Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

beste Fürst ist Mensch, auch der beste Mensch
ist nicht fehlerfrei! Eine Leidenschaft, die
er liebte und pflegte, war oft Ursache, daß
einzelne Väter über ihn murrten, einzelne
Mütter ihn hart und grausam nannten. Das
Sistem der stehenden Kriegsheere ward da-
mals herrschend in Deutschland. Wilhelm, der
Preussen König, war das grosse Urbild, wel-
ches kleinere Fürsten ihrem Verhältnisse ge-
mäß, nachzuahmen suchten. Der erstere samm-
lete in ganz Europa die größten Kolossen des
menschlichen Geschlechts, um sich ein Gnarde-
regiment zu bilden. Der Marggraf durch-
spähte sein ganzes Land, um ähnliche Riesen
zu finden, welche als Granadiere vor seinem
Schlosse und in den Gemächern desselben Wa-
che stehen mußten. Keiner seiner Untertha-
nen entging den Forschern, wenn sein Körper
die erforderliche Grösse erreichte; daher kams,
daß oft die freien Bürgerssöhne, die noch
freiern Kandidaten des Priesterstandes wider

beſte Fuͤrſt iſt Menſch, auch der beſte Menſch
iſt nicht fehlerfrei! Eine Leidenſchaft, die
er liebte und pflegte, war oft Urſache, daß
einzelne Vaͤter uͤber ihn murrten, einzelne
Muͤtter ihn hart und grauſam nannten. Das
Siſtem der ſtehenden Kriegsheere ward da-
mals herrſchend in Deutſchland. Wilhelm, der
Preuſſen Koͤnig, war das groſſe Urbild, wel-
ches kleinere Fuͤrſten ihrem Verhaͤltniſſe ge-
maͤß, nachzuahmen ſuchten. Der erſtere ſamm-
lete in ganz Europa die groͤßten Koloſſen des
menſchlichen Geſchlechts, um ſich ein Gnarde-
regiment zu bilden. Der Marggraf durch-
ſpaͤhte ſein ganzes Land, um aͤhnliche Rieſen
zu finden, welche als Granadiere vor ſeinem
Schloſſe und in den Gemaͤchern deſſelben Wa-
che ſtehen mußten. Keiner ſeiner Untertha-
nen entging den Forſchern, wenn ſein Koͤrper
die erforderliche Groͤſſe erreichte; daher kams,
daß oft die freien Buͤrgersſoͤhne, die noch
freiern Kandidaten des Prieſterſtandes wider

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="2"/>
be&#x017F;te Fu&#x0364;r&#x017F;t i&#x017F;t Men&#x017F;ch, auch der be&#x017F;te Men&#x017F;ch<lb/>
i&#x017F;t nicht fehlerfrei! Eine Leiden&#x017F;chaft, die<lb/>
er liebte und pflegte, war oft Ur&#x017F;ache, daß<lb/>
einzelne Va&#x0364;ter u&#x0364;ber ihn murrten, einzelne<lb/>
Mu&#x0364;tter ihn hart und grau&#x017F;am nannten. Das<lb/>
Si&#x017F;tem der &#x017F;tehenden Kriegsheere ward da-<lb/>
mals herr&#x017F;chend in Deut&#x017F;chland. Wilhelm, der<lb/>
Preu&#x017F;&#x017F;en Ko&#x0364;nig, war das gro&#x017F;&#x017F;e Urbild, wel-<lb/>
ches kleinere Fu&#x0364;r&#x017F;ten ihrem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e ge-<lb/>
ma&#x0364;ß, nachzuahmen &#x017F;uchten. Der er&#x017F;tere &#x017F;amm-<lb/>
lete in ganz Europa die gro&#x0364;ßten Kolo&#x017F;&#x017F;en des<lb/>
men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlechts, um &#x017F;ich ein Gnarde-<lb/>
regiment zu bilden. Der Marggraf durch-<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;hte &#x017F;ein ganzes Land, um a&#x0364;hnliche Rie&#x017F;en<lb/>
zu finden, welche als Granadiere vor &#x017F;einem<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;e und in den Gema&#x0364;chern de&#x017F;&#x017F;elben Wa-<lb/>
che &#x017F;tehen mußten. Keiner &#x017F;einer Untertha-<lb/>
nen entging den For&#x017F;chern, wenn &#x017F;ein Ko&#x0364;rper<lb/>
die erforderliche Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e erreichte; daher kams,<lb/>
daß oft die freien Bu&#x0364;rgers&#x017F;o&#x0364;hne, die noch<lb/>
freiern Kandidaten des Prie&#x017F;ter&#x017F;tandes wider<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0012] beſte Fuͤrſt iſt Menſch, auch der beſte Menſch iſt nicht fehlerfrei! Eine Leidenſchaft, die er liebte und pflegte, war oft Urſache, daß einzelne Vaͤter uͤber ihn murrten, einzelne Muͤtter ihn hart und grauſam nannten. Das Siſtem der ſtehenden Kriegsheere ward da- mals herrſchend in Deutſchland. Wilhelm, der Preuſſen Koͤnig, war das groſſe Urbild, wel- ches kleinere Fuͤrſten ihrem Verhaͤltniſſe ge- maͤß, nachzuahmen ſuchten. Der erſtere ſamm- lete in ganz Europa die groͤßten Koloſſen des menſchlichen Geſchlechts, um ſich ein Gnarde- regiment zu bilden. Der Marggraf durch- ſpaͤhte ſein ganzes Land, um aͤhnliche Rieſen zu finden, welche als Granadiere vor ſeinem Schloſſe und in den Gemaͤchern deſſelben Wa- che ſtehen mußten. Keiner ſeiner Untertha- nen entging den Forſchern, wenn ſein Koͤrper die erforderliche Groͤſſe erreichte; daher kams, daß oft die freien Buͤrgersſoͤhne, die noch freiern Kandidaten des Prieſterſtandes wider

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/12
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/12>, abgerufen am 21.11.2024.