Spitzer, Daniel: Das Herrenrecht. Eine Novelle in Briefen. Wien, 1877.und wenn ich nicht jeden Tag meiner gottesfürchtigen Tante die Hand küsste, würde ich das Küssen ganz verlernen, das mich doch so viel Zeit und so schwere Soupers gekostet hat. Das Schloss hat mein Urgrossvater im vorigen Jahrhundert erbaut und aus dieser Zeit stammt auch die ganze Einrichtung desselben, die aber noch immer den Eindruck grösserer Jugendlichkeit macht als die weibliche Dienerschaft. Es ist ein weitläufiges Gebäude mit zwei Thürmen und einer so grossen Anzahl von Fenstern, dass mindestens vierzig Personen, die durch den Aufenthalt im Schlosse lebensüberdrüssig geworden sind, gleichzeitig herausspringen können. Es liegt mitten in einem grossen Gartenpark, in dessen Alleen sich einige griechische Götter langweilen, deren nähere Betrachtung jetzt durch übertünchte blecherne Feigenblätter, die der Oheim an den passenden oder vielmehr unpassenden Stellen anbringen liess, auch dem schamhaftesten Auge ermöglicht worden ist. Ich habe gleich am ersten Tage meines Aufenthaltes mich in der Malerei geübt, indem ich auf diese leeren und wenn ich nicht jeden Tag meiner gottesfürchtigen Tante die Hand küsste, würde ich das Küssen ganz verlernen, das mich doch so viel Zeit und so schwere Soupers gekostet hat. Das Schloss hat mein Urgrossvater im vorigen Jahrhundert erbaut und aus dieser Zeit stammt auch die ganze Einrichtung desselben, die aber noch immer den Eindruck grösserer Jugendlichkeit macht als die weibliche Dienerschaft. Es ist ein weitläufiges Gebäude mit zwei Thürmen und einer so grossen Anzahl von Fenstern, dass mindestens vierzig Personen, die durch den Aufenthalt im Schlosse lebensüberdrüssig geworden sind, gleichzeitig herausspringen können. Es liegt mitten in einem grossen Gartenpark, in dessen Alleen sich einige griechische Götter langweilen, deren nähere Betrachtung jetzt durch übertünchte blecherne Feigenblätter, die der Oheim an den passenden oder vielmehr unpassenden Stellen anbringen liess, auch dem schamhaftesten Auge ermöglicht worden ist. Ich habe gleich am ersten Tage meines Aufenthaltes mich in der Malerei geübt, indem ich auf diese leeren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0006" n="4"/> und wenn ich nicht jeden Tag meiner gottesfürchtigen Tante die Hand küsste, würde ich das Küssen ganz verlernen, das mich doch so viel Zeit und so schwere <hi rendition="#i">Soupers</hi> gekostet hat. Das Schloss hat mein Urgrossvater im vorigen Jahrhundert erbaut und aus dieser Zeit stammt auch die ganze Einrichtung desselben, die aber noch immer den Eindruck grösserer Jugendlichkeit macht als die weibliche Dienerschaft. Es ist ein weitläufiges Gebäude mit zwei Thürmen und einer so grossen Anzahl von Fenstern, dass mindestens vierzig Personen, die durch den Aufenthalt im Schlosse lebensüberdrüssig geworden sind, gleichzeitig herausspringen können. Es liegt mitten in einem grossen Gartenpark, in dessen Alleen sich einige griechische Götter langweilen, deren nähere Betrachtung jetzt durch übertünchte blecherne Feigenblätter, die der Oheim an den passenden oder vielmehr unpassenden Stellen anbringen liess, auch dem schamhaftesten Auge ermöglicht worden ist. Ich habe gleich am ersten Tage meines Aufenthaltes mich in der Malerei geübt, indem ich auf diese leeren </p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0006]
und wenn ich nicht jeden Tag meiner gottesfürchtigen Tante die Hand küsste, würde ich das Küssen ganz verlernen, das mich doch so viel Zeit und so schwere Soupers gekostet hat. Das Schloss hat mein Urgrossvater im vorigen Jahrhundert erbaut und aus dieser Zeit stammt auch die ganze Einrichtung desselben, die aber noch immer den Eindruck grösserer Jugendlichkeit macht als die weibliche Dienerschaft. Es ist ein weitläufiges Gebäude mit zwei Thürmen und einer so grossen Anzahl von Fenstern, dass mindestens vierzig Personen, die durch den Aufenthalt im Schlosse lebensüberdrüssig geworden sind, gleichzeitig herausspringen können. Es liegt mitten in einem grossen Gartenpark, in dessen Alleen sich einige griechische Götter langweilen, deren nähere Betrachtung jetzt durch übertünchte blecherne Feigenblätter, die der Oheim an den passenden oder vielmehr unpassenden Stellen anbringen liess, auch dem schamhaftesten Auge ermöglicht worden ist. Ich habe gleich am ersten Tage meines Aufenthaltes mich in der Malerei geübt, indem ich auf diese leeren
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Zitationshilfe: | Spitzer, Daniel: Das Herrenrecht. Eine Novelle in Briefen. Wien, 1877, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spitzer_herrenrecht_1877/6>, abgerufen am 16.07.2024. |