offen und innig liebten, ihre Kinder sorg- fältig, und als treue Mütter pflegten.
Nach einem Jahre starb der Anführer der Horde, welche izt über dreihundert Glieder stark war. Alle erkannten mich als den Tapfersten, und wählten mich zu ihrem Hauptmanne; ich mußte schwören, daß ich ihren Bund aufrecht erhalten, und jedes Ge- setz mit Strenge schützen wollte. Wie ich einst mit einigen meiner Untergebnen von ei- nem glücklichen Raube zurück nach unserm Forste kehrte, begegnete mir die schöne Edel- drud, sie hatte wahrscheinlich iu einer na- hen Kapelle gebetet, ihr Schleier wallte frei umher, sie deckte erst ihr Angesicht damit, als wir uns ganz nahten. Ihr Engelge- sicht, ihre reizende Gestalt weckte Liebe in mir, mein Herz flog ihr entgegen, und folgte unwillkürlich, als sie nach der väter- lichen Veste zog. Ich wälzte mich schlaflos
Biogr. d. W. 4r Bd. P
offen und innig liebten, ihre Kinder ſorg- faͤltig, und als treue Muͤtter pflegten.
Nach einem Jahre ſtarb der Anfuͤhrer der Horde, welche izt uͤber dreihundert Glieder ſtark war. Alle erkannten mich als den Tapferſten, und waͤhlten mich zu ihrem Hauptmanne; ich mußte ſchwoͤren, daß ich ihren Bund aufrecht erhalten, und jedes Ge- ſetz mit Strenge ſchuͤtzen wollte. Wie ich einſt mit einigen meiner Untergebnen von ei- nem gluͤcklichen Raube zuruͤck nach unſerm Forſte kehrte, begegnete mir die ſchoͤne Edel- drud, ſie hatte wahrſcheinlich iu einer na- hen Kapelle gebetet, ihr Schleier wallte frei umher, ſie deckte erſt ihr Angeſicht damit, als wir uns ganz nahten. Ihr Engelge- ſicht, ihre reizende Geſtalt weckte Liebe in mir, mein Herz flog ihr entgegen, und folgte unwillkuͤrlich, als ſie nach der vaͤter- lichen Veſte zog. Ich waͤlzte mich ſchlaflos
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offen und innig liebten, ihre Kinder ſorg-
faͤltig, und als treue Muͤtter pflegten.
Nach einem Jahre ſtarb der Anfuͤhrer
der Horde, welche izt uͤber dreihundert
Glieder ſtark war. Alle erkannten mich als
den Tapferſten, und waͤhlten mich zu ihrem
Hauptmanne; ich mußte ſchwoͤren, daß ich
ihren Bund aufrecht erhalten, und jedes Ge-
ſetz mit Strenge ſchuͤtzen wollte. Wie ich
einſt mit einigen meiner Untergebnen von ei-
nem gluͤcklichen Raube zuruͤck nach unſerm
Forſte kehrte, begegnete mir die ſchoͤne Edel-
drud, ſie hatte wahrſcheinlich iu einer na-
hen Kapelle gebetet, ihr Schleier wallte frei
umher, ſie deckte erſt ihr Angeſicht damit,
als wir uns ganz nahten. Ihr Engelge-
ſicht, ihre reizende Geſtalt weckte Liebe in
mir, mein Herz flog ihr entgegen, und
folgte unwillkuͤrlich, als ſie nach der vaͤter-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/235>, abgerufen am 21.11.2024.
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