Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spitzer, Daniel: Das Herrenrecht. Eine Novelle in Briefen. Wien, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

der Zärtlichkeit gewichen. Wir begegnen uns jetzt täglich im Walde, obwohl Severin wieder genesen ist und sie ihn daher nicht mehr im Schlosse besucht. Wir gehen Hand in Hand, plaudern, lachen und küssen uns, und manchmal theilen wir uns unsere Gedanken nur durch Küssen mit, denn der einzige Gedanke, der uns interessirt, ist, dass wir uns lieben, und wie liesse sich dieser besser mittheilen, als indem man die Lippen aneinander presst und sich umschlungen hält. Ich habe den ersten Kuss geraubt, den zweiten nach langem Kampf erobert, den dritten durfte ich mir zur Belohnung nehmen, weil ich ihr auf ihr Verlangen versprochen hatte, nie wieder einen zu rauben oder zu erobern, den vierten erhielt ich zur Strafe, weil ich sie ungeachtet ihres ausdrücklichen Verbotes mit Du angeredet hatte und sie kein anderes Mittel wusste, mir den losen Mund zu stopfen, und die zehntausend anderen Küsse tauschten wir, weil der Himmel blaute, die Sonne schien, die Welt so schön und wir so jung waren. Das Küssen ist ein Thema mit immer neuen überraschenden Variationen und wir haben

der Zärtlichkeit gewichen. Wir begegnen uns jetzt täglich im Walde, obwohl Severin wieder genesen ist und sie ihn daher nicht mehr im Schlosse besucht. Wir gehen Hand in Hand, plaudern, lachen und küssen uns, und manchmal theilen wir uns unsere Gedanken nur durch Küssen mit, denn der einzige Gedanke, der uns interessirt, ist, dass wir uns lieben, und wie liesse sich dieser besser mittheilen, als indem man die Lippen aneinander presst und sich umschlungen hält. Ich habe den ersten Kuss geraubt, den zweiten nach langem Kampf erobert, den dritten durfte ich mir zur Belohnung nehmen, weil ich ihr auf ihr Verlangen versprochen hatte, nie wieder einen zu rauben oder zu erobern, den vierten erhielt ich zur Strafe, weil ich sie ungeachtet ihres ausdrücklichen Verbotes mit Du angeredet hatte und sie kein anderes Mittel wusste, mir den losen Mund zu stopfen, und die zehntausend anderen Küsse tauschten wir, weil der Himmel blaute, die Sonne schien, die Welt so schön und wir so jung waren. Das Küssen ist ein Thema mit immer neuen überraschenden Variationen und wir haben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="52"/>
der Zärtlichkeit gewichen. Wir begegnen uns jetzt täglich im Walde, obwohl Severin wieder genesen ist und sie ihn daher nicht mehr im Schlosse besucht. Wir gehen Hand in Hand, plaudern, lachen und küssen uns, und manchmal theilen wir uns unsere Gedanken nur durch Küssen mit, denn der einzige Gedanke, der uns interessirt, ist, dass wir uns lieben, und wie liesse sich dieser besser mittheilen, als indem man die Lippen aneinander presst und sich umschlungen hält. Ich habe den ersten Kuss geraubt, den zweiten nach langem Kampf erobert, den dritten durfte ich mir zur Belohnung nehmen, weil ich ihr auf ihr Verlangen versprochen hatte, nie wieder einen zu rauben oder zu erobern, den vierten erhielt ich zur Strafe, weil ich sie ungeachtet ihres ausdrücklichen Verbotes mit Du angeredet hatte und sie kein anderes Mittel wusste, mir den losen Mund zu stopfen, und die zehntausend anderen Küsse tauschten wir, weil der Himmel blaute, die Sonne schien, die Welt so schön und wir so jung waren. Das Küssen ist ein Thema mit immer neuen überraschenden Variationen und wir haben
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0054] der Zärtlichkeit gewichen. Wir begegnen uns jetzt täglich im Walde, obwohl Severin wieder genesen ist und sie ihn daher nicht mehr im Schlosse besucht. Wir gehen Hand in Hand, plaudern, lachen und küssen uns, und manchmal theilen wir uns unsere Gedanken nur durch Küssen mit, denn der einzige Gedanke, der uns interessirt, ist, dass wir uns lieben, und wie liesse sich dieser besser mittheilen, als indem man die Lippen aneinander presst und sich umschlungen hält. Ich habe den ersten Kuss geraubt, den zweiten nach langem Kampf erobert, den dritten durfte ich mir zur Belohnung nehmen, weil ich ihr auf ihr Verlangen versprochen hatte, nie wieder einen zu rauben oder zu erobern, den vierten erhielt ich zur Strafe, weil ich sie ungeachtet ihres ausdrücklichen Verbotes mit Du angeredet hatte und sie kein anderes Mittel wusste, mir den losen Mund zu stopfen, und die zehntausend anderen Küsse tauschten wir, weil der Himmel blaute, die Sonne schien, die Welt so schön und wir so jung waren. Das Küssen ist ein Thema mit immer neuen überraschenden Variationen und wir haben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spitzer_herrenrecht_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spitzer_herrenrecht_1877/54
Zitationshilfe: Spitzer, Daniel: Das Herrenrecht. Eine Novelle in Briefen. Wien, 1877, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spitzer_herrenrecht_1877/54>, abgerufen am 17.05.2024.