Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Das ist freventlich gesprochen. -- Die Frau warf dem Gatten wieder den besondern unheimlichen Blick zu, der seit dem Tode ihrer Kinder sich bei ihr eingestellt hatte, und erwiderte kurz, aber bitter: Du wirst sehen, wir bringen den Jungen nicht davon; wendete sich gegen die Wand und stellte sich, als ob sie einschliefe. Der Vater, nach einigen Seufzern und einem herzlichen Gebete, entschlief wirklich, müde wie er war vom Kutschiren, von den Mühseligkeiten und Sorgen jeglicher Art. --

Und als der Morgen gekommen und die Pferde angeschirrt waren, und der mit den Zurüstungen zur Abreise fertig gewordene Vater hinaufging, um die Seinigen zum Aufbruch zu mahnen, fand er die Kammer angefüllt von allen Weibsleuten des Hauses. Scholastika war in laute Verzweiflung gerathen, denn Johann hatte wieder seine Gichter bekommen, und kein Besänftigungsmittel wollte mehr anschlagen. Vergebens riethen die Weiber Das und Jenes; vergebens versuchte die Mutter, was die Angst ihr eingab, an dem kleinen Kranken. Der Anfall der Krämpfe wurde immer heftiger, des Leidenden Athem immer kürzer, und der Vater hatte ihm kaum einen Kuß auf die blauen Lippen gedrückt, so streckte sich das Kind zum ewigen Schlafe aus und war todt; das dritte, das die Eltern binnen acht Tagen hatten verlieren müssen. -- Das Wehklagen der Mutter, und wie sie ihr schwarzes Haar zerraufte und sich die Brust und Stirne zerschlug, ist

Das ist freventlich gesprochen. — Die Frau warf dem Gatten wieder den besondern unheimlichen Blick zu, der seit dem Tode ihrer Kinder sich bei ihr eingestellt hatte, und erwiderte kurz, aber bitter: Du wirst sehen, wir bringen den Jungen nicht davon; wendete sich gegen die Wand und stellte sich, als ob sie einschliefe. Der Vater, nach einigen Seufzern und einem herzlichen Gebete, entschlief wirklich, müde wie er war vom Kutschiren, von den Mühseligkeiten und Sorgen jeglicher Art. —

Und als der Morgen gekommen und die Pferde angeschirrt waren, und der mit den Zurüstungen zur Abreise fertig gewordene Vater hinaufging, um die Seinigen zum Aufbruch zu mahnen, fand er die Kammer angefüllt von allen Weibsleuten des Hauses. Scholastika war in laute Verzweiflung gerathen, denn Johann hatte wieder seine Gichter bekommen, und kein Besänftigungsmittel wollte mehr anschlagen. Vergebens riethen die Weiber Das und Jenes; vergebens versuchte die Mutter, was die Angst ihr eingab, an dem kleinen Kranken. Der Anfall der Krämpfe wurde immer heftiger, des Leidenden Athem immer kürzer, und der Vater hatte ihm kaum einen Kuß auf die blauen Lippen gedrückt, so streckte sich das Kind zum ewigen Schlafe aus und war todt; das dritte, das die Eltern binnen acht Tagen hatten verlieren müssen. — Das Wehklagen der Mutter, und wie sie ihr schwarzes Haar zerraufte und sich die Brust und Stirne zerschlug, ist

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012"/>
Das ist freventlich gesprochen. &#x2014; Die Frau warf dem Gatten wieder den besondern                unheimlichen Blick zu, der seit dem Tode ihrer Kinder sich bei ihr eingestellt hatte,                und erwiderte kurz, aber bitter: Du wirst sehen, wir bringen den Jungen nicht davon;                wendete sich gegen die Wand und stellte sich, als ob sie einschliefe. Der Vater, nach                einigen Seufzern und einem herzlichen Gebete, entschlief wirklich, müde wie er war                vom Kutschiren, von den Mühseligkeiten und Sorgen jeglicher Art. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Und als der Morgen gekommen und die Pferde angeschirrt waren, und der mit den                Zurüstungen zur Abreise fertig gewordene Vater hinaufging, um die Seinigen zum                Aufbruch zu mahnen, fand er die Kammer angefüllt von allen Weibsleuten des Hauses.                Scholastika war in laute Verzweiflung gerathen, denn Johann hatte wieder seine                Gichter bekommen, und kein Besänftigungsmittel wollte mehr anschlagen. Vergebens                riethen die Weiber Das und Jenes; vergebens versuchte die Mutter, was die Angst ihr                eingab, an dem kleinen Kranken. Der Anfall der Krämpfe wurde immer heftiger, des                Leidenden Athem immer kürzer, und der Vater hatte ihm kaum einen Kuß auf die blauen                Lippen gedrückt, so streckte sich das Kind zum ewigen Schlafe aus und war todt; das                dritte, das die Eltern binnen acht Tagen hatten verlieren müssen. &#x2014; Das Wehklagen der                Mutter, und wie sie ihr schwarzes Haar zerraufte und sich die Brust und Stirne                zerschlug, ist<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] Das ist freventlich gesprochen. — Die Frau warf dem Gatten wieder den besondern unheimlichen Blick zu, der seit dem Tode ihrer Kinder sich bei ihr eingestellt hatte, und erwiderte kurz, aber bitter: Du wirst sehen, wir bringen den Jungen nicht davon; wendete sich gegen die Wand und stellte sich, als ob sie einschliefe. Der Vater, nach einigen Seufzern und einem herzlichen Gebete, entschlief wirklich, müde wie er war vom Kutschiren, von den Mühseligkeiten und Sorgen jeglicher Art. — Und als der Morgen gekommen und die Pferde angeschirrt waren, und der mit den Zurüstungen zur Abreise fertig gewordene Vater hinaufging, um die Seinigen zum Aufbruch zu mahnen, fand er die Kammer angefüllt von allen Weibsleuten des Hauses. Scholastika war in laute Verzweiflung gerathen, denn Johann hatte wieder seine Gichter bekommen, und kein Besänftigungsmittel wollte mehr anschlagen. Vergebens riethen die Weiber Das und Jenes; vergebens versuchte die Mutter, was die Angst ihr eingab, an dem kleinen Kranken. Der Anfall der Krämpfe wurde immer heftiger, des Leidenden Athem immer kürzer, und der Vater hatte ihm kaum einen Kuß auf die blauen Lippen gedrückt, so streckte sich das Kind zum ewigen Schlafe aus und war todt; das dritte, das die Eltern binnen acht Tagen hatten verlieren müssen. — Das Wehklagen der Mutter, und wie sie ihr schwarzes Haar zerraufte und sich die Brust und Stirne zerschlug, ist

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:06:51Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:06:51Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/12
Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/12>, abgerufen am 03.12.2024.