Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Gottes Namen nicht ändern. Die Pferde wollen kaum mehr fort, und dem Kind wär' eine weitere Reise ein sicherer Tod. Wäre der Bube nur halb so frisch und flott, wie sein Schwesterchen .... Vreneli, komm her und küsse mich! -- Das Mädchen kam lustig herbei, strich des Vaters Wangen und stammelte -- es konnte erst unvollkommen plaudern: Hansel wird nicht sterben, Papa! -- Behüte, behüte, versicherte der Vater, obschon ihm nicht allzuwohl ums Herz war. Da rief die Mutter mit ausländischer Betonung: Verena, Verena ! komm zum Bruder; spiele mit ihm. Ich will eine Suppe für euch kochen. -- Sie ließ den Kranken in den Armen der halberwachsenen Wirthstochter und ging mit hängendem Kopfe nach der Küche, wohin die Hausfrau sie begleitete.

Wie nun der Gatte ihr kopfschüttelnd nachschaute, begann der Wirth voll biederer Theilnahme: Das Unglück hat das gute Weib recht angegriffen. Von Mähren, sagten Sie, lieber Herr? Aber aus Ihrer Sprache zu schließen, sind Sie dort nicht zu Hause. Ich glaube eher einen Nachbar in Ihnen zu erkennen, einen Schweizer. -- So ist's, mein Freund, entgegnete der Fremde, indem ihm die helle Freude aus den Augen blitzte; ein Appenzeller, bei Gott, und ich kann's nicht erwarten, bis ich mein Vaterland wieder sehe. Das Vaterland, braver Mann, ist auch das Höchste in der Welt, und das Heimweh hätte mich dort innen aufgezehrt, obgleich mir's gut ging, fürwahr. Ich hab' im

Gottes Namen nicht ändern. Die Pferde wollen kaum mehr fort, und dem Kind wär' eine weitere Reise ein sicherer Tod. Wäre der Bube nur halb so frisch und flott, wie sein Schwesterchen .... Vreneli, komm her und küsse mich! — Das Mädchen kam lustig herbei, strich des Vaters Wangen und stammelte — es konnte erst unvollkommen plaudern: Hansel wird nicht sterben, Papa! — Behüte, behüte, versicherte der Vater, obschon ihm nicht allzuwohl ums Herz war. Da rief die Mutter mit ausländischer Betonung: Verena, Verena ! komm zum Bruder; spiele mit ihm. Ich will eine Suppe für euch kochen. — Sie ließ den Kranken in den Armen der halberwachsenen Wirthstochter und ging mit hängendem Kopfe nach der Küche, wohin die Hausfrau sie begleitete.

Wie nun der Gatte ihr kopfschüttelnd nachschaute, begann der Wirth voll biederer Theilnahme: Das Unglück hat das gute Weib recht angegriffen. Von Mähren, sagten Sie, lieber Herr? Aber aus Ihrer Sprache zu schließen, sind Sie dort nicht zu Hause. Ich glaube eher einen Nachbar in Ihnen zu erkennen, einen Schweizer. — So ist's, mein Freund, entgegnete der Fremde, indem ihm die helle Freude aus den Augen blitzte; ein Appenzeller, bei Gott, und ich kann's nicht erwarten, bis ich mein Vaterland wieder sehe. Das Vaterland, braver Mann, ist auch das Höchste in der Welt, und das Heimweh hätte mich dort innen aufgezehrt, obgleich mir's gut ging, fürwahr. Ich hab' im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0009"/>
Gottes Namen nicht ändern. Die Pferde wollen kaum mehr fort, und dem Kind wär' eine                weitere Reise ein sicherer Tod. Wäre der Bube nur halb so frisch und flott, wie sein                Schwesterchen .... Vreneli, komm her und küsse mich! &#x2014; Das Mädchen kam lustig herbei,                strich des Vaters Wangen und stammelte &#x2014; es konnte erst unvollkommen plaudern: Hansel                wird nicht sterben, Papa! &#x2014; Behüte, behüte, versicherte der Vater, obschon ihm nicht                allzuwohl ums Herz war. Da rief die Mutter mit ausländischer Betonung: Verena, Verena                ! komm zum Bruder; spiele mit ihm. Ich will eine Suppe für euch kochen. &#x2014; Sie ließ                den Kranken in den Armen der halberwachsenen Wirthstochter und ging mit hängendem                Kopfe nach der Küche, wohin die Hausfrau sie begleitete.</p><lb/>
        <p>Wie nun der Gatte ihr kopfschüttelnd nachschaute, begann der Wirth voll biederer                Theilnahme: Das Unglück hat das gute Weib recht angegriffen. Von Mähren, sagten Sie,                lieber Herr? Aber aus Ihrer Sprache zu schließen, sind Sie dort nicht zu Hause. Ich                glaube eher einen Nachbar in Ihnen zu erkennen, einen Schweizer. &#x2014; So ist's, mein                Freund, entgegnete der Fremde, indem ihm die helle Freude aus den Augen blitzte; ein                Appenzeller, bei Gott, und ich kann's nicht erwarten, bis ich mein Vaterland wieder                sehe. Das Vaterland, braver Mann, ist auch das Höchste in der Welt, und das Heimweh                hätte mich dort innen aufgezehrt, obgleich mir's gut ging, fürwahr. Ich hab' im<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0009] Gottes Namen nicht ändern. Die Pferde wollen kaum mehr fort, und dem Kind wär' eine weitere Reise ein sicherer Tod. Wäre der Bube nur halb so frisch und flott, wie sein Schwesterchen .... Vreneli, komm her und küsse mich! — Das Mädchen kam lustig herbei, strich des Vaters Wangen und stammelte — es konnte erst unvollkommen plaudern: Hansel wird nicht sterben, Papa! — Behüte, behüte, versicherte der Vater, obschon ihm nicht allzuwohl ums Herz war. Da rief die Mutter mit ausländischer Betonung: Verena, Verena ! komm zum Bruder; spiele mit ihm. Ich will eine Suppe für euch kochen. — Sie ließ den Kranken in den Armen der halberwachsenen Wirthstochter und ging mit hängendem Kopfe nach der Küche, wohin die Hausfrau sie begleitete. Wie nun der Gatte ihr kopfschüttelnd nachschaute, begann der Wirth voll biederer Theilnahme: Das Unglück hat das gute Weib recht angegriffen. Von Mähren, sagten Sie, lieber Herr? Aber aus Ihrer Sprache zu schließen, sind Sie dort nicht zu Hause. Ich glaube eher einen Nachbar in Ihnen zu erkennen, einen Schweizer. — So ist's, mein Freund, entgegnete der Fremde, indem ihm die helle Freude aus den Augen blitzte; ein Appenzeller, bei Gott, und ich kann's nicht erwarten, bis ich mein Vaterland wieder sehe. Das Vaterland, braver Mann, ist auch das Höchste in der Welt, und das Heimweh hätte mich dort innen aufgezehrt, obgleich mir's gut ging, fürwahr. Ich hab' im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:06:51Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:06:51Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/9
Zitationshilfe: Spindler, Karl: Die Engel-Ehe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–66. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_engel_1910/9>, abgerufen am 21.11.2024.