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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Viola.
deren welk gewordene und nicht mehr dicht zusammenschließende
Staubgefäße das Mehl hatten herausfallen lassen. Ungefähr
14 Tage nach dem Ende der Blühezeit nahm ich die Gaze weg,
besahe die Blumen, und fand daß nicht eine einzige einen ver-
grösserten Fruchtknoten oder eine junge Samenkapsel hatte, da
doch die meisten von den übrigen in meinem Garten stehenden
Blumen mit schon ziemlich erwachsenen Kapseln versehen waren.
Diese Erfahrung ist ein unumstößlicher Beweis der Gewißheit
meiner Entdeckung.

Linne hat die sehr kleinen Nägel, vermittelst deren die Fi-
lamente an den Boden angewachsen sind, und welche man in
Fig. 1. und 17. bey a siehet, Filamente, und was ich Filamente
und Antheren nenne, Antheren genannt. Doch dies ist eine Klei-
nigkeit. Wichtiger aber ist Pollichs Irrthum, welcher die
Nägel der Filamente übersehen, die Filamente und die Antheren
für die Filamente, die häutigen Ansätze der Filamente aber für
die Antheren gehalten hat. Er hat zwar die Antheren gesehen,
aber nicht dafür gehalten. Denn von der Viola hirta sagt er,
die Filamente hätten auf ihrer inneren Seite Furchen, und
von der Viola odorata, die Filamente beständen aus zwey
Kammern. Jene Furchen aber und diese Kammern sind die
Antheren. Was ihn irre geführt hat, ist die oben angezeigte
ungewöhnliche Beschaffenheit des Staubes. Denn wenn er
die Antheren besahe, so fand er keinen Staub an denselben,
weil derselbe schon in den untersten Theil des Trichters herab-
gefallen war, oder gar, wenn die Blume von einer Biene
schon einen Besuch erhalten hatte, nicht mehr vorhanden war.
Er glarbte also, daß diese Furchen oder Kammern zu den Fi-
lamenten gehören, und weil die Filamente gewöhnlich die An-
theren auf ihrer Spitze zu tragen pflegen, so hielt er die häu-
tigen Ansätze der Filamente für die Antheren, ob sie gleich
nicht einmal das Ansehen von Antheren haben. Dieses kam
daher, daß er glaubte, die Natur schneide alles nach Einem
Leisten zu. Denn da gewöhnlich die Filamente die Antheren
auf ihrer Spitze tragen, so meinte er, daß es hier auch so
sey, und bedachte nicht, daß die Natur ihre wichtige Ursachen
gehabt haben könne, hier von ihrer Gewohnheit abzugehen,
und die Antheren nicht an das Ende, sondern an die Seite
der Filamente der Länge nach anzufügen.

Viola tricolor. Stiefmütterchen. Dreyfaltigkeitsblume.
Tab. XXI. 10. 12. 15. 16. 20.

20. Die vergrösserte Blume in natürlicher Stellung, von
vorne gesehen.

10. Dieselbe, von der Seite im Durchschnitt gesehen. Die
häutigen gelben Ansätze der Staubgefäße sind hier auch punktirt.

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Viola.

12. Das Pistill. Ueber dem Stigma ist das Stigma,
von unten gesehen, abgebildet.

15. Das in Fig. 20. linker Hand befindliche mittelste Kro-
nenblatt, von der Seite gesehen.

16. Das unterste mit dem Horn versehene Kronenblatt,
von vorne gesehen.

1--3. In Ansehung der Saftdrüsen, des Safthalters und
der Saftdecke hat diese Art mit der vorhergehenden eine gleiche
Einrichtung. Die Haare der mittelsten Kronenblätter sieht man
in Fig. 20. und noch deutlicher in Fig. 10. und 15. Außer-
dem aber hat auch das unterste Kronenblatt zwey Reihen von
Haaren. Diese fangen sich unmittelbar hinter der Stelle an,
wo das Stigma auf diesem Kronenblatt anliegt. Dies sieht
man in Fig. 16., wo das Kreuz diese Stelle andeutet.

In Fig. 15. sieht man, daß der haarichte Streif des mit-
telsten Kronenblatts sich nicht bis an den unteren Rand des-
selben, wohl aber bis an den oberen erstreckt, und daß dieser
obere Rand selbst mit Haaren besetzt ist. Vergleicht man hier-
mit Fig. 20., so sieht man die Ursache davon ein. So wie
das unterste Kronenblatt vor dem Eingang in das Horn oder
vor dem Stigma kahl ist, so mußten es auch die beiden mit-
telsten unterwärts seyn, damit der Eingang den Insekten nicht
gesperrt würde. Weiter hinauf aber und am oberen Rande
mußten sie des Regens wegen haaricht seyn, und zwar letzte-
res, weil die obersten Kronenblätter in einiger Entfernung hin-
ter den mittelsten stehen, folglich zwischen die oberen Ränder
der letzteren, wenn dieselben nicht mit Haaren besetzt wären,
leicht ein Regentropfen hindurchdringen könnte.

4. In derjenigen Varietät, welche in Fig. 20. abgezeich-
net ist, und zwar so, daß der Unterschied ihrer Farben ange-
deutet ist, sind die beiden obersten Kronenblätter purpurfarben,
die beiden mittelsten violett, und das unterste am Rande vio-
lett, in der Mitte aber blaßgelb. Die beiden mittelsten sind
unmittelbar vor ihrem haarichten Streif mit einigen schwarzen
Linien geziert, das unterste aber ist vor dem Eingange in das
Horn gelb (diese Farbe ist in der Figur punktirt) und mit meh-
reren und längeren schwarzen Linien geziert. Das Saftmaal
ist also auf den drey untersten Kronenblättern angebracht, weil
diese eigentlich den Eingang in den Safthalter bilden.

5. Fig. 12. zeiget, daß der Griffel zwar in Ansehung sei-
ner Basis dem Griffel der ersten Art ähnlich, in Ansehung
des Stigma aber von demselben ganz verschieden ist. Außer
der Gestalt unterscheidet sich das Stigma auch dadurch, daß
es auf dem untersten Kronenblatt anliegt, da in der vorherge-
henden Art jenes von diesem ziemlich weit entfernt ist. Dies

sieht

[Spaltenumbruch]

Viola.
deren welk gewordene und nicht mehr dicht zuſammenſchließende
Staubgefaͤße das Mehl hatten herausfallen laſſen. Ungefaͤhr
14 Tage nach dem Ende der Bluͤhezeit nahm ich die Gaze weg,
beſahe die Blumen, und fand daß nicht eine einzige einen ver-
groͤſſerten Fruchtknoten oder eine junge Samenkapſel hatte, da
doch die meiſten von den uͤbrigen in meinem Garten ſtehenden
Blumen mit ſchon ziemlich erwachſenen Kapſeln verſehen waren.
Dieſe Erfahrung iſt ein unumſtoͤßlicher Beweis der Gewißheit
meiner Entdeckung.

Linné hat die ſehr kleinen Naͤgel, vermittelſt deren die Fi-
lamente an den Boden angewachſen ſind, und welche man in
Fig. 1. und 17. bey a ſiehet, Filamente, und was ich Filamente
und Antheren nenne, Antheren genannt. Doch dies iſt eine Klei-
nigkeit. Wichtiger aber iſt Pollichs Irrthum, welcher die
Naͤgel der Filamente uͤberſehen, die Filamente und die Antheren
fuͤr die Filamente, die haͤutigen Anſaͤtze der Filamente aber fuͤr
die Antheren gehalten hat. Er hat zwar die Antheren geſehen,
aber nicht dafuͤr gehalten. Denn von der Viola hirta ſagt er,
die Filamente haͤtten auf ihrer inneren Seite Furchen, und
von der Viola odorata, die Filamente beſtaͤnden aus zwey
Kammern. Jene Furchen aber und dieſe Kammern ſind die
Antheren. Was ihn irre gefuͤhrt hat, iſt die oben angezeigte
ungewoͤhnliche Beſchaffenheit des Staubes. Denn wenn er
die Antheren beſahe, ſo fand er keinen Staub an denſelben,
weil derſelbe ſchon in den unterſten Theil des Trichters herab-
gefallen war, oder gar, wenn die Blume von einer Biene
ſchon einen Beſuch erhalten hatte, nicht mehr vorhanden war.
Er glarbte alſo, daß dieſe Furchen oder Kammern zu den Fi-
lamenten gehoͤren, und weil die Filamente gewoͤhnlich die An-
theren auf ihrer Spitze zu tragen pflegen, ſo hielt er die haͤu-
tigen Anſaͤtze der Filamente fuͤr die Antheren, ob ſie gleich
nicht einmal das Anſehen von Antheren haben. Dieſes kam
daher, daß er glaubte, die Natur ſchneide alles nach Einem
Leiſten zu. Denn da gewoͤhnlich die Filamente die Antheren
auf ihrer Spitze tragen, ſo meinte er, daß es hier auch ſo
ſey, und bedachte nicht, daß die Natur ihre wichtige Urſachen
gehabt haben koͤnne, hier von ihrer Gewohnheit abzugehen,
und die Antheren nicht an das Ende, ſondern an die Seite
der Filamente der Laͤnge nach anzufuͤgen.

Viola tricolor. Stiefmuͤtterchen. Dreyfaltigkeitsblume.
Tab. XXI. 10. 12. 15. 16. 20.

20. Die vergroͤſſerte Blume in natuͤrlicher Stellung, von
vorne geſehen.

10. Dieſelbe, von der Seite im Durchſchnitt geſehen. Die
haͤutigen gelben Anſaͤtze der Staubgefaͤße ſind hier auch punktirt.

[Spaltenumbruch]
Viola.

12. Das Piſtill. Ueber dem Stigma iſt das Stigma,
von unten geſehen, abgebildet.

15. Das in Fig. 20. linker Hand befindliche mittelſte Kro-
nenblatt, von der Seite geſehen.

16. Das unterſte mit dem Horn verſehene Kronenblatt,
von vorne geſehen.

1—3. In Anſehung der Saftdruͤſen, des Safthalters und
der Saftdecke hat dieſe Art mit der vorhergehenden eine gleiche
Einrichtung. Die Haare der mittelſten Kronenblaͤtter ſieht man
in Fig. 20. und noch deutlicher in Fig. 10. und 15. Außer-
dem aber hat auch das unterſte Kronenblatt zwey Reihen von
Haaren. Dieſe fangen ſich unmittelbar hinter der Stelle an,
wo das Stigma auf dieſem Kronenblatt anliegt. Dies ſieht
man in Fig. 16., wo das Kreuz dieſe Stelle andeutet.

In Fig. 15. ſieht man, daß der haarichte Streif des mit-
telſten Kronenblatts ſich nicht bis an den unteren Rand deſ-
ſelben, wohl aber bis an den oberen erſtreckt, und daß dieſer
obere Rand ſelbſt mit Haaren beſetzt iſt. Vergleicht man hier-
mit Fig. 20., ſo ſieht man die Urſache davon ein. So wie
das unterſte Kronenblatt vor dem Eingang in das Horn oder
vor dem Stigma kahl iſt, ſo mußten es auch die beiden mit-
telſten unterwaͤrts ſeyn, damit der Eingang den Inſekten nicht
geſperrt wuͤrde. Weiter hinauf aber und am oberen Rande
mußten ſie des Regens wegen haaricht ſeyn, und zwar letzte-
res, weil die oberſten Kronenblaͤtter in einiger Entfernung hin-
ter den mittelſten ſtehen, folglich zwiſchen die oberen Raͤnder
der letzteren, wenn dieſelben nicht mit Haaren beſetzt waͤren,
leicht ein Regentropfen hindurchdringen koͤnnte.

4. In derjenigen Varietaͤt, welche in Fig. 20. abgezeich-
net iſt, und zwar ſo, daß der Unterſchied ihrer Farben ange-
deutet iſt, ſind die beiden oberſten Kronenblaͤtter purpurfarben,
die beiden mittelſten violett, und das unterſte am Rande vio-
lett, in der Mitte aber blaßgelb. Die beiden mittelſten ſind
unmittelbar vor ihrem haarichten Streif mit einigen ſchwarzen
Linien geziert, das unterſte aber iſt vor dem Eingange in das
Horn gelb (dieſe Farbe iſt in der Figur punktirt) und mit meh-
reren und laͤngeren ſchwarzen Linien geziert. Das Saftmaal
iſt alſo auf den drey unterſten Kronenblaͤttern angebracht, weil
dieſe eigentlich den Eingang in den Safthalter bilden.

5. Fig. 12. zeiget, daß der Griffel zwar in Anſehung ſei-
ner Baſis dem Griffel der erſten Art aͤhnlich, in Anſehung
des Stigma aber von demſelben ganz verſchieden iſt. Außer
der Geſtalt unterſcheidet ſich das Stigma auch dadurch, daß
es auf dem unterſten Kronenblatt anliegt, da in der vorherge-
henden Art jenes von dieſem ziemlich weit entfernt iſt. Dies

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Er hat zwar die Antheren geſehen, aber nicht dafuͤr gehalten. Denn von der Viola hirta ſagt er, die Filamente haͤtten auf ihrer inneren Seite Furchen, und von der Viola odorata, die Filamente beſtaͤnden aus zwey Kammern. Jene Furchen aber und dieſe Kammern ſind die Antheren. Was ihn irre gefuͤhrt hat, iſt die oben angezeigte ungewoͤhnliche Beſchaffenheit des Staubes. Denn wenn er die Antheren beſahe, ſo fand er keinen Staub an denſelben, weil derſelbe ſchon in den unterſten Theil des Trichters herab- gefallen war, oder gar, wenn die Blume von einer Biene ſchon einen Beſuch erhalten hatte, nicht mehr vorhanden war. Er glarbte alſo, daß dieſe Furchen oder Kammern zu den Fi- lamenten gehoͤren, und weil die Filamente gewoͤhnlich die An- theren auf ihrer Spitze zu tragen pflegen, ſo hielt er die haͤu- tigen Anſaͤtze der Filamente fuͤr die Antheren, ob ſie gleich nicht einmal das Anſehen von Antheren haben. Dieſes kam daher, daß er glaubte, die Natur ſchneide alles nach Einem Leiſten zu. 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Die Haare der mittelſten Kronenblaͤtter ſieht man in Fig. 20. und noch deutlicher in Fig. 10. und 15. Außer- dem aber hat auch das unterſte Kronenblatt zwey Reihen von Haaren. Dieſe fangen ſich unmittelbar hinter der Stelle an, wo das Stigma auf dieſem Kronenblatt anliegt. Dies ſieht man in Fig. 16., wo das Kreuz dieſe Stelle andeutet. In Fig. 15. ſieht man, daß der haarichte Streif des mit- telſten Kronenblatts ſich nicht bis an den unteren Rand deſ- ſelben, wohl aber bis an den oberen erſtreckt, und daß dieſer obere Rand ſelbſt mit Haaren beſetzt iſt. Vergleicht man hier- mit Fig. 20., ſo ſieht man die Urſache davon ein. So wie das unterſte Kronenblatt vor dem Eingang in das Horn oder vor dem Stigma kahl iſt, ſo mußten es auch die beiden mit- telſten unterwaͤrts ſeyn, damit der Eingang den Inſekten nicht geſperrt wuͤrde. Weiter hinauf aber und am oberen Rande mußten ſie des Regens wegen haaricht ſeyn, und zwar letzte- res, weil die oberſten Kronenblaͤtter in einiger Entfernung hin- ter den mittelſten ſtehen, folglich zwiſchen die oberen Raͤnder der letzteren, wenn dieſelben nicht mit Haaren beſetzt waͤren, leicht ein Regentropfen hindurchdringen koͤnnte. 4. In derjenigen Varietaͤt, welche in Fig. 20. abgezeich- net iſt, und zwar ſo, daß der Unterſchied ihrer Farben ange- deutet iſt, ſind die beiden oberſten Kronenblaͤtter purpurfarben, die beiden mittelſten violett, und das unterſte am Rande vio- lett, in der Mitte aber blaßgelb. Die beiden mittelſten ſind unmittelbar vor ihrem haarichten Streif mit einigen ſchwarzen Linien geziert, das unterſte aber iſt vor dem Eingange in das Horn gelb (dieſe Farbe iſt in der Figur punktirt) und mit meh- reren und laͤngeren ſchwarzen Linien geziert. Das Saftmaal iſt alſo auf den drey unterſten Kronenblaͤttern angebracht, weil dieſe eigentlich den Eingang in den Safthalter bilden. 5. Fig. 12. zeiget, daß der Griffel zwar in Anſehung ſei- ner Baſis dem Griffel der erſten Art aͤhnlich, in Anſehung des Stigma aber von demſelben ganz verſchieden iſt. Außer der Geſtalt unterſcheidet ſich das Stigma auch dadurch, daß es auf dem unterſten Kronenblatt anliegt, da in der vorherge- henden Art jenes von dieſem ziemlich weit entfernt iſt. Dies ſieht

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [210]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/210>, abgerufen am 21.11.2024.