Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
der Nonnen nahen sollte, weil dahin nur den Freunden und Anverwandten, aber keinem Frem- den der Zutritt erlaubt sei. Friedrichen kümmerte dieses Verbot wenig, weil er ohnehin überzeugt war, daß er dort ohne Entdeckung seine Geliebte nicht sprechen könne. Sein einziger Wunsch war jetzt nur dahin einge- schränkt, dieser in geheim und durch einige Zeilen seine Gegenwart kund zu machen, aber der kleine Wunsch war nicht so leicht ausgeführt. So sehr sich auch alle seine Diener bemühten, eine Böthin zu finden, so entdeckten sie doch kei- ne, welche darzu nur fähig schiene; weil alles, was im Orte wohnte, vom Kloster lebte, und es allen streng untersagt war, einen Brief, ohne solchen der Aebtissin vorzuzeigen, im Kloster abzu- geben. Schon waren vierzehn Tage der Kurzeit ver- flossen, und Friedrich seinem Ziele noch nicht nä- her gerückt, schon verzweifelte er ganz an der Erreichung desselben, als er einst auf einem ein- samen Spaziergange entdeckte, daß das Dach des Gasthauses über die hohe Mauer desselben Gartens emporrage, und freie Uebersicht desselben gewähren müsse. Er eilte dahin, erstieg mit- telst einer Leiter die höchsten Sparren, hob einige Ziegel in die Höhe, und überblickte nun den gan- zen Garten. Von diesem Augenblicke an, lauerte er jeden Morgen, jeden Abend auf dem einsamen Boden des Hauses, wohin niemand kam, und
der Nonnen nahen ſollte, weil dahin nur den Freunden und Anverwandten, aber keinem Frem- den der Zutritt erlaubt ſei. Friedrichen kuͤmmerte dieſes Verbot wenig, weil er ohnehin uͤberzeugt war, daß er dort ohne Entdeckung ſeine Geliebte nicht ſprechen koͤnne. Sein einziger Wunſch war jetzt nur dahin einge- ſchraͤnkt, dieſer in geheim und durch einige Zeilen ſeine Gegenwart kund zu machen, aber der kleine Wunſch war nicht ſo leicht ausgefuͤhrt. So ſehr ſich auch alle ſeine Diener bemuͤhten, eine Boͤthin zu finden, ſo entdeckten ſie doch kei- ne, welche darzu nur faͤhig ſchiene; weil alles, was im Orte wohnte, vom Kloſter lebte, und es allen ſtreng unterſagt war, einen Brief, ohne ſolchen der Aebtiſſin vorzuzeigen, im Kloſter abzu- geben. Schon waren vierzehn Tage der Kurzeit ver- floſſen, und Friedrich ſeinem Ziele noch nicht naͤ- her geruͤckt, ſchon verzweifelte er ganz an der Erreichung deſſelben, als er einſt auf einem ein- ſamen Spaziergange entdeckte, daß das Dach des Gaſthauſes uͤber die hohe Mauer deſſelben Gartens emporrage, und freie Ueberſicht deſſelben gewaͤhren muͤſſe. Er eilte dahin, erſtieg mit- telſt einer Leiter die hoͤchſten Sparren, hob einige Ziegel in die Hoͤhe, und uͤberblickte nun den gan- zen Garten. Von dieſem Augenblicke an, lauerte er jeden Morgen, jeden Abend auf dem einſamen Boden des Hauſes, wohin niemand kam, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#FRIED"> <p><pb facs="#f0049" n="41"/> der Nonnen nahen ſollte, weil dahin nur den<lb/> Freunden und Anverwandten, aber keinem Frem-<lb/> den der Zutritt erlaubt ſei.</p><lb/> <p>Friedrichen kuͤmmerte dieſes Verbot wenig,<lb/> weil er ohnehin uͤberzeugt war, daß er dort ohne<lb/> Entdeckung ſeine Geliebte nicht ſprechen koͤnne.<lb/> Sein einziger Wunſch war jetzt nur dahin einge-<lb/> ſchraͤnkt, dieſer in geheim und durch einige Zeilen<lb/> ſeine Gegenwart kund zu machen, aber der kleine<lb/> Wunſch war nicht ſo leicht ausgefuͤhrt. So<lb/> ſehr ſich auch alle ſeine Diener bemuͤhten,<lb/> eine Boͤthin zu finden, ſo entdeckten ſie doch kei-<lb/> ne, welche darzu nur faͤhig ſchiene; weil alles,<lb/> was im Orte wohnte, vom Kloſter lebte, und es<lb/> allen ſtreng unterſagt war, einen Brief, ohne<lb/> ſolchen der Aebtiſſin vorzuzeigen, im Kloſter abzu-<lb/> geben.</p><lb/> <p>Schon waren vierzehn Tage der Kurzeit ver-<lb/> floſſen, und Friedrich ſeinem Ziele noch nicht naͤ-<lb/> her geruͤckt, ſchon verzweifelte er ganz an der<lb/> Erreichung deſſelben, als er einſt auf einem ein-<lb/> ſamen Spaziergange entdeckte, daß das Dach<lb/> des Gaſthauſes uͤber die hohe Mauer deſſelben<lb/> Gartens emporrage, und freie Ueberſicht deſſelben<lb/> gewaͤhren muͤſſe. Er eilte dahin, erſtieg mit-<lb/> telſt einer Leiter die hoͤchſten Sparren, hob einige<lb/> Ziegel in die Hoͤhe, und uͤberblickte nun den gan-<lb/> zen Garten. Von dieſem Augenblicke an, lauerte<lb/> er jeden Morgen, jeden Abend auf dem einſamen<lb/> Boden des Hauſes, wohin niemand kam, und<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [41/0049]
der Nonnen nahen ſollte, weil dahin nur den
Freunden und Anverwandten, aber keinem Frem-
den der Zutritt erlaubt ſei.
Friedrichen kuͤmmerte dieſes Verbot wenig,
weil er ohnehin uͤberzeugt war, daß er dort ohne
Entdeckung ſeine Geliebte nicht ſprechen koͤnne.
Sein einziger Wunſch war jetzt nur dahin einge-
ſchraͤnkt, dieſer in geheim und durch einige Zeilen
ſeine Gegenwart kund zu machen, aber der kleine
Wunſch war nicht ſo leicht ausgefuͤhrt. So
ſehr ſich auch alle ſeine Diener bemuͤhten,
eine Boͤthin zu finden, ſo entdeckten ſie doch kei-
ne, welche darzu nur faͤhig ſchiene; weil alles,
was im Orte wohnte, vom Kloſter lebte, und es
allen ſtreng unterſagt war, einen Brief, ohne
ſolchen der Aebtiſſin vorzuzeigen, im Kloſter abzu-
geben.
Schon waren vierzehn Tage der Kurzeit ver-
floſſen, und Friedrich ſeinem Ziele noch nicht naͤ-
her geruͤckt, ſchon verzweifelte er ganz an der
Erreichung deſſelben, als er einſt auf einem ein-
ſamen Spaziergange entdeckte, daß das Dach
des Gaſthauſes uͤber die hohe Mauer deſſelben
Gartens emporrage, und freie Ueberſicht deſſelben
gewaͤhren muͤſſe. Er eilte dahin, erſtieg mit-
telſt einer Leiter die hoͤchſten Sparren, hob einige
Ziegel in die Hoͤhe, und uͤberblickte nun den gan-
zen Garten. Von dieſem Augenblicke an, lauerte
er jeden Morgen, jeden Abend auf dem einſamen
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