Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Schicksal führte mich endlich in ihre
Gegend. -- -- Sie forderten aufrichtige Er-
zählung meines Leidens, sie müssen es mir
daher vergeben, wenn ich aufrichtig spreche,
es dem elenden Bettler nicht verargen, wenn
auch er schön findet, was doch nur eines Kö-
nigs würdig ist.

Amalie (verwirrt, aber mit sichtbarem
Vergnügen). O nein! sprechen sie ohne
Rückhalt; daß ich innigen Antheil an ihrem
Leiden nahm, und immer nehmen werde, be-
weisen ihnen meine Thränen.

Wilhelm. Lohne es ihnen der Ewige,
kein Sterblicher vermags nicht, ist's wenig-
stens nicht würdig. -- -- Am Tage zuvor,
ehe der wüthende Hund sie verfolgte, sahe
ich sie zum ersten male. Die ganze, pracht-
volle Natur, die am schönsten ist, wenn sie
zur Vollkommenheit reift, hatte bisher nicht

Das Schickſal fuͤhrte mich endlich in ihre
Gegend. — — Sie forderten aufrichtige Er-
zaͤhlung meines Leidens, ſie muͤſſen es mir
daher vergeben, wenn ich aufrichtig ſpreche,
es dem elenden Bettler nicht verargen, wenn
auch er ſchoͤn findet, was doch nur eines Koͤ-
nigs wuͤrdig iſt.

Amalie (verwirrt, aber mit ſichtbarem
Vergnuͤgen). O nein! ſprechen ſie ohne
Ruͤckhalt; daß ich innigen Antheil an ihrem
Leiden nahm, und immer nehmen werde, be-
weiſen ihnen meine Thraͤnen.

Wilhelm. Lohne es ihnen der Ewige,
kein Sterblicher vermags nicht, iſt's wenig-
ſtens nicht wuͤrdig. — — Am Tage zuvor,
ehe der wuͤthende Hund ſie verfolgte, ſahe
ich ſie zum erſten male. Die ganze, pracht-
volle Natur, die am ſchoͤnſten iſt, wenn ſie
zur Vollkommenheit reift, hatte bisher nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0093" n="79"/>
        <p>Das Schick&#x017F;al fu&#x0364;hrte mich endlich in ihre<lb/>
Gegend. &#x2014; &#x2014; Sie forderten aufrichtige Er-<lb/>
za&#x0364;hlung meines Leidens, &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en es mir<lb/>
daher vergeben, wenn ich aufrichtig &#x017F;preche,<lb/>
es dem elenden Bettler nicht verargen, wenn<lb/>
auch er &#x017F;cho&#x0364;n findet, was doch nur eines Ko&#x0364;-<lb/>
nigs wu&#x0364;rdig i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Amalie</hi> (verwirrt, aber mit &#x017F;ichtbarem<lb/>
Vergnu&#x0364;gen). O nein! &#x017F;prechen &#x017F;ie ohne<lb/>
Ru&#x0364;ckhalt; daß ich innigen Antheil an ihrem<lb/>
Leiden nahm, und immer nehmen werde, be-<lb/>
wei&#x017F;en ihnen meine Thra&#x0364;nen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Wilhelm</hi>. Lohne es ihnen der Ewige,<lb/>
kein Sterblicher vermags nicht, i&#x017F;t's wenig-<lb/>
&#x017F;tens nicht wu&#x0364;rdig. &#x2014; &#x2014; Am Tage zuvor,<lb/>
ehe der wu&#x0364;thende Hund &#x017F;ie verfolgte, &#x017F;ahe<lb/>
ich &#x017F;ie zum er&#x017F;ten male. Die ganze, pracht-<lb/>
volle Natur, die am &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie<lb/>
zur Vollkommenheit reift, hatte bisher nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0093] Das Schickſal fuͤhrte mich endlich in ihre Gegend. — — Sie forderten aufrichtige Er- zaͤhlung meines Leidens, ſie muͤſſen es mir daher vergeben, wenn ich aufrichtig ſpreche, es dem elenden Bettler nicht verargen, wenn auch er ſchoͤn findet, was doch nur eines Koͤ- nigs wuͤrdig iſt. Amalie (verwirrt, aber mit ſichtbarem Vergnuͤgen). O nein! ſprechen ſie ohne Ruͤckhalt; daß ich innigen Antheil an ihrem Leiden nahm, und immer nehmen werde, be- weiſen ihnen meine Thraͤnen. Wilhelm. Lohne es ihnen der Ewige, kein Sterblicher vermags nicht, iſt's wenig- ſtens nicht wuͤrdig. — — Am Tage zuvor, ehe der wuͤthende Hund ſie verfolgte, ſahe ich ſie zum erſten male. Die ganze, pracht- volle Natur, die am ſchoͤnſten iſt, wenn ſie zur Vollkommenheit reift, hatte bisher nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/93
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/93>, abgerufen am 21.11.2024.