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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796.

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Einst saß er noch um Mitternacht ohne
Schlaf in seinem Gemache. Alles ruhte, nur
er nicht. Das Bild seiner geliebten Tochter
stand lebhaft vor seiner Seele. Nur einmal
wünschte er sie noch zu sehen und an sein Herz
zu drücken. Ein Gepolter, welches aus der
Ferne ertönte, weckte ihn aus seinem Tief-
sinn, er öfnete das Fenster und horchte. Es
klopfte anhaltend am äussersten Thore der
Veste, es däuchte ihm, als ob ein Kind wei-
ne, und eine unverständliche Stimme jam-
mere. Er berief den Wächter, dieser hatte
ein gleiches vernommen, und heischte des
Burgherrn Rath: Ob er das Thor öfnen,
oder nur Nachfrage halten sollte?

Der Burgherr war noch unentschlossen,
er ging mit dem Wächter hinab, und bestieg
in seiner Gesellschaft die Mauer.

Wer klopft bei so ungewöhnlicher Stun-
de? fragte er, als das Klopfen sich erneu-
erte.


Einſt ſaß er noch um Mitternacht ohne
Schlaf in ſeinem Gemache. Alles ruhte, nur
er nicht. Das Bild ſeiner geliebten Tochter
ſtand lebhaft vor ſeiner Seele. Nur einmal
wuͤnſchte er ſie noch zu ſehen und an ſein Herz
zu druͤcken. Ein Gepolter, welches aus der
Ferne ertoͤnte, weckte ihn aus ſeinem Tief-
ſinn, er oͤfnete das Fenſter und horchte. Es
klopfte anhaltend am aͤuſſerſten Thore der
Veſte, es daͤuchte ihm, als ob ein Kind wei-
ne, und eine unverſtaͤndliche Stimme jam-
mere. Er berief den Waͤchter, dieſer hatte
ein gleiches vernommen, und heiſchte des
Burgherrn Rath: Ob er das Thor oͤfnen,
oder nur Nachfrage halten ſollte?

Der Burgherr war noch unentſchloſſen,
er ging mit dem Waͤchter hinab, und beſtieg
in ſeiner Geſellſchaft die Mauer.

Wer klopft bei ſo ungewoͤhnlicher Stun-
de? fragte er, als das Klopfen ſich erneu-
erte.


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[308/0322] Einſt ſaß er noch um Mitternacht ohne Schlaf in ſeinem Gemache. Alles ruhte, nur er nicht. Das Bild ſeiner geliebten Tochter ſtand lebhaft vor ſeiner Seele. Nur einmal wuͤnſchte er ſie noch zu ſehen und an ſein Herz zu druͤcken. Ein Gepolter, welches aus der Ferne ertoͤnte, weckte ihn aus ſeinem Tief- ſinn, er oͤfnete das Fenſter und horchte. Es klopfte anhaltend am aͤuſſerſten Thore der Veſte, es daͤuchte ihm, als ob ein Kind wei- ne, und eine unverſtaͤndliche Stimme jam- mere. Er berief den Waͤchter, dieſer hatte ein gleiches vernommen, und heiſchte des Burgherrn Rath: Ob er das Thor oͤfnen, oder nur Nachfrage halten ſollte? Der Burgherr war noch unentſchloſſen, er ging mit dem Waͤchter hinab, und beſtieg in ſeiner Geſellſchaft die Mauer. Wer klopft bei ſo ungewoͤhnlicher Stun- de? fragte er, als das Klopfen ſich erneu- erte.

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/322>, abgerufen am 17.09.2024.