Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Jugendfreunde gehabt; er fand sie meistens nicht mehr auf Erden oder im Lande; die wenigen, die geblieben, kannten ihn nicht, wußten sich seiner nicht mehr zu erinnern. Hagenbach hatte Verwandte gehabt; mehrere von denselben lebten zwar noch, aber sie empfingen ihn abstoßend und unfreundlich, denn sie meinten, er komme, um sich von ihren Almosen zu nähren als ein bettelhafter Vetter. Das ältere Volk glotzte den Fremden an, wie ein seltsames Thier, und plagte ihn mit seiner unersättlichen Neugierde; das jüngere verspottete seine Frau und deren sonderbare Reden und Geberden. Der alte Hauptmann sah sich überall getäuscht und beleidigt. Er hatte geglaubt -- so rechnen gewöhnlich die fern vom Vaterlande Lebenden -- mit Freuden daheim empfangen zu werden; aber nicht ein einzig Herz schlug ihm entgegen. Erst, nachdem ruchbar geworden, daß Hagenbach's Peter als ein reicher Mann, wie ihn die Genügsamen nannten, aus der Fremde gekommen, wollte sich eine Annäherung verspüren lassen; aber Hagenbach, gekränkt und aus seinen patriotischen Träumen erwacht, trotzte nun seinerseits und wäre bald auf und davon gefahren, um sein Land mit dem Rücken anzusehen. Da kam er eines Tags auf den Platz der Landsgemeinde, und die uralte Linde daselbst fiel ihm in die Augen, und er mußte weinen, denn unter dieser Linde war er so zu sagen aufgewachsen, und von der Zeit an hatte er wieder keinen andern Gedanken und Wunsch, als unfern von der Linde zu wohnen und zu Jugendfreunde gehabt; er fand sie meistens nicht mehr auf Erden oder im Lande; die wenigen, die geblieben, kannten ihn nicht, wußten sich seiner nicht mehr zu erinnern. Hagenbach hatte Verwandte gehabt; mehrere von denselben lebten zwar noch, aber sie empfingen ihn abstoßend und unfreundlich, denn sie meinten, er komme, um sich von ihren Almosen zu nähren als ein bettelhafter Vetter. Das ältere Volk glotzte den Fremden an, wie ein seltsames Thier, und plagte ihn mit seiner unersättlichen Neugierde; das jüngere verspottete seine Frau und deren sonderbare Reden und Geberden. Der alte Hauptmann sah sich überall getäuscht und beleidigt. Er hatte geglaubt — so rechnen gewöhnlich die fern vom Vaterlande Lebenden — mit Freuden daheim empfangen zu werden; aber nicht ein einzig Herz schlug ihm entgegen. Erst, nachdem ruchbar geworden, daß Hagenbach's Peter als ein reicher Mann, wie ihn die Genügsamen nannten, aus der Fremde gekommen, wollte sich eine Annäherung verspüren lassen; aber Hagenbach, gekränkt und aus seinen patriotischen Träumen erwacht, trotzte nun seinerseits und wäre bald auf und davon gefahren, um sein Land mit dem Rücken anzusehen. Da kam er eines Tags auf den Platz der Landsgemeinde, und die uralte Linde daselbst fiel ihm in die Augen, und er mußte weinen, denn unter dieser Linde war er so zu sagen aufgewachsen, und von der Zeit an hatte er wieder keinen andern Gedanken und Wunsch, als unfern von der Linde zu wohnen und zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0019"/> Jugendfreunde gehabt; er fand sie meistens nicht mehr auf Erden oder im Lande; die wenigen, die geblieben, kannten ihn nicht, wußten sich seiner nicht mehr zu erinnern. Hagenbach hatte Verwandte gehabt; mehrere von denselben lebten zwar noch, aber sie empfingen ihn abstoßend und unfreundlich, denn sie meinten, er komme, um sich von ihren Almosen zu nähren als ein bettelhafter Vetter. Das ältere Volk glotzte den Fremden an, wie ein seltsames Thier, und plagte ihn mit seiner unersättlichen Neugierde; das jüngere verspottete seine Frau und deren sonderbare Reden und Geberden. Der alte Hauptmann sah sich überall getäuscht und beleidigt. Er hatte geglaubt — so rechnen gewöhnlich die fern vom Vaterlande Lebenden — mit Freuden daheim empfangen zu werden; aber nicht ein einzig Herz schlug ihm entgegen. Erst, nachdem ruchbar geworden, daß Hagenbach's Peter als ein reicher Mann, wie ihn die Genügsamen nannten, aus der Fremde gekommen, wollte sich eine Annäherung verspüren lassen; aber Hagenbach, gekränkt und aus seinen patriotischen Träumen erwacht, trotzte nun seinerseits und wäre bald auf und davon gefahren, um sein Land mit dem Rücken anzusehen. Da kam er eines Tags auf den Platz der Landsgemeinde, und die uralte Linde daselbst fiel ihm in die Augen, und er mußte weinen, denn unter dieser Linde war er so zu sagen aufgewachsen, und von der Zeit an hatte er wieder keinen andern Gedanken und Wunsch, als unfern von der Linde zu wohnen und zu<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
Jugendfreunde gehabt; er fand sie meistens nicht mehr auf Erden oder im Lande; die wenigen, die geblieben, kannten ihn nicht, wußten sich seiner nicht mehr zu erinnern. Hagenbach hatte Verwandte gehabt; mehrere von denselben lebten zwar noch, aber sie empfingen ihn abstoßend und unfreundlich, denn sie meinten, er komme, um sich von ihren Almosen zu nähren als ein bettelhafter Vetter. Das ältere Volk glotzte den Fremden an, wie ein seltsames Thier, und plagte ihn mit seiner unersättlichen Neugierde; das jüngere verspottete seine Frau und deren sonderbare Reden und Geberden. Der alte Hauptmann sah sich überall getäuscht und beleidigt. Er hatte geglaubt — so rechnen gewöhnlich die fern vom Vaterlande Lebenden — mit Freuden daheim empfangen zu werden; aber nicht ein einzig Herz schlug ihm entgegen. Erst, nachdem ruchbar geworden, daß Hagenbach's Peter als ein reicher Mann, wie ihn die Genügsamen nannten, aus der Fremde gekommen, wollte sich eine Annäherung verspüren lassen; aber Hagenbach, gekränkt und aus seinen patriotischen Träumen erwacht, trotzte nun seinerseits und wäre bald auf und davon gefahren, um sein Land mit dem Rücken anzusehen. Da kam er eines Tags auf den Platz der Landsgemeinde, und die uralte Linde daselbst fiel ihm in die Augen, und er mußte weinen, denn unter dieser Linde war er so zu sagen aufgewachsen, und von der Zeit an hatte er wieder keinen andern Gedanken und Wunsch, als unfern von der Linde zu wohnen und zu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T12:06:51Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T12:06:51Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |