Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

die wir täglich anwandten, um uns nur eine
Minute lang allein zu sehen und zu sprechen.
Nicht Versicherung der ehemals so zärtlichen
Liebe, sondern Klagen über unser Unglück,
Ringen und Sehnen nach ächter Hülfe und
Trost waren dann der Inhalt unserer Ge-
spräche. Ich und sie sahen zu gut ein, daß
Liebe nicht mehr möglich, im Gegentheile
höchst sträflich sei, und ich schwöre zu Gott dem
Allmächtigen, daß ich keinen Kuß foderte, sie
keinen gewährte.

Einen vollen Monden hatten wir so quaal-
voll durchlebt, als mein Vater in die Nach-
barschaft auf eine Jagd geladen wurde. Wi-
der seine Gewohnheit nahm er mich nicht mit
sich, erneuerte aber, als er schied, sein
Verboth mit strengem Ernste. Dieser War-
nung ungeachtet fanden wir uns doch im na-
hen Lustwäldchen, wo uns eine dunkle Laube
Sicherheit zu gewähren schien. Eben wollte

die wir taͤglich anwandten, um uns nur eine
Minute lang allein zu ſehen und zu ſprechen.
Nicht Verſicherung der ehemals ſo zaͤrtlichen
Liebe, ſondern Klagen uͤber unſer Ungluͤck,
Ringen und Sehnen nach aͤchter Huͤlfe und
Troſt waren dann der Inhalt unſerer Ge-
ſpraͤche. Ich und ſie ſahen zu gut ein, daß
Liebe nicht mehr moͤglich, im Gegentheile
hoͤchſt ſtraͤflich ſei, und ich ſchwoͤre zu Gott dem
Allmaͤchtigen, daß ich keinen Kuß foderte, ſie
keinen gewaͤhrte.

Einen vollen Monden hatten wir ſo quaal-
voll durchlebt, als mein Vater in die Nach-
barſchaft auf eine Jagd geladen wurde. Wi-
der ſeine Gewohnheit nahm er mich nicht mit
ſich, erneuerte aber, als er ſchied, ſein
Verboth mit ſtrengem Ernſte. Dieſer War-
nung ungeachtet fanden wir uns doch im na-
hen Luſtwaͤldchen, wo uns eine dunkle Laube
Sicherheit zu gewaͤhren ſchien. Eben wollte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="75"/>
die wir ta&#x0364;glich anwandten, um uns nur eine<lb/>
Minute lang allein zu &#x017F;ehen und zu &#x017F;prechen.<lb/>
Nicht Ver&#x017F;icherung der ehemals &#x017F;o za&#x0364;rtlichen<lb/>
Liebe, &#x017F;ondern Klagen u&#x0364;ber un&#x017F;er Unglu&#x0364;ck,<lb/>
Ringen und Sehnen nach a&#x0364;chter Hu&#x0364;lfe und<lb/>
Tro&#x017F;t waren dann der Inhalt un&#x017F;erer Ge-<lb/>
&#x017F;pra&#x0364;che. Ich und &#x017F;ie &#x017F;ahen zu gut ein, daß<lb/>
Liebe nicht mehr mo&#x0364;glich, im Gegentheile<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t &#x017F;tra&#x0364;flich &#x017F;ei, und ich &#x017F;chwo&#x0364;re zu Gott dem<lb/>
Allma&#x0364;chtigen, daß ich keinen Kuß foderte, &#x017F;ie<lb/>
keinen gewa&#x0364;hrte.</p><lb/>
        <p>Einen vollen Monden hatten wir &#x017F;o quaal-<lb/>
voll durchlebt, als mein Vater in die Nach-<lb/>
bar&#x017F;chaft auf eine Jagd geladen wurde. Wi-<lb/>
der &#x017F;eine Gewohnheit nahm er mich nicht mit<lb/>
&#x017F;ich, erneuerte aber, als er &#x017F;chied, &#x017F;ein<lb/>
Verboth mit &#x017F;trengem Ern&#x017F;te. Die&#x017F;er War-<lb/>
nung ungeachtet fanden wir uns doch im na-<lb/>
hen Lu&#x017F;twa&#x0364;ldchen, wo uns eine dunkle Laube<lb/>
Sicherheit zu gewa&#x0364;hren &#x017F;chien. Eben wollte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0089] die wir taͤglich anwandten, um uns nur eine Minute lang allein zu ſehen und zu ſprechen. Nicht Verſicherung der ehemals ſo zaͤrtlichen Liebe, ſondern Klagen uͤber unſer Ungluͤck, Ringen und Sehnen nach aͤchter Huͤlfe und Troſt waren dann der Inhalt unſerer Ge- ſpraͤche. Ich und ſie ſahen zu gut ein, daß Liebe nicht mehr moͤglich, im Gegentheile hoͤchſt ſtraͤflich ſei, und ich ſchwoͤre zu Gott dem Allmaͤchtigen, daß ich keinen Kuß foderte, ſie keinen gewaͤhrte. Einen vollen Monden hatten wir ſo quaal- voll durchlebt, als mein Vater in die Nach- barſchaft auf eine Jagd geladen wurde. Wi- der ſeine Gewohnheit nahm er mich nicht mit ſich, erneuerte aber, als er ſchied, ſein Verboth mit ſtrengem Ernſte. Dieſer War- nung ungeachtet fanden wir uns doch im na- hen Luſtwaͤldchen, wo uns eine dunkle Laube Sicherheit zu gewaͤhren ſchien. Eben wollte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/89
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/89>, abgerufen am 21.11.2024.