Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Einleitung.
von halb oder ganz getrennten Geschlechtern, als in Zwitterblu-
men. In Rücksicht auf die letztern sagt er: "Wie oft wird durch
"ganz gemeine und gewöhnliche Zufälle die natürliche Wirkung
"dieser Geschlechtstheile in einander vermindert, gehemmt, oder
"gar vereitelt, daß z. E. der Samenstaub der einen Blume nicht
"gut, der Staubweg aber noch wohl beschaffen ist, und umge-
"kehrt. Diesen Nutzen leisten auch, außer den Bienen, andere
"honigsaugende Insekten, die zwar dem Staube nicht nachgehen,
"jedoch denselben fortschleppen etc." Hier ist Wahres und Falsches
mit einander vermengt. Daß die Bienen und andere Insekten
den Staub auf das Stigma bringen, ist gewiß, daß aber die
erstern solches nur alsdenn thun, wann sie den Staub sammlen,
ist unrichtig, da sie, auch wenn sie bloß dem Saft nachge-
hen, ohne sich um den Staub zu bekümmern, den letztern, sie
mögen wollen oder nicht, nothwendig auf das Stigma bringen
müssen, welches ich in der Folge auf die augenscheinlichste Art
erweisen werde. Daß die Bienen und andere Insekten die Be-
fruchtung der Zwitterblumen nur in so fern befördern, als diese,
welches oft geschehe, gewisse zufälligerweise entstandene Män-
gel haben, welche die Befruchtung verhindern (woraus also fol-
gen würde, daß diese Blumen im unverdorbenen Zustande ohne
Dazwischenkunft der Insekten befruchtet werden), ist auch un-
richtig. Denn erstens gereicht diese Vorstellung der Natur nicht
sonderlich zur Ehre. Die Natur bringt, nach derselben, Zwit-
terblumen hervor, in der Absicht, daß sie sich selbst befruch-
ten sollen, sorgt aber nicht dafür, daß sie dieses auch immer thun
können, sondern läßt es geschehen, daß oftmals, ja gewöhnlich
solche Veränderungen in ihnen vorgehen, welche diesen wichtigen
Endzweck vereiteln würden, wenn nicht zu gutem Glücke die In-
sekten die Blumen besuchten und befruchteten. Wenn aber dieses
nicht zufälligerweise, sondern nach der Absicht und durch die Ver-
anstaltung der Natur geschieht, welche dadurch jenen Mängeln
abhelfen will: so verfährt die Natur, dieser Vorstellung zufolge,
hierin eben so, wie ein Mensch, welcher, weil er nicht im Stande
ist, ein einziges sicheres Mittel, um zu irgend einem Zweck zu
gelangen, zu erdenken, zwey Mittel erwählt, damit, wenn das
eine ihn nicht zu seinem Zweck führen sollte, er das andere ge-
brauchen könne. Und eine Blume, deren Staubweg verdorben
ist, kann überhaupt nicht, und also auch nicht von einem Insekt,
befruchtet werden. Also würde durch dieses Mittel der gesuchte
Endzweck nur zur Hälfte erreicht werden. Zweitens ist der ver-
dorbene Zustand der Geschlechtstheile in den Blumen keinesweges
etwas gewöhnliches, sondern vielmehr etwas eben so seltenes,
als er es bey den Thieren ist. Hievon kann man sich durch die
tägliche Erfahrung überzeugen. Und wenn dieser verdorbene Zu-
[Spaltenumbruch]
Einleitung.
stand der Geschlechtstheile etwas öfters vorkommendes wäre, so
müßte derselbe eben sowohl bey denjenigen Blumen, welche kei-
nen Saft haben, und vom Winde befruchtet werden, Statt fin-
den, als bey den Saftblumen. Hieraus würde, nach jener Vor-
stellung, folgen, daß die Befruchtung bey den erstern Blumen
öfter fehlschlagen müsse, als dey den letztern, da jene nicht, wie
diese, von den Insekten besucht werden. Hievon aber lehrt die
Erfahrung grade das Gegentheil. Bey den saftleeren Blumen
erfolgt die Befruchtung, wenn nicht sicherer, doch allgemeiner,
als bei den Saftblumen, wenigstens bey verschiedenen Arten der-
selben. Die Ursach hievon ist leicht einzusehen. Denn wenn z. B.
der Wind den Antherenstaub männlicher Espen auf benachbarte
weibliche Bäume führet, so kann es bey der großen Menge Stau-
bes, welche als eine Wolke auf die weiblichen Bäume zum öftern
fällt, nicht leicht geschehen, daß eine merkliche Anzahl von Frucht-
knoten nicht etwas von diesem Staube erhalten, und dadurch be-
fruchtet werden sollte. Es kann aber manches Märzveilchen ver-
blühen, ohne von einer Biene oder einem ähnlichen Insekt einen
Besuch erhalten zu haben. Und alsdenn kann es keine Samen-
kapsel ansetzen, weil es weder sich selbst befruchten, noch vom
Winde befruchtet werden kann. In die mehresten Blumen der
gemeinen Osterluzey kriechen kleine Fliegen hinein, und befruch-
ten dieselbe; in viele aber nicht. Diese können auf keine Weise
befruchtet werden. Durch den Wind geschieht die Befruchtung
der Blumen im Großen, durch die Insekten im Einzelnen. Ein
einziger Windstoß, dessen Direktion vom männlichen Baum nach
dem weiblichen geht, kann in Einem Augenblick viel tausend Blü-
ten befruchten; eine Biene hingegen kann auf einmal nur Eine
Blume befruchten. Drittens haben die meisten Zwitterblumen
eine solche Struktur, daß sie, auch im vollkommensten Zustande
ihrer Geschlechtstheile, schlechterdings nicht anders befruchtet wer-
den können, als von den Blenen und andern Insekten. Dieses
werde ich in der Folge durch so viel Beyspiele, und auf eine solche
Art beweisen, daß auch der hartnäckigste Zweifler nicht ferner
daran wird zweifeln können.

Drittens endlich sagt er, daß die Bienen die schädlichen
Wachs- und Honigausdünstungen aus den Blumen der Wiesen
und Weiden saugen; daher man in verschiedenen Ländern bemerkt
habe, daß die Viehweiden an solchen Orten, wo viel Bienen ge-
halten werden, weit gesunder und nahrhafter für das Vieh, be-
sonders die Schafe, sind, auch das Heu an solchen Orten wohl-
riechender, kräftiger und gesunder sey. Hier wird den Bienen
ein Verdienst um die Pflanzen zugeschrieben, welches ihnen eben
so wenig, als andern Insekten, zukömmt. Sie befördern die
Befruchtung vieler Blumenarten, welche ohne ihre Beyhülfe

[Spaltenumbruch]

Einleitung.
von halb oder ganz getrennten Geſchlechtern, als in Zwitterblu-
men. In Ruͤckſicht auf die letztern ſagt er: „Wie oft wird durch
„ganz gemeine und gewoͤhnliche Zufaͤlle die natuͤrliche Wirkung
„dieſer Geſchlechtstheile in einander vermindert, gehemmt, oder
„gar vereitelt, daß z. E. der Samenſtaub der einen Blume nicht
„gut, der Staubweg aber noch wohl beſchaffen iſt, und umge-
„kehrt. Dieſen Nutzen leiſten auch, außer den Bienen, andere
„honigſaugende Inſekten, die zwar dem Staube nicht nachgehen,
„jedoch denſelben fortſchleppen ꝛc.“ Hier iſt Wahres und Falſches
mit einander vermengt. Daß die Bienen und andere Inſekten
den Staub auf das Stigma bringen, iſt gewiß, daß aber die
erſtern ſolches nur alsdenn thun, wann ſie den Staub ſammlen,
iſt unrichtig, da ſie, auch wenn ſie bloß dem Saft nachge-
hen, ohne ſich um den Staub zu bekuͤmmern, den letztern, ſie
moͤgen wollen oder nicht, nothwendig auf das Stigma bringen
muͤſſen, welches ich in der Folge auf die augenſcheinlichſte Art
erweiſen werde. Daß die Bienen und andere Inſekten die Be-
fruchtung der Zwitterblumen nur in ſo fern befoͤrdern, als dieſe,
welches oft geſchehe, gewiſſe zufaͤlligerweiſe entſtandene Maͤn-
gel haben, welche die Befruchtung verhindern (woraus alſo fol-
gen wuͤrde, daß dieſe Blumen im unverdorbenen Zuſtande ohne
Dazwiſchenkunft der Inſekten befruchtet werden), iſt auch un-
richtig. Denn erſtens gereicht dieſe Vorſtellung der Natur nicht
ſonderlich zur Ehre. Die Natur bringt, nach derſelben, Zwit-
terblumen hervor, in der Abſicht, daß ſie ſich ſelbſt befruch-
ten ſollen, ſorgt aber nicht dafuͤr, daß ſie dieſes auch immer thun
koͤnnen, ſondern laͤßt es geſchehen, daß oftmals, ja gewoͤhnlich
ſolche Veraͤnderungen in ihnen vorgehen, welche dieſen wichtigen
Endzweck vereiteln wuͤrden, wenn nicht zu gutem Gluͤcke die In-
ſekten die Blumen beſuchten und befruchteten. Wenn aber dieſes
nicht zufaͤlligerweiſe, ſondern nach der Abſicht und durch die Ver-
anſtaltung der Natur geſchieht, welche dadurch jenen Maͤngeln
abhelfen will: ſo verfaͤhrt die Natur, dieſer Vorſtellung zufolge,
hierin eben ſo, wie ein Menſch, welcher, weil er nicht im Stande
iſt, ein einziges ſicheres Mittel, um zu irgend einem Zweck zu
gelangen, zu erdenken, zwey Mittel erwaͤhlt, damit, wenn das
eine ihn nicht zu ſeinem Zweck fuͤhren ſollte, er das andere ge-
brauchen koͤnne. Und eine Blume, deren Staubweg verdorben
iſt, kann uͤberhaupt nicht, und alſo auch nicht von einem Inſekt,
befruchtet werden. Alſo wuͤrde durch dieſes Mittel der geſuchte
Endzweck nur zur Haͤlfte erreicht werden. Zweitens iſt der ver-
dorbene Zuſtand der Geſchlechtstheile in den Blumen keinesweges
etwas gewoͤhnliches, ſondern vielmehr etwas eben ſo ſeltenes,
als er es bey den Thieren iſt. Hievon kann man ſich durch die
taͤgliche Erfahrung uͤberzeugen. Und wenn dieſer verdorbene Zu-
[Spaltenumbruch]
Einleitung.
ſtand der Geſchlechtstheile etwas oͤfters vorkommendes waͤre, ſo
muͤßte derſelbe eben ſowohl bey denjenigen Blumen, welche kei-
nen Saft haben, und vom Winde befruchtet werden, Statt fin-
den, als bey den Saftblumen. Hieraus wuͤrde, nach jener Vor-
ſtellung, folgen, daß die Befruchtung bey den erſtern Blumen
oͤfter fehlſchlagen muͤſſe, als dey den letztern, da jene nicht, wie
dieſe, von den Inſekten beſucht werden. Hievon aber lehrt die
Erfahrung grade das Gegentheil. Bey den ſaftleeren Blumen
erfolgt die Befruchtung, wenn nicht ſicherer, doch allgemeiner,
als bei den Saftblumen, wenigſtens bey verſchiedenen Arten der-
ſelben. Die Urſach hievon iſt leicht einzuſehen. Denn wenn z. B.
der Wind den Antherenſtaub maͤnnlicher Espen auf benachbarte
weibliche Baͤume fuͤhret, ſo kann es bey der großen Menge Stau-
bes, welche als eine Wolke auf die weiblichen Baͤume zum oͤftern
faͤllt, nicht leicht geſchehen, daß eine merkliche Anzahl von Frucht-
knoten nicht etwas von dieſem Staube erhalten, und dadurch be-
fruchtet werden ſollte. Es kann aber manches Maͤrzveilchen ver-
bluͤhen, ohne von einer Biene oder einem aͤhnlichen Inſekt einen
Beſuch erhalten zu haben. Und alsdenn kann es keine Samen-
kapſel anſetzen, weil es weder ſich ſelbſt befruchten, noch vom
Winde befruchtet werden kann. In die mehreſten Blumen der
gemeinen Oſterluzey kriechen kleine Fliegen hinein, und befruch-
ten dieſelbe; in viele aber nicht. Dieſe koͤnnen auf keine Weiſe
befruchtet werden. Durch den Wind geſchieht die Befruchtung
der Blumen im Großen, durch die Inſekten im Einzelnen. Ein
einziger Windſtoß, deſſen Direktion vom maͤnnlichen Baum nach
dem weiblichen geht, kann in Einem Augenblick viel tauſend Bluͤ-
ten befruchten; eine Biene hingegen kann auf einmal nur Eine
Blume befruchten. Drittens haben die meiſten Zwitterblumen
eine ſolche Struktur, daß ſie, auch im vollkommenſten Zuſtande
ihrer Geſchlechtstheile, ſchlechterdings nicht anders befruchtet wer-
den koͤnnen, als von den Blenen und andern Inſekten. Dieſes
werde ich in der Folge durch ſo viel Beyſpiele, und auf eine ſolche
Art beweiſen, daß auch der hartnaͤckigſte Zweifler nicht ferner
daran wird zweifeln koͤnnen.

Drittens endlich ſagt er, daß die Bienen die ſchaͤdlichen
Wachs- und Honigausduͤnſtungen aus den Blumen der Wieſen
und Weiden ſaugen; daher man in verſchiedenen Laͤndern bemerkt
habe, daß die Viehweiden an ſolchen Orten, wo viel Bienen ge-
halten werden, weit geſunder und nahrhafter fuͤr das Vieh, be-
ſonders die Schafe, ſind, auch das Heu an ſolchen Orten wohl-
riechender, kraͤftiger und geſunder ſey. Hier wird den Bienen
ein Verdienſt um die Pflanzen zugeſchrieben, welches ihnen eben
ſo wenig, als andern Inſekten, zukoͤmmt. Sie befoͤrdern die
Befruchtung vieler Blumenarten, welche ohne ihre Beyhuͤlfe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0016" n="[16]"/><cb n="7"/><lb/>
<fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/>
von halb oder ganz getrennten Ge&#x017F;chlechtern, als in Zwitterblu-<lb/>
men. In Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die letztern &#x017F;agt er: &#x201E;Wie oft wird durch<lb/>
&#x201E;ganz gemeine und gewo&#x0364;hnliche Zufa&#x0364;lle die natu&#x0364;rliche Wirkung<lb/>
&#x201E;die&#x017F;er Ge&#x017F;chlechtstheile in einander vermindert, gehemmt, oder<lb/>
&#x201E;gar vereitelt, daß z. E. der Samen&#x017F;taub der einen Blume nicht<lb/>
&#x201E;gut, der Staubweg aber noch wohl be&#x017F;chaffen i&#x017F;t, und umge-<lb/>
&#x201E;kehrt. Die&#x017F;en Nutzen lei&#x017F;ten auch, außer den Bienen, andere<lb/>
&#x201E;honig&#x017F;augende In&#x017F;ekten, die zwar dem Staube nicht nachgehen,<lb/>
&#x201E;jedoch den&#x017F;elben fort&#x017F;chleppen &#xA75B;c.&#x201C; Hier i&#x017F;t Wahres und Fal&#x017F;ches<lb/>
mit einander vermengt. Daß die Bienen und andere In&#x017F;ekten<lb/>
den Staub auf das Stigma bringen, i&#x017F;t gewiß, daß aber die<lb/>
er&#x017F;tern &#x017F;olches nur alsdenn thun, wann &#x017F;ie den Staub &#x017F;ammlen,<lb/>
i&#x017F;t unrichtig, da &#x017F;ie, auch wenn &#x017F;ie bloß dem Saft nachge-<lb/>
hen, ohne &#x017F;ich um den Staub zu beku&#x0364;mmern, den letztern, &#x017F;ie<lb/>
mo&#x0364;gen wollen oder nicht, nothwendig auf das Stigma bringen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, welches ich in der Folge auf die augen&#x017F;cheinlich&#x017F;te Art<lb/>
erwei&#x017F;en werde. Daß die Bienen und andere In&#x017F;ekten die Be-<lb/>
fruchtung der Zwitterblumen nur in &#x017F;o fern befo&#x0364;rdern, als die&#x017F;e,<lb/>
welches oft ge&#x017F;chehe, gewi&#x017F;&#x017F;e zufa&#x0364;lligerwei&#x017F;e ent&#x017F;tandene Ma&#x0364;n-<lb/>
gel haben, welche die Befruchtung verhindern (woraus al&#x017F;o fol-<lb/>
gen wu&#x0364;rde, daß die&#x017F;e Blumen im unverdorbenen Zu&#x017F;tande ohne<lb/>
Dazwi&#x017F;chenkunft der In&#x017F;ekten befruchtet werden), i&#x017F;t auch un-<lb/>
richtig. Denn er&#x017F;tens gereicht die&#x017F;e Vor&#x017F;tellung der Natur nicht<lb/>
&#x017F;onderlich zur Ehre. Die Natur bringt, nach der&#x017F;elben, Zwit-<lb/>
terblumen hervor, in der Ab&#x017F;icht, daß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t befruch-<lb/>
ten &#x017F;ollen, &#x017F;orgt aber nicht dafu&#x0364;r, daß &#x017F;ie die&#x017F;es auch immer thun<lb/>
ko&#x0364;nnen, &#x017F;ondern la&#x0364;ßt es ge&#x017F;chehen, daß oftmals, ja gewo&#x0364;hnlich<lb/>
&#x017F;olche Vera&#x0364;nderungen in ihnen vorgehen, welche die&#x017F;en wichtigen<lb/>
Endzweck vereiteln wu&#x0364;rden, wenn nicht zu gutem Glu&#x0364;cke die In-<lb/>
&#x017F;ekten die Blumen be&#x017F;uchten und befruchteten. Wenn aber die&#x017F;es<lb/>
nicht zufa&#x0364;lligerwei&#x017F;e, &#x017F;ondern nach der Ab&#x017F;icht und durch die Ver-<lb/>
an&#x017F;taltung der Natur ge&#x017F;chieht, welche dadurch jenen Ma&#x0364;ngeln<lb/>
abhelfen will: &#x017F;o verfa&#x0364;hrt die Natur, die&#x017F;er Vor&#x017F;tellung zufolge,<lb/>
hierin eben &#x017F;o, wie ein Men&#x017F;ch, welcher, weil er nicht im Stande<lb/>
i&#x017F;t, ein einziges &#x017F;icheres Mittel, um zu irgend einem Zweck zu<lb/>
gelangen, zu erdenken, zwey Mittel erwa&#x0364;hlt, damit, wenn das<lb/>
eine ihn nicht zu &#x017F;einem Zweck fu&#x0364;hren &#x017F;ollte, er das andere ge-<lb/>
brauchen ko&#x0364;nne. Und eine Blume, deren Staubweg verdorben<lb/>
i&#x017F;t, kann u&#x0364;berhaupt nicht, und al&#x017F;o auch nicht von einem In&#x017F;ekt,<lb/>
befruchtet werden. Al&#x017F;o wu&#x0364;rde durch die&#x017F;es Mittel der ge&#x017F;uchte<lb/>
Endzweck nur zur Ha&#x0364;lfte erreicht werden. Zweitens i&#x017F;t der ver-<lb/>
dorbene Zu&#x017F;tand der Ge&#x017F;chlechtstheile in den Blumen keinesweges<lb/>
etwas gewo&#x0364;hnliches, &#x017F;ondern vielmehr etwas eben &#x017F;o &#x017F;eltenes,<lb/>
als er es bey den Thieren i&#x017F;t. Hievon kann man &#x017F;ich durch die<lb/>
ta&#x0364;gliche Erfahrung u&#x0364;berzeugen. Und wenn die&#x017F;er verdorbene Zu-<lb/><cb n="8"/><lb/>
<fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/>
&#x017F;tand der Ge&#x017F;chlechtstheile etwas o&#x0364;fters vorkommendes wa&#x0364;re, &#x017F;o<lb/>
mu&#x0364;ßte der&#x017F;elbe eben &#x017F;owohl bey denjenigen Blumen, welche kei-<lb/>
nen Saft haben, und vom Winde befruchtet werden, Statt fin-<lb/>
den, als bey den Saftblumen. Hieraus wu&#x0364;rde, nach jener Vor-<lb/>
&#x017F;tellung, folgen, daß die Befruchtung bey den er&#x017F;tern Blumen<lb/>
o&#x0364;fter fehl&#x017F;chlagen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, als dey den letztern, da jene nicht, wie<lb/>
die&#x017F;e, von den In&#x017F;ekten be&#x017F;ucht werden. Hievon aber lehrt die<lb/>
Erfahrung grade das Gegentheil. Bey den &#x017F;aftleeren Blumen<lb/>
erfolgt die Befruchtung, wenn nicht &#x017F;icherer, doch allgemeiner,<lb/>
als bei den Saftblumen, wenig&#x017F;tens bey ver&#x017F;chiedenen Arten der-<lb/>
&#x017F;elben. Die Ur&#x017F;ach hievon i&#x017F;t leicht einzu&#x017F;ehen. Denn wenn z. B.<lb/>
der Wind den Antheren&#x017F;taub ma&#x0364;nnlicher Espen auf benachbarte<lb/>
weibliche Ba&#x0364;ume fu&#x0364;hret, &#x017F;o kann es bey der großen Menge Stau-<lb/>
bes, welche als eine Wolke auf die weiblichen Ba&#x0364;ume zum o&#x0364;ftern<lb/>
fa&#x0364;llt, nicht leicht ge&#x017F;chehen, daß eine merkliche Anzahl von Frucht-<lb/>
knoten nicht etwas von die&#x017F;em Staube erhalten, und dadurch be-<lb/>
fruchtet werden &#x017F;ollte. Es kann aber manches Ma&#x0364;rzveilchen ver-<lb/>
blu&#x0364;hen, ohne von einer Biene oder einem a&#x0364;hnlichen In&#x017F;ekt einen<lb/>
Be&#x017F;uch erhalten zu haben. Und alsdenn kann es keine Samen-<lb/>
kap&#x017F;el an&#x017F;etzen, weil es weder &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t befruchten, noch vom<lb/>
Winde befruchtet werden kann. In die mehre&#x017F;ten Blumen der<lb/>
gemeinen O&#x017F;terluzey kriechen kleine Fliegen hinein, und befruch-<lb/>
ten die&#x017F;elbe; in viele aber nicht. Die&#x017F;e ko&#x0364;nnen auf keine Wei&#x017F;e<lb/>
befruchtet werden. Durch den Wind ge&#x017F;chieht die Befruchtung<lb/>
der Blumen im Großen, durch die In&#x017F;ekten im Einzelnen. Ein<lb/>
einziger Wind&#x017F;toß, de&#x017F;&#x017F;en Direktion vom ma&#x0364;nnlichen Baum nach<lb/>
dem weiblichen geht, kann in Einem Augenblick viel tau&#x017F;end Blu&#x0364;-<lb/>
ten befruchten; eine Biene hingegen kann auf einmal nur Eine<lb/>
Blume befruchten. Drittens haben die mei&#x017F;ten Zwitterblumen<lb/>
eine &#x017F;olche Struktur, daß &#x017F;ie, auch im vollkommen&#x017F;ten Zu&#x017F;tande<lb/>
ihrer Ge&#x017F;chlechtstheile, &#x017F;chlechterdings nicht anders befruchtet wer-<lb/>
den ko&#x0364;nnen, als von den Blenen und andern In&#x017F;ekten. Die&#x017F;es<lb/>
werde ich in der Folge durch &#x017F;o viel Bey&#x017F;piele, und auf eine &#x017F;olche<lb/>
Art bewei&#x017F;en, daß auch der hartna&#x0364;ckig&#x017F;te Zweifler nicht ferner<lb/>
daran wird zweifeln ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Drittens endlich &#x017F;agt er, daß die Bienen die &#x017F;cha&#x0364;dlichen<lb/>
Wachs- und Honigausdu&#x0364;n&#x017F;tungen aus den Blumen der Wie&#x017F;en<lb/>
und Weiden &#x017F;augen; daher man in ver&#x017F;chiedenen La&#x0364;ndern bemerkt<lb/>
habe, daß die Viehweiden an &#x017F;olchen Orten, wo viel Bienen ge-<lb/>
halten werden, weit ge&#x017F;under und nahrhafter fu&#x0364;r das Vieh, be-<lb/>
&#x017F;onders die Schafe, &#x017F;ind, auch das Heu an &#x017F;olchen Orten wohl-<lb/>
riechender, kra&#x0364;ftiger und ge&#x017F;under &#x017F;ey. Hier wird den Bienen<lb/>
ein Verdien&#x017F;t um die Pflanzen zuge&#x017F;chrieben, welches ihnen eben<lb/>
&#x017F;o wenig, als andern In&#x017F;ekten, zuko&#x0364;mmt. Sie befo&#x0364;rdern die<lb/>
Befruchtung vieler Blumenarten, welche ohne ihre Beyhu&#x0364;lfe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[16]/0016] Einleitung. Einleitung. von halb oder ganz getrennten Geſchlechtern, als in Zwitterblu- men. In Ruͤckſicht auf die letztern ſagt er: „Wie oft wird durch „ganz gemeine und gewoͤhnliche Zufaͤlle die natuͤrliche Wirkung „dieſer Geſchlechtstheile in einander vermindert, gehemmt, oder „gar vereitelt, daß z. E. der Samenſtaub der einen Blume nicht „gut, der Staubweg aber noch wohl beſchaffen iſt, und umge- „kehrt. Dieſen Nutzen leiſten auch, außer den Bienen, andere „honigſaugende Inſekten, die zwar dem Staube nicht nachgehen, „jedoch denſelben fortſchleppen ꝛc.“ Hier iſt Wahres und Falſches mit einander vermengt. Daß die Bienen und andere Inſekten den Staub auf das Stigma bringen, iſt gewiß, daß aber die erſtern ſolches nur alsdenn thun, wann ſie den Staub ſammlen, iſt unrichtig, da ſie, auch wenn ſie bloß dem Saft nachge- hen, ohne ſich um den Staub zu bekuͤmmern, den letztern, ſie moͤgen wollen oder nicht, nothwendig auf das Stigma bringen muͤſſen, welches ich in der Folge auf die augenſcheinlichſte Art erweiſen werde. Daß die Bienen und andere Inſekten die Be- fruchtung der Zwitterblumen nur in ſo fern befoͤrdern, als dieſe, welches oft geſchehe, gewiſſe zufaͤlligerweiſe entſtandene Maͤn- gel haben, welche die Befruchtung verhindern (woraus alſo fol- gen wuͤrde, daß dieſe Blumen im unverdorbenen Zuſtande ohne Dazwiſchenkunft der Inſekten befruchtet werden), iſt auch un- richtig. Denn erſtens gereicht dieſe Vorſtellung der Natur nicht ſonderlich zur Ehre. Die Natur bringt, nach derſelben, Zwit- terblumen hervor, in der Abſicht, daß ſie ſich ſelbſt befruch- ten ſollen, ſorgt aber nicht dafuͤr, daß ſie dieſes auch immer thun koͤnnen, ſondern laͤßt es geſchehen, daß oftmals, ja gewoͤhnlich ſolche Veraͤnderungen in ihnen vorgehen, welche dieſen wichtigen Endzweck vereiteln wuͤrden, wenn nicht zu gutem Gluͤcke die In- ſekten die Blumen beſuchten und befruchteten. Wenn aber dieſes nicht zufaͤlligerweiſe, ſondern nach der Abſicht und durch die Ver- anſtaltung der Natur geſchieht, welche dadurch jenen Maͤngeln abhelfen will: ſo verfaͤhrt die Natur, dieſer Vorſtellung zufolge, hierin eben ſo, wie ein Menſch, welcher, weil er nicht im Stande iſt, ein einziges ſicheres Mittel, um zu irgend einem Zweck zu gelangen, zu erdenken, zwey Mittel erwaͤhlt, damit, wenn das eine ihn nicht zu ſeinem Zweck fuͤhren ſollte, er das andere ge- brauchen koͤnne. Und eine Blume, deren Staubweg verdorben iſt, kann uͤberhaupt nicht, und alſo auch nicht von einem Inſekt, befruchtet werden. Alſo wuͤrde durch dieſes Mittel der geſuchte Endzweck nur zur Haͤlfte erreicht werden. Zweitens iſt der ver- dorbene Zuſtand der Geſchlechtstheile in den Blumen keinesweges etwas gewoͤhnliches, ſondern vielmehr etwas eben ſo ſeltenes, als er es bey den Thieren iſt. Hievon kann man ſich durch die taͤgliche Erfahrung uͤberzeugen. Und wenn dieſer verdorbene Zu- ſtand der Geſchlechtstheile etwas oͤfters vorkommendes waͤre, ſo muͤßte derſelbe eben ſowohl bey denjenigen Blumen, welche kei- nen Saft haben, und vom Winde befruchtet werden, Statt fin- den, als bey den Saftblumen. Hieraus wuͤrde, nach jener Vor- ſtellung, folgen, daß die Befruchtung bey den erſtern Blumen oͤfter fehlſchlagen muͤſſe, als dey den letztern, da jene nicht, wie dieſe, von den Inſekten beſucht werden. Hievon aber lehrt die Erfahrung grade das Gegentheil. Bey den ſaftleeren Blumen erfolgt die Befruchtung, wenn nicht ſicherer, doch allgemeiner, als bei den Saftblumen, wenigſtens bey verſchiedenen Arten der- ſelben. Die Urſach hievon iſt leicht einzuſehen. Denn wenn z. B. der Wind den Antherenſtaub maͤnnlicher Espen auf benachbarte weibliche Baͤume fuͤhret, ſo kann es bey der großen Menge Stau- bes, welche als eine Wolke auf die weiblichen Baͤume zum oͤftern faͤllt, nicht leicht geſchehen, daß eine merkliche Anzahl von Frucht- knoten nicht etwas von dieſem Staube erhalten, und dadurch be- fruchtet werden ſollte. Es kann aber manches Maͤrzveilchen ver- bluͤhen, ohne von einer Biene oder einem aͤhnlichen Inſekt einen Beſuch erhalten zu haben. Und alsdenn kann es keine Samen- kapſel anſetzen, weil es weder ſich ſelbſt befruchten, noch vom Winde befruchtet werden kann. In die mehreſten Blumen der gemeinen Oſterluzey kriechen kleine Fliegen hinein, und befruch- ten dieſelbe; in viele aber nicht. Dieſe koͤnnen auf keine Weiſe befruchtet werden. Durch den Wind geſchieht die Befruchtung der Blumen im Großen, durch die Inſekten im Einzelnen. Ein einziger Windſtoß, deſſen Direktion vom maͤnnlichen Baum nach dem weiblichen geht, kann in Einem Augenblick viel tauſend Bluͤ- ten befruchten; eine Biene hingegen kann auf einmal nur Eine Blume befruchten. Drittens haben die meiſten Zwitterblumen eine ſolche Struktur, daß ſie, auch im vollkommenſten Zuſtande ihrer Geſchlechtstheile, ſchlechterdings nicht anders befruchtet wer- den koͤnnen, als von den Blenen und andern Inſekten. Dieſes werde ich in der Folge durch ſo viel Beyſpiele, und auf eine ſolche Art beweiſen, daß auch der hartnaͤckigſte Zweifler nicht ferner daran wird zweifeln koͤnnen. Drittens endlich ſagt er, daß die Bienen die ſchaͤdlichen Wachs- und Honigausduͤnſtungen aus den Blumen der Wieſen und Weiden ſaugen; daher man in verſchiedenen Laͤndern bemerkt habe, daß die Viehweiden an ſolchen Orten, wo viel Bienen ge- halten werden, weit geſunder und nahrhafter fuͤr das Vieh, be- ſonders die Schafe, ſind, auch das Heu an ſolchen Orten wohl- riechender, kraͤftiger und geſunder ſey. Hier wird den Bienen ein Verdienſt um die Pflanzen zugeſchrieben, welches ihnen eben ſo wenig, als andern Inſekten, zukoͤmmt. Sie befoͤrdern die Befruchtung vieler Blumenarten, welche ohne ihre Beyhuͤlfe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/16
Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [16]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/16>, abgerufen am 23.11.2024.