Spindler, Christian Gotthold: Unschuldige Jugend-Früchte. Leipzig, 1745.Schertzhaffte und verliebte Briefe. Der schröckliche Nocturn; es kam die düstre Nacht,Und hatte ihr zur Lust die Schlafsucht mitgebracht. Sie steht gemeiniglich derselben zu der Seiten, Es steht in ihrer Pflicht, sie öffters zu begleiten. Der Sterne schimmernd Heer, der schöne Hesperus Schien schon mit gröstem Glantz; des itzgen Tages Schluß That ihre starcke Macht den Sterblichen zuwissen, Und diese solten nun so Ruh als Schlaf geniessen. Jch folgte ihrem Winck, und legte mich zur Ruh, Und Morpheus drückte selbst mir meine Augen zu. Mit einem Wort, ich schlief; Doch welch ein artig Träumen! Dich, Schönste, sahe ich bey dick belaubten Bäumen, Jn einem furchtsamen und Einöds-vollen Hayn, Wist bist du, sprach ich, Kind! allhier so gar allein! Welch Schicksal treibt dich her? Wie? können Wald und Hecken, Sand, Wüste, Stein und Fels dich, Schönste, nicht erschrecken? Komm, eile doch mit mir aus diesem bangen Wald, Es ist ja selbiger ein schnöder Aufenthalt Von Räubern, Angst und Qual, o! komme, laß uns fliehen! Laß dich und mich, o Kind! der Todes Furcht ent- ziehen. Allein du sprachst zu mir: Freund! eine höhre Macht Hat mich mit grösten Zwang in diesen Busch ge- bracht. Jch sage weiter nichts; jedoch mein banges Schweigen Und da mein Auge thränt, dieß wird dir gnugsam zeigen. Freund!
Schertzhaffte und verliebte Briefe. Der ſchroͤckliche Nocturn; es kam die duͤſtre Nacht,Und hatte ihr zur Luſt die Schlafſucht mitgebracht. Sie ſteht gemeiniglich derſelben zu der Seiten, Es ſteht in ihrer Pflicht, ſie oͤffters zu begleiten. Der Sterne ſchim̃ernd Heer, der ſchoͤne Heſperus Schien ſchon mit groͤſtem Glantz; des itzgen Tages Schluß That ihre ſtarcke Macht den Sterblichen zuwiſſen, Und dieſe ſolten nun ſo Ruh als Schlaf genieſſen. Jch folgte ihrem Winck, und legte mich zur Ruh, Und Morpheus druͤckte ſelbſt mir meine Augen zu. Mit einem Wort, ich ſchlief; Doch welch ein artig Traͤumen! Dich, Schoͤnſte, ſahe ich bey dick belaubten Baͤumẽ, Jn einem furchtſamen und Einoͤds-vollen Hayn, Wiſt biſt du, ſprach ich, Kind! allhier ſo gar allein! Welch Schickſal treibt dich her? Wie? koͤnnen Wald und Hecken, Sand, Wuͤſte, Stein und Fels dich, Schoͤnſte, nicht erſchrecken? Komm, eile doch mit mir aus dieſem bangen Wald, Es iſt ja ſelbiger ein ſchnoͤder Aufenthalt Von Raͤubern, Angſt und Qual, o! komme, laß uns fliehen! Laß dich und mich, o Kind! der Todes Furcht ent- ziehen. Allein du ſprachſt zu mir: Freund! eine hoͤhre Macht Hat mich mit groͤſten Zwang in dieſen Buſch ge- bracht. Jch ſage weiteꝛ nichts; jedoch mein banges Schweigẽ Und da mein Auge thraͤnt, dieß wird dir gnugſam zeigen. Freund!
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0032" n="12"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Schertzhaffte und verliebte Briefe.</hi> </fw><lb/> <l>Der ſchroͤckliche <hi rendition="#aq">Nocturn;</hi> es kam die duͤſtre Nacht,</l><lb/> <l>Und hatte ihr zur Luſt die Schlafſucht mitgebracht.</l><lb/> <l>Sie ſteht gemeiniglich derſelben zu der Seiten,</l><lb/> <l>Es ſteht in ihrer Pflicht, ſie oͤffters zu begleiten.</l><lb/> <l>Der Sterne ſchim̃ernd Heer, der ſchoͤne <hi rendition="#aq">Heſperus</hi></l><lb/> <l>Schien ſchon mit groͤſtem Glantz; des itzgen Tages</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Schluß</hi> </l><lb/> <l>That ihre ſtarcke Macht den Sterblichen zuwiſſen,</l><lb/> <l>Und dieſe ſolten nun ſo Ruh als Schlaf genieſſen.</l><lb/> <l>Jch folgte ihrem Winck, und legte mich zur Ruh,</l><lb/> <l>Und <hi rendition="#aq">Morpheus</hi> druͤckte ſelbſt mir meine Augen zu.</l><lb/> <l>Mit einem Wort, ich ſchlief; Doch welch ein artig</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Traͤumen!</hi> </l><lb/> <l>Dich, Schoͤnſte, ſahe ich bey dick belaubten Baͤumẽ,</l><lb/> <l>Jn einem furchtſamen und Einoͤds-vollen Hayn,</l><lb/> <l>Wiſt biſt du, ſprach ich, Kind! allhier ſo gar allein!</l><lb/> <l>Welch Schickſal treibt dich her? Wie? koͤnnen</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Wald und Hecken,</hi> </l><lb/> <l>Sand, Wuͤſte, Stein und Fels dich, Schoͤnſte, nicht</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">erſchrecken?</hi> </l><lb/> <l>Komm, eile doch mit mir aus dieſem bangen Wald,</l><lb/> <l>Es iſt ja ſelbiger ein ſchnoͤder Aufenthalt</l><lb/> <l>Von Raͤubern, Angſt und Qual, o! komme, laß</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">uns fliehen!</hi> </l><lb/> <l>Laß dich und mich, o Kind! der Todes Furcht ent-</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">ziehen.</hi> </l><lb/> <l>Allein du ſprachſt zu mir: Freund! eine hoͤhre Macht</l><lb/> <l>Hat mich mit groͤſten Zwang in dieſen Buſch ge-</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">bracht.</hi> </l><lb/> <l>Jch ſage weiteꝛ nichts; jedoch mein banges Schweigẽ</l><lb/> <l>Und da mein Auge thraͤnt, dieß wird dir gnugſam</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">zeigen.</hi> </l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Freund!</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [12/0032]
Schertzhaffte und verliebte Briefe.
Der ſchroͤckliche Nocturn; es kam die duͤſtre Nacht,
Und hatte ihr zur Luſt die Schlafſucht mitgebracht.
Sie ſteht gemeiniglich derſelben zu der Seiten,
Es ſteht in ihrer Pflicht, ſie oͤffters zu begleiten.
Der Sterne ſchim̃ernd Heer, der ſchoͤne Heſperus
Schien ſchon mit groͤſtem Glantz; des itzgen Tages
Schluß
That ihre ſtarcke Macht den Sterblichen zuwiſſen,
Und dieſe ſolten nun ſo Ruh als Schlaf genieſſen.
Jch folgte ihrem Winck, und legte mich zur Ruh,
Und Morpheus druͤckte ſelbſt mir meine Augen zu.
Mit einem Wort, ich ſchlief; Doch welch ein artig
Traͤumen!
Dich, Schoͤnſte, ſahe ich bey dick belaubten Baͤumẽ,
Jn einem furchtſamen und Einoͤds-vollen Hayn,
Wiſt biſt du, ſprach ich, Kind! allhier ſo gar allein!
Welch Schickſal treibt dich her? Wie? koͤnnen
Wald und Hecken,
Sand, Wuͤſte, Stein und Fels dich, Schoͤnſte, nicht
erſchrecken?
Komm, eile doch mit mir aus dieſem bangen Wald,
Es iſt ja ſelbiger ein ſchnoͤder Aufenthalt
Von Raͤubern, Angſt und Qual, o! komme, laß
uns fliehen!
Laß dich und mich, o Kind! der Todes Furcht ent-
ziehen.
Allein du ſprachſt zu mir: Freund! eine hoͤhre Macht
Hat mich mit groͤſten Zwang in dieſen Buſch ge-
bracht.
Jch ſage weiteꝛ nichts; jedoch mein banges Schweigẽ
Und da mein Auge thraͤnt, dieß wird dir gnugſam
zeigen.
Freund!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |