Wilhelm. Dies war die Ursache, daß ich lieber forteilte, als ichs noch ver- mochte, nicht rückkehrte, um vielleicht, ich gesteh's offen, die Erniedrigung dulden zu müssen, daß man mir eine kleine That mit einigem Gelde belohnen werde. Aber die Be- gierde, sie noch öfterer zu sehen, und ins- geheim bewundern zu können, ließ mich doch nicht aus dieser Gegend wandern, trieb mich immer zurück, und glücklich dünkte ich mich dann, wenn ich sie nur sah; ruhte sanft auf Laub oder Stein, wenn ihr Bild vor mir stand und mich anlächelte. Zum ersten- male fühlte ich meine Armuth tief, zum er- stenmale preßte sie mir eine bittere Thräne aus, als ich sie nach der kleinen Insel hin- über schiffen sah, ein unwiderstehlicher Trieb mich ihnen nachzog, ich überschiffen wollte, und vergebens in allen Taschen einige Gro- schen suchte, um die Schiffer zu bezahlen. Ich kann die Empfindungen, die mich durch-
Biogr. d. W. 3. B. F
Wilhelm. Dies war die Urſache, daß ich lieber forteilte, als ichs noch ver- mochte, nicht ruͤckkehrte, um vielleicht, ich geſteh's offen, die Erniedrigung dulden zu muͤſſen, daß man mir eine kleine That mit einigem Gelde belohnen werde. Aber die Be- gierde, ſie noch oͤfterer zu ſehen, und ins- geheim bewundern zu koͤnnen, ließ mich doch nicht aus dieſer Gegend wandern, trieb mich immer zuruͤck, und gluͤcklich duͤnkte ich mich dann, wenn ich ſie nur ſah; ruhte ſanft auf Laub oder Stein, wenn ihr Bild vor mir ſtand und mich anlaͤchelte. Zum erſten- male fuͤhlte ich meine Armuth tief, zum er- ſtenmale preßte ſie mir eine bittere Thraͤne aus, als ich ſie nach der kleinen Inſel hin- uͤber ſchiffen ſah, ein unwiderſtehlicher Trieb mich ihnen nachzog, ich uͤberſchiffen wollte, und vergebens in allen Taſchen einige Gro- ſchen ſuchte, um die Schiffer zu bezahlen. Ich kann die Empfindungen, die mich durch-
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Wilhelm. Dies war die Urſache, daß
ich lieber forteilte, als ichs noch ver-
mochte, nicht ruͤckkehrte, um vielleicht, ich
geſteh's offen, die Erniedrigung dulden zu
muͤſſen, daß man mir eine kleine That mit
einigem Gelde belohnen werde. Aber die Be-
gierde, ſie noch oͤfterer zu ſehen, und ins-
geheim bewundern zu koͤnnen, ließ mich doch
nicht aus dieſer Gegend wandern, trieb mich
immer zuruͤck, und gluͤcklich duͤnkte ich mich
dann, wenn ich ſie nur ſah; ruhte ſanft
auf Laub oder Stein, wenn ihr Bild vor
mir ſtand und mich anlaͤchelte. Zum erſten-
male fuͤhlte ich meine Armuth tief, zum er-
ſtenmale preßte ſie mir eine bittere Thraͤne
aus, als ich ſie nach der kleinen Inſel hin-
uͤber ſchiffen ſah, ein unwiderſtehlicher Trieb
mich ihnen nachzog, ich uͤberſchiffen wollte,
und vergebens in allen Taſchen einige Gro-
ſchen ſuchte, um die Schiffer zu bezahlen.
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/95>, abgerufen am 21.11.2024.
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