Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

nach den Städten zu führen, wo man aus
Noth zahlte, was die heißhungrige Gewinn-
sucht forderte. Er hatte mit seinem Weibe
beschlossen, all sein Getraide in den Grän-
zen des Dorfs an die armen Insassen und
Taglöhner um einen niedrigern Preiß zu ver-
kaufen, er erfüllte sein Gelübde, und beide
Eheleute hoften, daß dies gute Werk der Al-
lesbelohnende einst reichlich vergelten werde.
Wie die Erndte sich schon nahte, und tausend
Hungrige den Tag der Reife mit banger Sehn-
sucht erwarteten, hatte auch Hanns seinen
ganzen Vorrath auf diese Art verkauft, nur
noch zwei Scheffel Waizen lagen auf seinem
leeren Boden, welche die kluge Hausfrau nebst
dem nöthigen Bedürfnisse noch zurückgelegt
hatte, um in der Erndte die kraftlosen Lohn-
arbeiter mit guter und nahrhafter Mehlspeise
stärken zu können.

Eben wollte Hanns aus dieser Absicht den
Waizen nach der Mühle führen, als ein be-
kanter Bäcker bei ihm einsprach. Ich laufe

nach den Staͤdten zu fuͤhren, wo man aus
Noth zahlte, was die heißhungrige Gewinn-
ſucht forderte. Er hatte mit ſeinem Weibe
beſchloſſen, all ſein Getraide in den Graͤn-
zen des Dorfs an die armen Inſaſſen und
Tagloͤhner um einen niedrigern Preiß zu ver-
kaufen, er erfuͤllte ſein Geluͤbde, und beide
Eheleute hoften, daß dies gute Werk der Al-
lesbelohnende einſt reichlich vergelten werde.
Wie die Erndte ſich ſchon nahte, und tauſend
Hungrige den Tag der Reife mit banger Sehn-
ſucht erwarteten, hatte auch Hanns ſeinen
ganzen Vorrath auf dieſe Art verkauft, nur
noch zwei Scheffel Waizen lagen auf ſeinem
leeren Boden, welche die kluge Hausfrau nebſt
dem noͤthigen Beduͤrfniſſe noch zuruͤckgelegt
hatte, um in der Erndte die kraftloſen Lohn-
arbeiter mit guter und nahrhafter Mehlſpeiſe
ſtaͤrken zu koͤnnen.

Eben wollte Hanns aus dieſer Abſicht den
Waizen nach der Muͤhle fuͤhren, als ein be-
kanter Baͤcker bei ihm einſprach. Ich laufe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0191" n="181"/>
nach den Sta&#x0364;dten zu fu&#x0364;hren, wo man aus<lb/>
Noth zahlte, was die heißhungrige Gewinn-<lb/>
&#x017F;ucht forderte. Er hatte mit &#x017F;einem Weibe<lb/>
be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, all &#x017F;ein Getraide in den Gra&#x0364;n-<lb/>
zen des Dorfs an die armen In&#x017F;a&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
Taglo&#x0364;hner um einen niedrigern Preiß zu ver-<lb/>
kaufen, er erfu&#x0364;llte &#x017F;ein Gelu&#x0364;bde, und beide<lb/>
Eheleute hoften, daß dies gute Werk der Al-<lb/>
lesbelohnende ein&#x017F;t reichlich vergelten werde.<lb/>
Wie die Erndte &#x017F;ich &#x017F;chon nahte, und tau&#x017F;end<lb/>
Hungrige den Tag der Reife mit banger Sehn-<lb/>
&#x017F;ucht erwarteten, hatte auch Hanns &#x017F;einen<lb/>
ganzen Vorrath auf die&#x017F;e Art verkauft, nur<lb/>
noch zwei Scheffel Waizen lagen auf &#x017F;einem<lb/>
leeren Boden, welche die kluge Hausfrau neb&#x017F;t<lb/>
dem no&#x0364;thigen Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e noch zuru&#x0364;ckgelegt<lb/>
hatte, um in der Erndte die kraftlo&#x017F;en Lohn-<lb/>
arbeiter mit guter und nahrhafter Mehl&#x017F;pei&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rken zu ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Eben wollte Hanns aus die&#x017F;er Ab&#x017F;icht den<lb/>
Waizen nach der Mu&#x0364;hle fu&#x0364;hren, als ein be-<lb/>
kanter Ba&#x0364;cker bei ihm ein&#x017F;prach. Ich laufe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0191] nach den Staͤdten zu fuͤhren, wo man aus Noth zahlte, was die heißhungrige Gewinn- ſucht forderte. Er hatte mit ſeinem Weibe beſchloſſen, all ſein Getraide in den Graͤn- zen des Dorfs an die armen Inſaſſen und Tagloͤhner um einen niedrigern Preiß zu ver- kaufen, er erfuͤllte ſein Geluͤbde, und beide Eheleute hoften, daß dies gute Werk der Al- lesbelohnende einſt reichlich vergelten werde. Wie die Erndte ſich ſchon nahte, und tauſend Hungrige den Tag der Reife mit banger Sehn- ſucht erwarteten, hatte auch Hanns ſeinen ganzen Vorrath auf dieſe Art verkauft, nur noch zwei Scheffel Waizen lagen auf ſeinem leeren Boden, welche die kluge Hausfrau nebſt dem noͤthigen Beduͤrfniſſe noch zuruͤckgelegt hatte, um in der Erndte die kraftloſen Lohn- arbeiter mit guter und nahrhafter Mehlſpeiſe ſtaͤrken zu koͤnnen. Eben wollte Hanns aus dieſer Abſicht den Waizen nach der Muͤhle fuͤhren, als ein be- kanter Baͤcker bei ihm einſprach. Ich laufe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/191
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/191>, abgerufen am 09.11.2024.