Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
so bin ich überzeugt, daß meine Bitte schnelle Er- hörung findet. Ich habe diese Briefe wohl schon zwanzigmal auf die Post geschickt; aber wenn ich überlegte, daß ich bald weit von ihr entfernt schmachten, sie nicht mehr sprechen, nicht mehr sehen würde, da zog michs mit Gewalt zum Post- hause, und ich nahm die Briefe zurück. Vater. Ihr edler Vorsatz beweißt, daß sie noch edler denken! Wie gern wollte ich sie als meinen Sohn umarmen, wenn Gott nicht selbst eine Kluft zwischen uns gesetzt hätte, die ich und sie nicht überschreiten können. Geben sie mir diese zwei Briefe. Friedrich. Was wollen sie damit beginnen. Vater. Ich will sie fortschicken, und ihren Kampf erleichtern. Friedrich. Nein! Ich vermags jetzt nicht mehr! Ich weiß, daß ich hoffnungslos liebe, aber ich kann sie doch sehen, vielleicht auch spre- chen, und dies ist doch etwas. Vater. Ihre Umstände sind nicht die besten, zürnen sie daher nicht, wenn ich ihnen einen An- trag mache, der in dieser Lage sie nicht beleidigen soll, nicht beleidigen kann: wenn sie diese Briefe durch mich abschicken, wenn sie wirklich von hier nach Hause reisen, so zahle ich ihnen beim Ab- schiede zwanzigtausend Gulden aus. Friedrich. Herr, sie verkennen mich! Doch sie sind ihr Vater, und dieß vernichtet die Be- leidigung, welche ich sonst ahnden müßte. Va-
ſo bin ich uͤberzeugt, daß meine Bitte ſchnelle Er- hoͤrung findet. Ich habe dieſe Briefe wohl ſchon zwanzigmal auf die Poſt geſchickt; aber wenn ich uͤberlegte, daß ich bald weit von ihr entfernt ſchmachten, ſie nicht mehr ſprechen, nicht mehr ſehen wuͤrde, da zog michs mit Gewalt zum Poſt- hauſe, und ich nahm die Briefe zuruͤck. Vater. Ihr edler Vorſatz beweißt, daß ſie noch edler denken! Wie gern wollte ich ſie als meinen Sohn umarmen, wenn Gott nicht ſelbſt eine Kluft zwiſchen uns geſetzt haͤtte, die ich und ſie nicht uͤberſchreiten koͤnnen. Geben ſie mir dieſe zwei Briefe. Friedrich. Was wollen ſie damit beginnen. Vater. Ich will ſie fortſchicken, und ihren Kampf erleichtern. Friedrich. Nein! Ich vermags jetzt nicht mehr! Ich weiß, daß ich hoffnungslos liebe, aber ich kann ſie doch ſehen, vielleicht auch ſpre- chen, und dies iſt doch etwas. Vater. Ihre Umſtaͤnde ſind nicht die beſten, zuͤrnen ſie daher nicht, wenn ich ihnen einen An- trag mache, der in dieſer Lage ſie nicht beleidigen ſoll, nicht beleidigen kann: wenn ſie dieſe Briefe durch mich abſchicken, wenn ſie wirklich von hier nach Hauſe reiſen, ſo zahle ich ihnen beim Ab- ſchiede zwanzigtauſend Gulden aus. Friedrich. Herr, ſie verkennen mich! Doch ſie ſind ihr Vater, und dieß vernichtet die Be- leidigung, welche ich ſonſt ahnden muͤßte. Va- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#FRIED"> <p><pb facs="#f0023" n="15"/> ſo bin ich uͤberzeugt, daß meine Bitte ſchnelle Er-<lb/> hoͤrung findet. Ich habe dieſe Briefe wohl ſchon<lb/> zwanzigmal auf die Poſt geſchickt; aber wenn ich<lb/> uͤberlegte, daß ich bald weit von ihr entfernt<lb/> ſchmachten, ſie nicht mehr ſprechen, nicht mehr<lb/> ſehen wuͤrde, da zog michs mit Gewalt zum Poſt-<lb/> hauſe, und ich nahm die Briefe zuruͤck.</p> </sp><lb/> <sp who="#VATER"> <speaker><hi rendition="#g">Vater</hi>.</speaker> <p>Ihr edler Vorſatz beweißt, daß ſie noch<lb/> edler denken! Wie gern wollte ich ſie als meinen<lb/> Sohn umarmen, wenn Gott nicht ſelbſt eine<lb/> Kluft zwiſchen uns geſetzt haͤtte, die ich und ſie<lb/> nicht uͤberſchreiten koͤnnen. Geben ſie mir dieſe<lb/> zwei Briefe.</p> </sp><lb/> <sp who="#FRIED"> <speaker><hi rendition="#g">Friedrich</hi>.</speaker> <p>Was wollen ſie damit beginnen.</p> </sp><lb/> <sp who="#VATER"> <speaker><hi rendition="#g">Vater</hi>.</speaker> <p>Ich will ſie fortſchicken, und ihren<lb/> Kampf erleichtern.</p> </sp><lb/> <sp who="#FRIED"> <speaker><hi rendition="#g">Friedrich</hi>.</speaker> <p>Nein! Ich vermags jetzt nicht<lb/> mehr! Ich weiß, daß ich hoffnungslos liebe,<lb/> aber ich kann ſie doch ſehen, vielleicht auch ſpre-<lb/> chen, und dies iſt doch etwas.</p> </sp><lb/> <sp who="#VATER"> <speaker><hi rendition="#g">Vater</hi>.</speaker> <p>Ihre Umſtaͤnde ſind nicht die beſten,<lb/> zuͤrnen ſie daher nicht, wenn ich ihnen einen An-<lb/> trag mache, der in dieſer Lage ſie nicht beleidigen<lb/> ſoll, nicht beleidigen kann: wenn ſie dieſe Briefe<lb/> durch mich abſchicken, wenn ſie wirklich von hier<lb/> nach Hauſe reiſen, ſo zahle ich ihnen beim Ab-<lb/> ſchiede zwanzigtauſend Gulden aus.</p> </sp><lb/> <sp who="#FRIED"> <speaker><hi rendition="#g">Friedrich</hi>.</speaker> <p>Herr, ſie verkennen mich! Doch<lb/> ſie ſind <hi rendition="#g">ihr</hi> Vater, und dieß vernichtet die Be-<lb/> leidigung, welche ich ſonſt ahnden muͤßte. Va-<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [15/0023]
ſo bin ich uͤberzeugt, daß meine Bitte ſchnelle Er-
hoͤrung findet. Ich habe dieſe Briefe wohl ſchon
zwanzigmal auf die Poſt geſchickt; aber wenn ich
uͤberlegte, daß ich bald weit von ihr entfernt
ſchmachten, ſie nicht mehr ſprechen, nicht mehr
ſehen wuͤrde, da zog michs mit Gewalt zum Poſt-
hauſe, und ich nahm die Briefe zuruͤck.
Vater. Ihr edler Vorſatz beweißt, daß ſie noch
edler denken! Wie gern wollte ich ſie als meinen
Sohn umarmen, wenn Gott nicht ſelbſt eine
Kluft zwiſchen uns geſetzt haͤtte, die ich und ſie
nicht uͤberſchreiten koͤnnen. Geben ſie mir dieſe
zwei Briefe.
Friedrich. Was wollen ſie damit beginnen.
Vater. Ich will ſie fortſchicken, und ihren
Kampf erleichtern.
Friedrich. Nein! Ich vermags jetzt nicht
mehr! Ich weiß, daß ich hoffnungslos liebe,
aber ich kann ſie doch ſehen, vielleicht auch ſpre-
chen, und dies iſt doch etwas.
Vater. Ihre Umſtaͤnde ſind nicht die beſten,
zuͤrnen ſie daher nicht, wenn ich ihnen einen An-
trag mache, der in dieſer Lage ſie nicht beleidigen
ſoll, nicht beleidigen kann: wenn ſie dieſe Briefe
durch mich abſchicken, wenn ſie wirklich von hier
nach Hauſe reiſen, ſo zahle ich ihnen beim Ab-
ſchiede zwanzigtauſend Gulden aus.
Friedrich. Herr, ſie verkennen mich! Doch
ſie ſind ihr Vater, und dieß vernichtet die Be-
leidigung, welche ich ſonſt ahnden muͤßte. Va-
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