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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Epilobium.
die Filamente gefallen sind, bis zum Safthalter kommen, so ist
jener an der Stelle, wo ihn die Filamente berühren, haaricht,
und diese, nachdem sie sich wieder vom Griffel entfernt haben,
werden nach und nach wieder breiter, eben so, wie bey dem
Asphodelus fistulosus.

5. Im Sommer 1790 fand ich diese Pflanze an einem Ort,
wo ich sie zu finden gar nicht vermuthet hatte, nemlich in der
Stadtheide, und zwar in dem sogenannten Neuen Kamp, wel-
chen man vor einigen Jahren angelegt hat, um ausländische
Holzarten in demselben zu erziehen. In der ganzen Stadtheide
habe ich niemals diese Pflanze angetroffen; ich habe sie bloß in
der Mittelheide gefunden, welche von dem Neuen Kamp eine
kleine halbe Meile entfernt ist. Ich vermuthe also, daß der Wind
ein einziges Samenkorn zu der Zeit, als der Neue Kamp ange-
legt wurde, aus der Mittelheide hieher geführet hat, und daß
aus diesem diese Pflanzen, welche beysammen stehen, und gleich-
sam ein kleines Wäldchen von einigen Schritten im Durchmesser
bilden, entstanden sind. Denn der Same ist sehr klein und mit
einer sehr langen Haarkrone versehen, kann also vom Winde mei-
lenweit fortgeführt werden. Und als der Neue Kamp angelegt
wurde, ward das Land einige Fuß tief umgegraben, und dadurch
in den Stand gesetzt, allerley, auch die feinsten, Samenkörner
aufzunehmen, und zum Keimen zu bringen. Endlich hat dieses
Epilobium kriechende Wurzeln, welche neue Stengel treiben.
Folglich kann Eine Pflanze in einigen Jahren viele andere um
sich herum hervorbringen. Sobald ich dieses kleine Wäldchen,
welches sich schon von weitem durch seine ansehnliche purpurfarbene
Blumen ausnahm, bemerkt hatte, so näherte ich mich demselben,
und fand zwey kleine schwarze Hummeln mit gelbem After auf
den Blumen in voller Arbeit. Ich betrachtete Eine Blume, und
fand sogleich den Saft und die Saftdrüse. Bald darauf bemerkte
ich einen Umstand, welcher mir unerklärlich zu seyn schien. Nem-
lich die obersten jüngeren Blumen hatten Antheren, welche mit
grünem Staube versehen waren; ihr Griffel aber war unterwärts
gekrümmt, und das Stigma hatte sich noch nicht von einander
begeben, sondern die vier Theile desselben lagen dicht an einan-
der, und schienen Ein Stück zu seyn. Die untersten älteren
Blumen hingegen hatten verwelkte und staublose Antheren; ihr
Griffel aber war grade gestreckt, und das Stigma hatte sich aus
einander gebreitet. So wie nun das Stigma der jüngeren Blu-
men nicht bestäubt werden konnte, weil es noch nicht vorhanden
war, so konnte auch das Stigma der älteren Blumen von den
ihm beygesellten Antheren keinen Staub erhalten, weil dieselben
keinen Staub mehr hatten. Und doch fand ich, daß dasselbe be-
stäubt war. Dies war sehr leicht zu erkennen, da das Stigma
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Epilobium.
weiß, der Staub aber grün ist. Ich machte also den Schluß,
daß die Hummeln den Staub von den Antheren der obersten Blu-
men auf das Stigma der untersten bringen müßten. Der Au-
genschein überzeugte mich bald von der Richtigkeit dieses Schlusses.
Denn in den obersten Blumen mußten sich die Hummeln, um
ihren Saugerüssel in den Safthalter hineinzustecken, auf die Fi-
lamente setzen, und folglich mit dem haarichten Unterleibe und
den haarichten Beinen den Staub von den Antheren abstreifen;
hingegen in den untersten Blumen mußten sie sich, zu gleichem
Endzweck, auf den Griffel setzen, weil die Filamente welk waren
und herabhingen, und dies konnten sie nicht thun, ohne mit dem
Unterleibe und den Beinen das Stigma zu berühren, und den
abgestreiften Staub auf dasselbe wieder abzusetzen. Um hievon
noch mehr versichert zu seyn, wollte ich wissen, ob die Hummeln
wirklich an ihrem Unterleibe Staub hätten. Indem sie von ei-
ner Blume auf die andere flogen, konnte ich dies eben so wenig
bemerken, als, indem sie auf einer Blume saßen, letzteres, weil
sie in jeder Blume sich nur einige Augenblicke aufhielten, indem
des Safts nur wenig ist. Ich schlug also die eine mit der Hand.
Sie flog davon, kam aber nach einigen Minuten wieder. Nun
schlug ich sie mit dem Stock, und sie fiel auf die Erde. Ich hob
sie auf, und fand ihren Unterleib, besonders die sehr haarichten
Hinterbeine voll grünen Staubes. Dadurch ward ich vollkom-
men von der Richtigkeit dieser gemachten Entdeckung überzeugt.

Einige Tage nachher fand ich, daß bey der Malua sylvestris
und dem Geranium palustre eine gleiche Einrichtung Statt fin-
det, und daß auch diese Zwitterblumen von den Insekten nicht mit
ihrem eigenen Staube, sondern die älteren mit dem Staube der
jüngeren befruchtet werden.

Die Ursache, welcher wegen die Natur diese Einrichtung ge-
macht hat, fällt bey dem Epilobium in die Augen. Denn wenn
die Staubgefäße und der Griffel nebst dem Stigma zu gleicher
Zeit blüheten, d. i., wenn der Griffel grade gestreckt und das
Stigma aus einander gebreitet wäre zu der Zeit, da die Fila-
mente steif und grade gestreckt sind, und die Antheren Staub ha-
ben: so würde der Griffel nebst dem Stigma verursachen, daß
die Hummeln den Staub der Antheren nicht rein abstreifen könn-
ten, und die Staubgefäße würden sie verhindern, den Staub
auf das Stigma zu bringen. Nach der von der Natur gemach-
ten Einrichtung hingegen können die Hummeln den Staub aller
Antheren der jüngeren Blumen rein abstreifen, weil der Griffel
nebst dem Stigma ihnen nicht im Wege ist, und mit diesem Staube
das ganze Stigma der älteren Blumen bestreichen, indem die Fi-
lamente welk sind und herabhangen.

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Epilobium.
die Filamente gefallen ſind, bis zum Safthalter kommen, ſo iſt
jener an der Stelle, wo ihn die Filamente beruͤhren, haaricht,
und dieſe, nachdem ſie ſich wieder vom Griffel entfernt haben,
werden nach und nach wieder breiter, eben ſo, wie bey dem
Aſphodelus fiſtuloſus.

5. Im Sommer 1790 fand ich dieſe Pflanze an einem Ort,
wo ich ſie zu finden gar nicht vermuthet hatte, nemlich in der
Stadtheide, und zwar in dem ſogenannten Neuen Kamp, wel-
chen man vor einigen Jahren angelegt hat, um auslaͤndiſche
Holzarten in demſelben zu erziehen. In der ganzen Stadtheide
habe ich niemals dieſe Pflanze angetroffen; ich habe ſie bloß in
der Mittelheide gefunden, welche von dem Neuen Kamp eine
kleine halbe Meile entfernt iſt. Ich vermuthe alſo, daß der Wind
ein einziges Samenkorn zu der Zeit, als der Neue Kamp ange-
legt wurde, aus der Mittelheide hieher gefuͤhret hat, und daß
aus dieſem dieſe Pflanzen, welche beyſammen ſtehen, und gleich-
ſam ein kleines Waͤldchen von einigen Schritten im Durchmeſſer
bilden, entſtanden ſind. Denn der Same iſt ſehr klein und mit
einer ſehr langen Haarkrone verſehen, kann alſo vom Winde mei-
lenweit fortgefuͤhrt werden. Und als der Neue Kamp angelegt
wurde, ward das Land einige Fuß tief umgegraben, und dadurch
in den Stand geſetzt, allerley, auch die feinſten, Samenkoͤrner
aufzunehmen, und zum Keimen zu bringen. Endlich hat dieſes
Epilobium kriechende Wurzeln, welche neue Stengel treiben.
Folglich kann Eine Pflanze in einigen Jahren viele andere um
ſich herum hervorbringen. Sobald ich dieſes kleine Waͤldchen,
welches ſich ſchon von weitem durch ſeine anſehnliche purpurfarbene
Blumen ausnahm, bemerkt hatte, ſo naͤherte ich mich demſelben,
und fand zwey kleine ſchwarze Hummeln mit gelbem After auf
den Blumen in voller Arbeit. Ich betrachtete Eine Blume, und
fand ſogleich den Saft und die Saftdruͤſe. Bald darauf bemerkte
ich einen Umſtand, welcher mir unerklaͤrlich zu ſeyn ſchien. Nem-
lich die oberſten juͤngeren Blumen hatten Antheren, welche mit
gruͤnem Staube verſehen waren; ihr Griffel aber war unterwaͤrts
gekruͤmmt, und das Stigma hatte ſich noch nicht von einander
begeben, ſondern die vier Theile deſſelben lagen dicht an einan-
der, und ſchienen Ein Stuͤck zu ſeyn. Die unterſten aͤlteren
Blumen hingegen hatten verwelkte und ſtaubloſe Antheren; ihr
Griffel aber war grade geſtreckt, und das Stigma hatte ſich aus
einander gebreitet. So wie nun das Stigma der juͤngeren Blu-
men nicht beſtaͤubt werden konnte, weil es noch nicht vorhanden
war, ſo konnte auch das Stigma der aͤlteren Blumen von den
ihm beygeſellten Antheren keinen Staub erhalten, weil dieſelben
keinen Staub mehr hatten. Und doch fand ich, daß daſſelbe be-
ſtaͤubt war. Dies war ſehr leicht zu erkennen, da das Stigma
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Epilobium.
weiß, der Staub aber gruͤn iſt. Ich machte alſo den Schluß,
daß die Hummeln den Staub von den Antheren der oberſten Blu-
men auf das Stigma der unterſten bringen muͤßten. Der Au-
genſchein uͤberzeugte mich bald von der Richtigkeit dieſes Schluſſes.
Denn in den oberſten Blumen mußten ſich die Hummeln, um
ihren Saugeruͤſſel in den Safthalter hineinzuſtecken, auf die Fi-
lamente ſetzen, und folglich mit dem haarichten Unterleibe und
den haarichten Beinen den Staub von den Antheren abſtreifen;
hingegen in den unterſten Blumen mußten ſie ſich, zu gleichem
Endzweck, auf den Griffel ſetzen, weil die Filamente welk waren
und herabhingen, und dies konnten ſie nicht thun, ohne mit dem
Unterleibe und den Beinen das Stigma zu beruͤhren, und den
abgeſtreiften Staub auf daſſelbe wieder abzuſetzen. Um hievon
noch mehr verſichert zu ſeyn, wollte ich wiſſen, ob die Hummeln
wirklich an ihrem Unterleibe Staub haͤtten. Indem ſie von ei-
ner Blume auf die andere flogen, konnte ich dies eben ſo wenig
bemerken, als, indem ſie auf einer Blume ſaßen, letzteres, weil
ſie in jeder Blume ſich nur einige Augenblicke aufhielten, indem
des Safts nur wenig iſt. Ich ſchlug alſo die eine mit der Hand.
Sie flog davon, kam aber nach einigen Minuten wieder. Nun
ſchlug ich ſie mit dem Stock, und ſie fiel auf die Erde. Ich hob
ſie auf, und fand ihren Unterleib, beſonders die ſehr haarichten
Hinterbeine voll gruͤnen Staubes. Dadurch ward ich vollkom-
men von der Richtigkeit dieſer gemachten Entdeckung uͤberzeugt.

Einige Tage nachher fand ich, daß bey der Malua ſylveſtris
und dem Geranium paluſtre eine gleiche Einrichtung Statt fin-
det, und daß auch dieſe Zwitterblumen von den Inſekten nicht mit
ihrem eigenen Staube, ſondern die aͤlteren mit dem Staube der
juͤngeren befruchtet werden.

Die Urſache, welcher wegen die Natur dieſe Einrichtung ge-
macht hat, faͤllt bey dem Epilobium in die Augen. Denn wenn
die Staubgefaͤße und der Griffel nebſt dem Stigma zu gleicher
Zeit bluͤheten, d. i., wenn der Griffel grade geſtreckt und das
Stigma aus einander gebreitet waͤre zu der Zeit, da die Fila-
mente ſteif und grade geſtreckt ſind, und die Antheren Staub ha-
ben: ſo wuͤrde der Griffel nebſt dem Stigma verurſachen, daß
die Hummeln den Staub der Antheren nicht rein abſtreifen koͤnn-
ten, und die Staubgefaͤße wuͤrden ſie verhindern, den Staub
auf das Stigma zu bringen. Nach der von der Natur gemach-
ten Einrichtung hingegen koͤnnen die Hummeln den Staub aller
Antheren der juͤngeren Blumen rein abſtreifen, weil der Griffel
nebſt dem Stigma ihnen nicht im Wege iſt, und mit dieſem Staube
das ganze Stigma der aͤlteren Blumen beſtreichen, indem die Fi-
lamente welk ſind und herabhangen.

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[[125]/0125] Epilobium. Epilobium. die Filamente gefallen ſind, bis zum Safthalter kommen, ſo iſt jener an der Stelle, wo ihn die Filamente beruͤhren, haaricht, und dieſe, nachdem ſie ſich wieder vom Griffel entfernt haben, werden nach und nach wieder breiter, eben ſo, wie bey dem Aſphodelus fiſtuloſus. 5. Im Sommer 1790 fand ich dieſe Pflanze an einem Ort, wo ich ſie zu finden gar nicht vermuthet hatte, nemlich in der Stadtheide, und zwar in dem ſogenannten Neuen Kamp, wel- chen man vor einigen Jahren angelegt hat, um auslaͤndiſche Holzarten in demſelben zu erziehen. In der ganzen Stadtheide habe ich niemals dieſe Pflanze angetroffen; ich habe ſie bloß in der Mittelheide gefunden, welche von dem Neuen Kamp eine kleine halbe Meile entfernt iſt. 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Denn in den oberſten Blumen mußten ſich die Hummeln, um ihren Saugeruͤſſel in den Safthalter hineinzuſtecken, auf die Fi- lamente ſetzen, und folglich mit dem haarichten Unterleibe und den haarichten Beinen den Staub von den Antheren abſtreifen; hingegen in den unterſten Blumen mußten ſie ſich, zu gleichem Endzweck, auf den Griffel ſetzen, weil die Filamente welk waren und herabhingen, und dies konnten ſie nicht thun, ohne mit dem Unterleibe und den Beinen das Stigma zu beruͤhren, und den abgeſtreiften Staub auf daſſelbe wieder abzuſetzen. Um hievon noch mehr verſichert zu ſeyn, wollte ich wiſſen, ob die Hummeln wirklich an ihrem Unterleibe Staub haͤtten. Indem ſie von ei- ner Blume auf die andere flogen, konnte ich dies eben ſo wenig bemerken, als, indem ſie auf einer Blume ſaßen, letzteres, weil ſie in jeder Blume ſich nur einige Augenblicke aufhielten, indem des Safts nur wenig iſt. Ich ſchlug alſo die eine mit der Hand. Sie flog davon, kam aber nach einigen Minuten wieder. Nun ſchlug ich ſie mit dem Stock, und ſie fiel auf die Erde. Ich hob ſie auf, und fand ihren Unterleib, beſonders die ſehr haarichten Hinterbeine voll gruͤnen Staubes. Dadurch ward ich vollkom- men von der Richtigkeit dieſer gemachten Entdeckung uͤberzeugt. Einige Tage nachher fand ich, daß bey der Malua ſylveſtris und dem Geranium paluſtre eine gleiche Einrichtung Statt fin- det, und daß auch dieſe Zwitterblumen von den Inſekten nicht mit ihrem eigenen Staube, ſondern die aͤlteren mit dem Staube der juͤngeren befruchtet werden. Die Urſache, welcher wegen die Natur dieſe Einrichtung ge- macht hat, faͤllt bey dem Epilobium in die Augen. Denn wenn die Staubgefaͤße und der Griffel nebſt dem Stigma zu gleicher Zeit bluͤheten, d. i., wenn der Griffel grade geſtreckt und das Stigma aus einander gebreitet waͤre zu der Zeit, da die Fila- mente ſteif und grade geſtreckt ſind, und die Antheren Staub ha- ben: ſo wuͤrde der Griffel nebſt dem Stigma verurſachen, daß die Hummeln den Staub der Antheren nicht rein abſtreifen koͤnn- ten, und die Staubgefaͤße wuͤrden ſie verhindern, den Staub auf das Stigma zu bringen. Nach der von der Natur gemach- ten Einrichtung hingegen koͤnnen die Hummeln den Staub aller Antheren der juͤngeren Blumen rein abſtreifen, weil der Griffel nebſt dem Stigma ihnen nicht im Wege iſt, und mit dieſem Staube das ganze Stigma der aͤlteren Blumen beſtreichen, indem die Fi- lamente welk ſind und herabhangen. P

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [125]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/125>, abgerufen am 23.11.2024.