Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
Die zwei ältesten Söhne des unglücklichen Paars konnten jetzt auch schon mit ihrem Vater in die Arbeit gehen, sie verdienten eben so viel als er, und die immer trauernde Mutter fieng nun fest zu glauben an, daß ihre Kinder sie bis an ihren Tod ernähren würden. Der feste und innigste Vorsatz dieser guten Kinder wars auch wirklich, sie spra- chen oft davon, und freuten sich auf die bessere Zukunft, aber neues Unglück nahte, und endete schrecklich. Schon im vorigen Jahre waren die Feldfrüchte mißrathen, neuer noch stärkerer Mißwachs drohte im folgenden. Bis zum Winter fanden Vater und Söhne noch immer Arbeit, aber von dieser Zeit an nicht mehr; die meisten Bauern hatten kaum den künftigen Saamen erbaut, sie mußten selbst kaufen, was sie sonst verkauften, und schränkten sich daher aufs äußerste ein. Mit je- dem Tage ward das Getraide theuerer, das Brod kleiner. Krankheit folgte dem Mangel und Elen- de, kehrte zuerst bei denjenigen ein, welche von ihrer täglichen Arbeit lebten, und nun nichts zu leben hatten. Franz kämpfte gegen das unerbitt- liche Schicksal, so lange ers vermochte, er verkauf- te, was er irgend noch besaß, um sein Weib und seine Kinder nur mit trocknem Brode laben zu können; als aber auch diese schwache Hülfe ver- siegte, als selbst der Bettelstab ihnen noch schwächere Hülfe gewährte, da ergriff der Rabe des Hungers, eine tödtliche Krankheit, ihre aus-
Die zwei aͤlteſten Soͤhne des ungluͤcklichen Paars konnten jetzt auch ſchon mit ihrem Vater in die Arbeit gehen, ſie verdienten eben ſo viel als er, und die immer trauernde Mutter fieng nun feſt zu glauben an, daß ihre Kinder ſie bis an ihren Tod ernaͤhren wuͤrden. Der feſte und innigſte Vorſatz dieſer guten Kinder wars auch wirklich, ſie ſpra- chen oft davon, und freuten ſich auf die beſſere Zukunft, aber neues Ungluͤck nahte, und endete ſchrecklich. Schon im vorigen Jahre waren die Feldfruͤchte mißrathen, neuer noch ſtaͤrkerer Mißwachs drohte im folgenden. Bis zum Winter fanden Vater und Soͤhne noch immer Arbeit, aber von dieſer Zeit an nicht mehr; die meiſten Bauern hatten kaum den kuͤnftigen Saamen erbaut, ſie mußten ſelbſt kaufen, was ſie ſonſt verkauften, und ſchraͤnkten ſich daher aufs aͤußerſte ein. Mit je- dem Tage ward das Getraide theuerer, das Brod kleiner. Krankheit folgte dem Mangel und Elen- de, kehrte zuerſt bei denjenigen ein, welche von ihrer taͤglichen Arbeit lebten, und nun nichts zu leben hatten. Franz kaͤmpfte gegen das unerbitt- liche Schickſal, ſo lange ers vermochte, er verkauf- te, was er irgend noch beſaß, um ſein Weib und ſeine Kinder nur mit trocknem Brode laben zu koͤnnen; als aber auch dieſe ſchwache Huͤlfe ver- ſiegte, als ſelbſt der Bettelſtab ihnen noch ſchwaͤchere Huͤlfe gewaͤhrte, da ergriff der Rabe des Hungers, eine toͤdtliche Krankheit, ihre aus- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#WILH"> <p><pb facs="#f0098" n="90"/> Die zwei aͤlteſten Soͤhne des ungluͤcklichen Paars<lb/> konnten jetzt auch ſchon mit ihrem Vater in die<lb/> Arbeit gehen, ſie verdienten eben ſo viel als er,<lb/> und die immer trauernde Mutter fieng nun feſt zu<lb/> glauben an, daß ihre Kinder ſie bis an ihren Tod<lb/> ernaͤhren wuͤrden. Der feſte und innigſte Vorſatz<lb/> dieſer guten Kinder wars auch wirklich, ſie ſpra-<lb/> chen oft davon, und freuten ſich auf die beſſere<lb/> Zukunft, aber neues Ungluͤck nahte, und endete<lb/> ſchrecklich.</p><lb/> <p>Schon im vorigen Jahre waren die Feldfruͤchte<lb/> mißrathen, neuer noch ſtaͤrkerer Mißwachs drohte<lb/> im folgenden. Bis zum Winter fanden Vater<lb/> und Soͤhne noch immer Arbeit, aber von dieſer<lb/> Zeit an nicht mehr; die meiſten Bauern hatten<lb/> kaum den kuͤnftigen Saamen erbaut, ſie mußten<lb/> ſelbſt kaufen, was ſie ſonſt verkauften, und<lb/> ſchraͤnkten ſich daher aufs aͤußerſte ein. Mit je-<lb/> dem Tage ward das Getraide theuerer, das Brod<lb/> kleiner. Krankheit folgte dem Mangel und Elen-<lb/> de, kehrte zuerſt bei denjenigen ein, welche von<lb/> ihrer taͤglichen Arbeit lebten, und nun nichts zu<lb/> leben hatten. Franz kaͤmpfte gegen das unerbitt-<lb/> liche Schickſal, ſo lange ers vermochte, er verkauf-<lb/> te, was er irgend noch beſaß, um ſein Weib und<lb/> ſeine Kinder nur mit trocknem Brode laben zu<lb/> koͤnnen; als aber auch dieſe ſchwache Huͤlfe ver-<lb/> ſiegte, als ſelbſt der Bettelſtab ihnen noch<lb/> ſchwaͤchere Huͤlfe gewaͤhrte, da ergriff der Rabe<lb/> des Hungers, eine toͤdtliche Krankheit, ihre aus-<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [90/0098]
Die zwei aͤlteſten Soͤhne des ungluͤcklichen Paars
konnten jetzt auch ſchon mit ihrem Vater in die
Arbeit gehen, ſie verdienten eben ſo viel als er,
und die immer trauernde Mutter fieng nun feſt zu
glauben an, daß ihre Kinder ſie bis an ihren Tod
ernaͤhren wuͤrden. Der feſte und innigſte Vorſatz
dieſer guten Kinder wars auch wirklich, ſie ſpra-
chen oft davon, und freuten ſich auf die beſſere
Zukunft, aber neues Ungluͤck nahte, und endete
ſchrecklich.
Schon im vorigen Jahre waren die Feldfruͤchte
mißrathen, neuer noch ſtaͤrkerer Mißwachs drohte
im folgenden. Bis zum Winter fanden Vater
und Soͤhne noch immer Arbeit, aber von dieſer
Zeit an nicht mehr; die meiſten Bauern hatten
kaum den kuͤnftigen Saamen erbaut, ſie mußten
ſelbſt kaufen, was ſie ſonſt verkauften, und
ſchraͤnkten ſich daher aufs aͤußerſte ein. Mit je-
dem Tage ward das Getraide theuerer, das Brod
kleiner. Krankheit folgte dem Mangel und Elen-
de, kehrte zuerſt bei denjenigen ein, welche von
ihrer taͤglichen Arbeit lebten, und nun nichts zu
leben hatten. Franz kaͤmpfte gegen das unerbitt-
liche Schickſal, ſo lange ers vermochte, er verkauf-
te, was er irgend noch beſaß, um ſein Weib und
ſeine Kinder nur mit trocknem Brode laben zu
koͤnnen; als aber auch dieſe ſchwache Huͤlfe ver-
ſiegte, als ſelbſt der Bettelſtab ihnen noch
ſchwaͤchere Huͤlfe gewaͤhrte, da ergriff der Rabe
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