſt und Schrecken uns unfaͤhig mach-
te, ihn fortzutragen.
Ich wollte ihn nur nach dem naͤchſten Bau-
ernhof tragen, und dorthin einen Prieſter rufen
laſſen; da er aber in Gegenwart aller derjenigen,
welche der Bube herbeigerufen hatte, den Wunſch
aͤuſſerte, ſein Weib nur noch einmal zu ſehen, ſo
konnte ichs nicht verhindern, daß ſie ſeine letzte
Bitte ehrten. Er ſah meine Verlegenheit, merkte
meine Angſt, und lispelte mir, als ich ihn in die
Hoͤhe hob, leiſe zu, daß er ſeinen Schwur halten,
mich mit keiner Miene verrathen wuͤrde.
Dieſe neue Verſicherung ſtaͤrkte mich kraͤftig,
und machte mich faͤhig, ruhig das Ende abzuwar-
ten. Ich wich nicht von ſeinem Lager, ſo lange
er lebte; trat nur dann abſeits, als er beichtete,
und bin feſt uͤberzeugt, daß er nicht mein Verraͤ-
ther ward. Gott hat es anders gelenkt, und ich
danke ihm herzlich, weil er mich hier dulden laͤßt,
was ich vielleicht einſt dort ewig buͤßen muͤßte.
Zweit. Baͤndch. M
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/185>, abgerufen am 29.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.