nehme Vorstellung, mit welcher sie sich zu trösten suchte, wenn Wehmuth sie ergrif, und schwarzer Tiefsinn an ihrem Herzen nagen wollte.
Wilhelm hatte ein schweres Verbrechen verübt, die Gelegenheit war reizend und ein- ladend, aber lange nicht hinreichend genug, um den ächten Rechtschafnen in die Falle zu locken! Dieser Gedanke hätte sie schrecken, we- nigstens bange Sorge für die Zukunft in ihr erregen sollen, aber nichts verzeiht, nichts entschuldigt stärker, als die Liebe. Sie hat zwei Mäntel, welche sie abwechselnd trägt, einer ist lang, weit, und dem Auge undurch- dringbar, der andere ist klein, enge und vom dünsten Flore gewebt. Mit dem erstern be- deckt sie die Mängel und Fehler des geliebten Gegenstands, wenn sie sich naht, in den lez- tern hüllt sie diesen, wenn sie Abschied nehmen will, oder einen Reizendern findet.
nehme Vorſtellung, mit welcher ſie ſich zu troͤſten ſuchte, wenn Wehmuth ſie ergrif, und ſchwarzer Tiefſinn an ihrem Herzen nagen wollte.
Wilhelm hatte ein ſchweres Verbrechen veruͤbt, die Gelegenheit war reizend und ein- ladend, aber lange nicht hinreichend genug, um den aͤchten Rechtſchafnen in die Falle zu locken! Dieſer Gedanke haͤtte ſie ſchrecken, we- nigſtens bange Sorge fuͤr die Zukunft in ihr erregen ſollen, aber nichts verzeiht, nichts entſchuldigt ſtaͤrker, als die Liebe. Sie hat zwei Maͤntel, welche ſie abwechſelnd traͤgt, einer iſt lang, weit, und dem Auge undurch- dringbar, der andere iſt klein, enge und vom duͤnſten Flore gewebt. Mit dem erſtern be- deckt ſie die Maͤngel und Fehler des geliebten Gegenſtands, wenn ſie ſich naht, in den lez- tern huͤllt ſie dieſen, wenn ſie Abſchied nehmen will, oder einen Reizendern findet.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0041"n="31"/>
nehme Vorſtellung, mit welcher ſie ſich zu<lb/>
troͤſten ſuchte, wenn Wehmuth ſie ergrif, und<lb/>ſchwarzer Tiefſinn an ihrem Herzen nagen<lb/>
wollte.</p><lb/><p>Wilhelm hatte ein ſchweres Verbrechen<lb/>
veruͤbt, die Gelegenheit war reizend und ein-<lb/>
ladend, aber lange nicht hinreichend genug,<lb/>
um den aͤchten Rechtſchafnen in die Falle zu<lb/>
locken! Dieſer Gedanke haͤtte ſie ſchrecken, we-<lb/>
nigſtens bange Sorge fuͤr die Zukunft in ihr<lb/>
erregen ſollen, aber nichts verzeiht, nichts<lb/>
entſchuldigt ſtaͤrker, als die Liebe. Sie hat<lb/>
zwei Maͤntel, welche ſie abwechſelnd traͤgt,<lb/>
einer iſt lang, weit, und dem Auge undurch-<lb/>
dringbar, der andere iſt klein, enge und vom<lb/>
duͤnſten Flore gewebt. Mit dem erſtern be-<lb/>
deckt ſie die Maͤngel und Fehler des geliebten<lb/>
Gegenſtands, wenn ſie ſich naht, in den lez-<lb/>
tern huͤllt ſie dieſen, wenn ſie Abſchied nehmen<lb/>
will, oder einen Reizendern findet.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[31/0041]
nehme Vorſtellung, mit welcher ſie ſich zu
troͤſten ſuchte, wenn Wehmuth ſie ergrif, und
ſchwarzer Tiefſinn an ihrem Herzen nagen
wollte.
Wilhelm hatte ein ſchweres Verbrechen
veruͤbt, die Gelegenheit war reizend und ein-
ladend, aber lange nicht hinreichend genug,
um den aͤchten Rechtſchafnen in die Falle zu
locken! Dieſer Gedanke haͤtte ſie ſchrecken, we-
nigſtens bange Sorge fuͤr die Zukunft in ihr
erregen ſollen, aber nichts verzeiht, nichts
entſchuldigt ſtaͤrker, als die Liebe. Sie hat
zwei Maͤntel, welche ſie abwechſelnd traͤgt,
einer iſt lang, weit, und dem Auge undurch-
dringbar, der andere iſt klein, enge und vom
duͤnſten Flore gewebt. Mit dem erſtern be-
deckt ſie die Maͤngel und Fehler des geliebten
Gegenſtands, wenn ſie ſich naht, in den lez-
tern huͤllt ſie dieſen, wenn ſie Abſchied nehmen
will, oder einen Reizendern findet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/41>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.