Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.Am andern Morgen erschien Friedrich im Hause seiner Geliebten, er wollte vorher mit ihr sprechen, fand aber die Thüre verschlossen, und ließ sich nun beim Vater melden. Dieser empfing ihn mit freundlichem aber auch traurigem Blicke. Wollen sie mich, sprach er zu Friedrichen, wohl ruhig an- hören? Mir jede meiner Fragen, die ich nicht aus Neugierde, sondern aus Nothwendigkeit an sie wage, aufrichtig beantworten? Friedrich. Der Vater der schönen Esther kann alles von mir fordern. Vater. Haben sie noch Eltern? Friedrich. Ich habe noch eine Mutter, die mich als ihren einzigen Sohn innig und zärtlich liebt. Vater. Sie sind von Familie? Friedrich. Ich stamme aus einem der edel- sten Geschlechter des Königreichs. Viele meiner Anverwandten begleiten ansehnliche Aemter, und stehen in des Königs Gunst. Vater. Was wird ihre Mutter, was wer- den ihre Anverwandten, was wird ihr König wohl sagen, wenn alle erfahren, daß der einzige Sohn, der edle Sprosse ihres Stammes, der Of- fizier seiner Armee sich in die Tochter eines Juden verliebt hat? -- -- Sie antworten nicht? Wohl ihnen, sie fühlen die Wichtigkeit meiner Gründe tief, und werden mirs einst noch danken, daß ich so frei war, sie ihnen vorzustellen. Am andern Morgen erſchien Friedrich im Hauſe ſeiner Geliebten, er wollte vorher mit ihr ſprechen, fand aber die Thuͤre verſchloſſen, und ließ ſich nun beim Vater melden. Dieſer empfing ihn mit freundlichem aber auch traurigem Blicke. Wollen ſie mich, ſprach er zu Friedrichen, wohl ruhig an- hoͤren? Mir jede meiner Fragen, die ich nicht aus Neugierde, ſondern aus Nothwendigkeit an ſie wage, aufrichtig beantworten? Friedrich. Der Vater der ſchoͤnen Eſther kann alles von mir fordern. Vater. Haben ſie noch Eltern? Friedrich. Ich habe noch eine Mutter, die mich als ihren einzigen Sohn innig und zaͤrtlich liebt. Vater. Sie ſind von Familie? Friedrich. Ich ſtamme aus einem der edel- ſten Geſchlechter des Koͤnigreichs. Viele meiner Anverwandten begleiten anſehnliche Aemter, und ſtehen in des Koͤnigs Gunſt. Vater. Was wird ihre Mutter, was wer- den ihre Anverwandten, was wird ihr Koͤnig wohl ſagen, wenn alle erfahren, daß der einzige Sohn, der edle Sproſſe ihres Stammes, der Of- fizier ſeiner Armee ſich in die Tochter eines Juden verliebt hat? — — Sie antworten nicht? Wohl ihnen, ſie fuͤhlen die Wichtigkeit meiner Gruͤnde tief, und werden mirs einſt noch danken, daß ich ſo frei war, ſie ihnen vorzuſtellen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#VATER"> <pb facs="#f0019" n="11"/> <p>Am andern Morgen erſchien Friedrich im Hauſe<lb/> ſeiner Geliebten, er wollte vorher mit ihr ſprechen,<lb/> fand aber die Thuͤre verſchloſſen, und ließ ſich<lb/> nun beim Vater melden. Dieſer empfing ihn mit<lb/> freundlichem aber auch traurigem Blicke. Wollen<lb/> ſie mich, ſprach er zu Friedrichen, wohl ruhig an-<lb/> hoͤren? Mir jede meiner Fragen, die ich nicht<lb/> aus Neugierde, ſondern aus Nothwendigkeit an<lb/> ſie wage, aufrichtig beantworten?</p> </sp><lb/> <sp who="#FRIED"> <speaker><hi rendition="#g">Friedrich</hi>.</speaker> <p>Der Vater der ſchoͤnen Eſther<lb/> kann alles von mir fordern.</p> </sp><lb/> <sp who="#VATER"> <speaker><hi rendition="#g">Vater</hi>.</speaker> <p>Haben ſie noch Eltern?</p> </sp><lb/> <sp who="#FRIED"> <speaker><hi rendition="#g">Friedrich</hi>.</speaker> <p>Ich habe noch eine Mutter, die<lb/> mich als ihren einzigen Sohn innig und zaͤrtlich<lb/> liebt.</p> </sp><lb/> <sp who="#VATER"> <speaker><hi rendition="#g">Vater</hi>.</speaker> <p>Sie ſind von Familie?</p> </sp><lb/> <sp who="#FRIED"> <speaker><hi rendition="#g">Friedrich</hi>.</speaker> <p>Ich ſtamme aus einem der edel-<lb/> ſten Geſchlechter des Koͤnigreichs. Viele meiner<lb/> Anverwandten begleiten anſehnliche Aemter, und<lb/> ſtehen in des Koͤnigs Gunſt.</p> </sp><lb/> <sp who="#VATER"> <speaker><hi rendition="#g">Vater</hi>.</speaker> <p>Was wird ihre Mutter, was wer-<lb/> den ihre Anverwandten, was wird ihr Koͤnig<lb/> wohl ſagen, wenn alle erfahren, daß der einzige<lb/> Sohn, der edle Sproſſe ihres Stammes, der Of-<lb/> fizier ſeiner Armee ſich in die Tochter eines Juden<lb/> verliebt hat? — — Sie antworten nicht? Wohl<lb/> ihnen, ſie fuͤhlen die Wichtigkeit meiner Gruͤnde<lb/> tief, und werden mirs einſt noch danken, daß ich<lb/> ſo frei war, ſie ihnen vorzuſtellen.</p> </sp><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [11/0019]
Am andern Morgen erſchien Friedrich im Hauſe
ſeiner Geliebten, er wollte vorher mit ihr ſprechen,
fand aber die Thuͤre verſchloſſen, und ließ ſich
nun beim Vater melden. Dieſer empfing ihn mit
freundlichem aber auch traurigem Blicke. Wollen
ſie mich, ſprach er zu Friedrichen, wohl ruhig an-
hoͤren? Mir jede meiner Fragen, die ich nicht
aus Neugierde, ſondern aus Nothwendigkeit an
ſie wage, aufrichtig beantworten?
Friedrich. Der Vater der ſchoͤnen Eſther
kann alles von mir fordern.
Vater. Haben ſie noch Eltern?
Friedrich. Ich habe noch eine Mutter, die
mich als ihren einzigen Sohn innig und zaͤrtlich
liebt.
Vater. Sie ſind von Familie?
Friedrich. Ich ſtamme aus einem der edel-
ſten Geſchlechter des Koͤnigreichs. Viele meiner
Anverwandten begleiten anſehnliche Aemter, und
ſtehen in des Koͤnigs Gunſt.
Vater. Was wird ihre Mutter, was wer-
den ihre Anverwandten, was wird ihr Koͤnig
wohl ſagen, wenn alle erfahren, daß der einzige
Sohn, der edle Sproſſe ihres Stammes, der Of-
fizier ſeiner Armee ſich in die Tochter eines Juden
verliebt hat? — — Sie antworten nicht? Wohl
ihnen, ſie fuͤhlen die Wichtigkeit meiner Gruͤnde
tief, und werden mirs einſt noch danken, daß ich
ſo frei war, ſie ihnen vorzuſtellen.
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