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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796.

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Um nicht neues Unglück zu erfahren, so
antwortete sie wenigstens oft dem fragenden
Vater, besuchte sie nicht mehr die Schnitter
des Feldes, saß immer nur unthätig und trau-
rend in den Lauben des Gartens, weil sie dort
ungestört an den Unbekannten denken, seine
Schreibtafel durchblättern, und seine Sen-
tenzen lesen konnte. Oft stand sie auch auf
dem hohen Altane des Gartens, irrte gedan-
kenlos mit ihrem Blicke in der reizenden
Gegend umher, und ward nur dann aufmerk-
sam, wenn sie in der Ferne oder Nähe einen
einzelnen Wanderer erblickte. Sehr oft führ-
te sie ihr forschendes Auge, ihre immer ge-
reizte Einbildungskraft irre, sie eilte dann
-- ohne einer Gefahr zu gedenken -- ins Freie,
und kehrte mißmuthig zurück, wenn sie über-
zeugt wurde, daß der Wanderer ihrem
Jüngling nicht gleiche.


Um nicht neues Ungluͤck zu erfahren, ſo
antwortete ſie wenigſtens oft dem fragenden
Vater, beſuchte ſie nicht mehr die Schnitter
des Feldes, ſaß immer nur unthaͤtig und trau-
rend in den Lauben des Gartens, weil ſie dort
ungeſtoͤrt an den Unbekannten denken, ſeine
Schreibtafel durchblaͤttern, und ſeine Sen-
tenzen leſen konnte. Oft ſtand ſie auch auf
dem hohen Altane des Gartens, irrte gedan-
kenlos mit ihrem Blicke in der reizenden
Gegend umher, und ward nur dann aufmerk-
ſam, wenn ſie in der Ferne oder Naͤhe einen
einzelnen Wanderer erblickte. Sehr oft fuͤhr-
te ſie ihr forſchendes Auge, ihre immer ge-
reizte Einbildungskraft irre, ſie eilte dann
— ohne einer Gefahr zu gedenken — ins Freie,
und kehrte mißmuthig zuruͤck, wenn ſie uͤber-
zeugt wurde, daß der Wanderer ihrem
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[28/0042] Um nicht neues Ungluͤck zu erfahren, ſo antwortete ſie wenigſtens oft dem fragenden Vater, beſuchte ſie nicht mehr die Schnitter des Feldes, ſaß immer nur unthaͤtig und trau- rend in den Lauben des Gartens, weil ſie dort ungeſtoͤrt an den Unbekannten denken, ſeine Schreibtafel durchblaͤttern, und ſeine Sen- tenzen leſen konnte. Oft ſtand ſie auch auf dem hohen Altane des Gartens, irrte gedan- kenlos mit ihrem Blicke in der reizenden Gegend umher, und ward nur dann aufmerk- ſam, wenn ſie in der Ferne oder Naͤhe einen einzelnen Wanderer erblickte. Sehr oft fuͤhr- te ſie ihr forſchendes Auge, ihre immer ge- reizte Einbildungskraft irre, ſie eilte dann — ohne einer Gefahr zu gedenken — ins Freie, und kehrte mißmuthig zuruͤck, wenn ſie uͤber- zeugt wurde, daß der Wanderer ihrem Juͤngling nicht gleiche.

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/42>, abgerufen am 21.11.2024.