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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Ophrys.

5. Im Frühjahr des nächstvergangenen Jahrs fand ich in
der Heide vier Pflanzen beysammen, welche ich ausgrub, und in
meinen Garten verpflanzte, um in der Folge die Blumen mit
Bequemlichkeit beobachten zu können. In der letzten Hälfte des
Mays fingen sie an zu blühen. Als ich in der Mittagsstunde ei-
nes schönen warmen Tages die Pflanzen besahe, so fand ich auf
einer von denselben eine kleine Schlupfwespe, welche an ihrem
Kopf ein Staubkölbchenpaar sitzen hatte. Sie schien mit diesem
ungesuchten Kopfschmuck sehr unzufrieden zu seyn; denn sie gab
sich alle Mühe, denselben mit den Vorderbeinen abzustreifen,
wiewohl vergebens. Ich fing sie, um sie abzuzeichnen. Bald
darauf sahe ich ein ähnliches, aber grösseres Insekt auf einer an-
deren Pflanze, welches zwey Staubkölbchenpaare an seinem Kopf
sitzen hatte. Nun hatte ich ein großes Verlangen, es mit anzu-
sehen, auf welche Art ein solches Insekt zu diesem Kopfschmuck
käme. Am folgenden Tage also besahe ich wieder in der Mittags-
stunde bey gleicher Witterung meine Pflanzen, und fand auf den-
selben ein ähnliches Insekt. Es setzte sich jedesmal auf die Un-
terlippe einer Blume, und zwar so, daß es den untersten Theil
der Saftdrüse ablecken konnte. Dann kroch es nach und nach
immer weiter hinauf bis an das innerste oder oberste Ende der
Saftdrüse. War es nun so weit gekommen, so war es mit seinem
Kopf dem klebrichten Ende der Staubkölbchen, wenn Staubkölb-
chen vorhanden gewesen wären, so nahe, daß es nothwendig das-
selbe würde berührt haben. Nun befand es sich aber grade auf
den untersten älteren Blumen, aus welchen die Staubkölbchen
schon von andern Insekten waren abgeholt worden, da die ober-
sten jüngeren Blumen dieselben noch hatten. Weil es sich nun in
jeder Blume eine ziemlich lange Zeit aufhielt, und ich lange würde
haben warten müssen, bis es zu den obersten Blumen gekommen
wäre: so pflückte ich mit der Pincette eine von diesen ab, und
näherte dieselbe mit großer Behutsamkeit und ganz unbemerkt der-
jenigen Blume, auf welcher sich das Insekt befand, und zwar so,
daß ich demselben die Unterlippe jener Blume ganz nahe legte.
Nach einigen Augenblicken kroch es, wie ich es gewünscht hatte,
auf diese Unterlippe hinauf, und fing an die Saftdrüse auf die
angezeigte Art abzulecken. Nachdem es bis an das oberste Ende
der Saftdrüse gekrochen war, so berührte es mit seinem Kopf die
Staubkölbchen. Diese fuhren plötzlich aus ihrem Behältniß
heraus, und blieben an seinem Kopf kleben. Dieser Anblick ver-
ursachte mir ein unbeschreibliches Vergnügen. Das Insekt aber
schien über diesen Vorfall sehr bestürzt und ungehalten zu seyn.
Es ward sehr unruhig, verließ die Blume, und gab sich alle Mühe,
die Staubkölbchen wieder abzustreifen; welches ihm auch nach ei-
niger Zeit glückte.

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Ophrys.

Diese Erfahrung überzeugte mich völlig, daß ich mich in
meiner Vorstellung von der Art, wie die Orchisblumen von den
Insekten befruchtet werden, nicht irrte, und gab mir zugleich
Gelegenheit, die Ursache des eigenthümlichen Baues dieser Ophrys
einzusehen. Sie hat nemlich bloß deswegen eine so lange Unter-
lippe und auf derselben eine so lange und schmale Saftdrüse, da-
mit das Insekt sich bequem auf jene setze, und, wann es nun an-
gefangen hat die Saftdrüse zu belecken, und alsdann immer wei-
ter hinaufkriecht, es grade eine solche Stellung nehme, in wel-
cher, wann es an das oberste Ende der Saftdrüse gekommen ist,
es nothwendig mit dem Kopf das klebrichte Ende der Staubkölb-
chen berühren, und dieselben herausziehen muß. Die lange Saft-
drüse ist gleichsam ein Weg, welchen das Insekt freywillig und
gern nimmt, weil der Saft süß schmeckt, welcher aber dasselbe
endlich dahin bringt, daß es, es mag wollen oder nicht, die
Blume nothwendig befruchten muß. Denn wenn es auf solche
Art ein Staubkölbchenpaar aus einer Blume geholt hat, so muß
es dasselbe, wofern es ihm nicht etwa glückt, sich desselben wieder
zu entledigen, auf eine eben so nothwendige Art an das Stigma
dieser, oder einer anderen Blume wieder ankleben. Sobald es
nemlich an das Ende dieses Saftweges gekommen ist, so berührt
es mit den vorne an seinem Kopf hangenden Staubkölbchen das
Stigma. Dieses, weil es klebricht ist, hält dieselben fest, und
auf solche Art wird zugleich die Blume befruchtet, und das Insekt
seiner Bürde entledigt. Ich hatte ein großes Verlangen, auch
dieses zu sehen, und besahe deswegen zum öftern die Blumen.
Ich habe aber nie ein ähnliches Insekt auf denselben wieder ange-
troffen.

In der II. Figur ist das grössere von den zuerst genannten
Insekten in dem Augenblick abgebildet, da es das klebrichte Ende
der Staubkölbchen mit dem Kopf berührt. Auf eben diesem Blatt
neben Fig. VII. ist dasselbe mit den beiden Staubkölbchenpaaren
abgebildet, die es an seinem Kopf sitzen hat. Es ist eben so stark
vergrössert als die Blume. Zu dem zweyten Paar, welches nicht
unmittelbar an seinem Kopf, sondern an dem ersten haftet, war
es auf folgende Art gekommen. Nachdem es das erste Paar auf
die beschriebene Art aus einer Blume geholt hatte, so hätte es ei-
gentlich nach der Absicht der Natur sich auf eine solche Blume be-
geben sollen, welche ihre Staubkölbchen schon verloren hatte, um
dasselbe auf das Stigma derselben abzusetzen. Es hatte sich aber
zufälligerweise auf eine solche begeben, welche ihre Staubkölbchen
noch hatte. Indem es nun die Saftdrüse derselben ableckte, so
hingen ihm die Staubkölbchen vorne über dem Kopf. Als es bis
an das Ende derselben gekommen war, berührte es mit seinen
Staubkölbchen das klebrichte Ende der Staubkölbchen der Blume,

[Spaltenumbruch]
Ophrys.

5. Im Fruͤhjahr des naͤchſtvergangenen Jahrs fand ich in
der Heide vier Pflanzen beyſammen, welche ich ausgrub, und in
meinen Garten verpflanzte, um in der Folge die Blumen mit
Bequemlichkeit beobachten zu koͤnnen. In der letzten Haͤlfte des
Mays fingen ſie an zu bluͤhen. Als ich in der Mittagsſtunde ei-
nes ſchoͤnen warmen Tages die Pflanzen beſahe, ſo fand ich auf
einer von denſelben eine kleine Schlupfwespe, welche an ihrem
Kopf ein Staubkoͤlbchenpaar ſitzen hatte. Sie ſchien mit dieſem
ungeſuchten Kopfſchmuck ſehr unzufrieden zu ſeyn; denn ſie gab
ſich alle Muͤhe, denſelben mit den Vorderbeinen abzuſtreifen,
wiewohl vergebens. Ich fing ſie, um ſie abzuzeichnen. Bald
darauf ſahe ich ein aͤhnliches, aber groͤſſeres Inſekt auf einer an-
deren Pflanze, welches zwey Staubkoͤlbchenpaare an ſeinem Kopf
ſitzen hatte. Nun hatte ich ein großes Verlangen, es mit anzu-
ſehen, auf welche Art ein ſolches Inſekt zu dieſem Kopfſchmuck
kaͤme. Am folgenden Tage alſo beſahe ich wieder in der Mittags-
ſtunde bey gleicher Witterung meine Pflanzen, und fand auf den-
ſelben ein aͤhnliches Inſekt. Es ſetzte ſich jedesmal auf die Un-
terlippe einer Blume, und zwar ſo, daß es den unterſten Theil
der Saftdruͤſe ablecken konnte. Dann kroch es nach und nach
immer weiter hinauf bis an das innerſte oder oberſte Ende der
Saftdruͤſe. War es nun ſo weit gekommen, ſo war es mit ſeinem
Kopf dem klebrichten Ende der Staubkoͤlbchen, wenn Staubkoͤlb-
chen vorhanden geweſen waͤren, ſo nahe, daß es nothwendig daſ-
ſelbe wuͤrde beruͤhrt haben. Nun befand es ſich aber grade auf
den unterſten aͤlteren Blumen, aus welchen die Staubkoͤlbchen
ſchon von andern Inſekten waren abgeholt worden, da die ober-
ſten juͤngeren Blumen dieſelben noch hatten. Weil es ſich nun in
jeder Blume eine ziemlich lange Zeit aufhielt, und ich lange wuͤrde
haben warten muͤſſen, bis es zu den oberſten Blumen gekommen
waͤre: ſo pfluͤckte ich mit der Pincette eine von dieſen ab, und
naͤherte dieſelbe mit großer Behutſamkeit und ganz unbemerkt der-
jenigen Blume, auf welcher ſich das Inſekt befand, und zwar ſo,
daß ich demſelben die Unterlippe jener Blume ganz nahe legte.
Nach einigen Augenblicken kroch es, wie ich es gewuͤnſcht hatte,
auf dieſe Unterlippe hinauf, und fing an die Saftdruͤſe auf die
angezeigte Art abzulecken. Nachdem es bis an das oberſte Ende
der Saftdruͤſe gekrochen war, ſo beruͤhrte es mit ſeinem Kopf die
Staubkoͤlbchen. Dieſe fuhren ploͤtzlich aus ihrem Behaͤltniß
heraus, und blieben an ſeinem Kopf kleben. Dieſer Anblick ver-
urſachte mir ein unbeſchreibliches Vergnuͤgen. Das Inſekt aber
ſchien uͤber dieſen Vorfall ſehr beſtuͤrzt und ungehalten zu ſeyn.
Es ward ſehr unruhig, verließ die Blume, und gab ſich alle Muͤhe,
die Staubkoͤlbchen wieder abzuſtreifen; welches ihm auch nach ei-
niger Zeit gluͤckte.

[Spaltenumbruch]
Ophrys.

Dieſe Erfahrung uͤberzeugte mich voͤllig, daß ich mich in
meiner Vorſtellung von der Art, wie die Orchisblumen von den
Inſekten befruchtet werden, nicht irrte, und gab mir zugleich
Gelegenheit, die Urſache des eigenthuͤmlichen Baues dieſer Ophrys
einzuſehen. Sie hat nemlich bloß deswegen eine ſo lange Unter-
lippe und auf derſelben eine ſo lange und ſchmale Saftdruͤſe, da-
mit das Inſekt ſich bequem auf jene ſetze, und, wann es nun an-
gefangen hat die Saftdruͤſe zu belecken, und alsdann immer wei-
ter hinaufkriecht, es grade eine ſolche Stellung nehme, in wel-
cher, wann es an das oberſte Ende der Saftdruͤſe gekommen iſt,
es nothwendig mit dem Kopf das klebrichte Ende der Staubkoͤlb-
chen beruͤhren, und dieſelben herausziehen muß. Die lange Saft-
druͤſe iſt gleichſam ein Weg, welchen das Inſekt freywillig und
gern nimmt, weil der Saft ſuͤß ſchmeckt, welcher aber daſſelbe
endlich dahin bringt, daß es, es mag wollen oder nicht, die
Blume nothwendig befruchten muß. Denn wenn es auf ſolche
Art ein Staubkoͤlbchenpaar aus einer Blume geholt hat, ſo muß
es daſſelbe, wofern es ihm nicht etwa gluͤckt, ſich deſſelben wieder
zu entledigen, auf eine eben ſo nothwendige Art an das Stigma
dieſer, oder einer anderen Blume wieder ankleben. Sobald es
nemlich an das Ende dieſes Saftweges gekommen iſt, ſo beruͤhrt
es mit den vorne an ſeinem Kopf hangenden Staubkoͤlbchen das
Stigma. Dieſes, weil es klebricht iſt, haͤlt dieſelben feſt, und
auf ſolche Art wird zugleich die Blume befruchtet, und das Inſekt
ſeiner Buͤrde entledigt. Ich hatte ein großes Verlangen, auch
dieſes zu ſehen, und beſahe deswegen zum oͤftern die Blumen.
Ich habe aber nie ein aͤhnliches Inſekt auf denſelben wieder ange-
troffen.

In der II. Figur iſt das groͤſſere von den zuerſt genannten
Inſekten in dem Augenblick abgebildet, da es das klebrichte Ende
der Staubkoͤlbchen mit dem Kopf beruͤhrt. Auf eben dieſem Blatt
neben Fig. VII. iſt daſſelbe mit den beiden Staubkoͤlbchenpaaren
abgebildet, die es an ſeinem Kopf ſitzen hat. Es iſt eben ſo ſtark
vergroͤſſert als die Blume. Zu dem zweyten Paar, welches nicht
unmittelbar an ſeinem Kopf, ſondern an dem erſten haftet, war
es auf folgende Art gekommen. Nachdem es das erſte Paar auf
die beſchriebene Art aus einer Blume geholt hatte, ſo haͤtte es ei-
gentlich nach der Abſicht der Natur ſich auf eine ſolche Blume be-
geben ſollen, welche ihre Staubkoͤlbchen ſchon verloren hatte, um
daſſelbe auf das Stigma derſelben abzuſetzen. Es hatte ſich aber
zufaͤlligerweiſe auf eine ſolche begeben, welche ihre Staubkoͤlbchen
noch hatte. Indem es nun die Saftdruͤſe derſelben ableckte, ſo
hingen ihm die Staubkoͤlbchen vorne uͤber dem Kopf. Als es bis
an das Ende derſelben gekommen war, beruͤhrte es mit ſeinen
Staubkoͤlbchen das klebrichte Ende der Staubkoͤlbchen der Blume,

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[[216]/0216] Ophrys. Ophrys. 5. Im Fruͤhjahr des naͤchſtvergangenen Jahrs fand ich in der Heide vier Pflanzen beyſammen, welche ich ausgrub, und in meinen Garten verpflanzte, um in der Folge die Blumen mit Bequemlichkeit beobachten zu koͤnnen. In der letzten Haͤlfte des Mays fingen ſie an zu bluͤhen. Als ich in der Mittagsſtunde ei- nes ſchoͤnen warmen Tages die Pflanzen beſahe, ſo fand ich auf einer von denſelben eine kleine Schlupfwespe, welche an ihrem Kopf ein Staubkoͤlbchenpaar ſitzen hatte. Sie ſchien mit dieſem ungeſuchten Kopfſchmuck ſehr unzufrieden zu ſeyn; denn ſie gab ſich alle Muͤhe, denſelben mit den Vorderbeinen abzuſtreifen, wiewohl vergebens. Ich fing ſie, um ſie abzuzeichnen. Bald darauf ſahe ich ein aͤhnliches, aber groͤſſeres Inſekt auf einer an- deren Pflanze, welches zwey Staubkoͤlbchenpaare an ſeinem Kopf ſitzen hatte. Nun hatte ich ein großes Verlangen, es mit anzu- ſehen, auf welche Art ein ſolches Inſekt zu dieſem Kopfſchmuck kaͤme. Am folgenden Tage alſo beſahe ich wieder in der Mittags- ſtunde bey gleicher Witterung meine Pflanzen, und fand auf den- ſelben ein aͤhnliches Inſekt. Es ſetzte ſich jedesmal auf die Un- terlippe einer Blume, und zwar ſo, daß es den unterſten Theil der Saftdruͤſe ablecken konnte. Dann kroch es nach und nach immer weiter hinauf bis an das innerſte oder oberſte Ende der Saftdruͤſe. War es nun ſo weit gekommen, ſo war es mit ſeinem Kopf dem klebrichten Ende der Staubkoͤlbchen, wenn Staubkoͤlb- chen vorhanden geweſen waͤren, ſo nahe, daß es nothwendig daſ- ſelbe wuͤrde beruͤhrt haben. Nun befand es ſich aber grade auf den unterſten aͤlteren Blumen, aus welchen die Staubkoͤlbchen ſchon von andern Inſekten waren abgeholt worden, da die ober- ſten juͤngeren Blumen dieſelben noch hatten. Weil es ſich nun in jeder Blume eine ziemlich lange Zeit aufhielt, und ich lange wuͤrde haben warten muͤſſen, bis es zu den oberſten Blumen gekommen waͤre: ſo pfluͤckte ich mit der Pincette eine von dieſen ab, und naͤherte dieſelbe mit großer Behutſamkeit und ganz unbemerkt der- jenigen Blume, auf welcher ſich das Inſekt befand, und zwar ſo, daß ich demſelben die Unterlippe jener Blume ganz nahe legte. Nach einigen Augenblicken kroch es, wie ich es gewuͤnſcht hatte, auf dieſe Unterlippe hinauf, und fing an die Saftdruͤſe auf die angezeigte Art abzulecken. Nachdem es bis an das oberſte Ende der Saftdruͤſe gekrochen war, ſo beruͤhrte es mit ſeinem Kopf die Staubkoͤlbchen. Dieſe fuhren ploͤtzlich aus ihrem Behaͤltniß heraus, und blieben an ſeinem Kopf kleben. Dieſer Anblick ver- urſachte mir ein unbeſchreibliches Vergnuͤgen. Das Inſekt aber ſchien uͤber dieſen Vorfall ſehr beſtuͤrzt und ungehalten zu ſeyn. Es ward ſehr unruhig, verließ die Blume, und gab ſich alle Muͤhe, die Staubkoͤlbchen wieder abzuſtreifen; welches ihm auch nach ei- niger Zeit gluͤckte. Dieſe Erfahrung uͤberzeugte mich voͤllig, daß ich mich in meiner Vorſtellung von der Art, wie die Orchisblumen von den Inſekten befruchtet werden, nicht irrte, und gab mir zugleich Gelegenheit, die Urſache des eigenthuͤmlichen Baues dieſer Ophrys einzuſehen. Sie hat nemlich bloß deswegen eine ſo lange Unter- lippe und auf derſelben eine ſo lange und ſchmale Saftdruͤſe, da- mit das Inſekt ſich bequem auf jene ſetze, und, wann es nun an- gefangen hat die Saftdruͤſe zu belecken, und alsdann immer wei- ter hinaufkriecht, es grade eine ſolche Stellung nehme, in wel- cher, wann es an das oberſte Ende der Saftdruͤſe gekommen iſt, es nothwendig mit dem Kopf das klebrichte Ende der Staubkoͤlb- chen beruͤhren, und dieſelben herausziehen muß. Die lange Saft- druͤſe iſt gleichſam ein Weg, welchen das Inſekt freywillig und gern nimmt, weil der Saft ſuͤß ſchmeckt, welcher aber daſſelbe endlich dahin bringt, daß es, es mag wollen oder nicht, die Blume nothwendig befruchten muß. Denn wenn es auf ſolche Art ein Staubkoͤlbchenpaar aus einer Blume geholt hat, ſo muß es daſſelbe, wofern es ihm nicht etwa gluͤckt, ſich deſſelben wieder zu entledigen, auf eine eben ſo nothwendige Art an das Stigma dieſer, oder einer anderen Blume wieder ankleben. Sobald es nemlich an das Ende dieſes Saftweges gekommen iſt, ſo beruͤhrt es mit den vorne an ſeinem Kopf hangenden Staubkoͤlbchen das Stigma. Dieſes, weil es klebricht iſt, haͤlt dieſelben feſt, und auf ſolche Art wird zugleich die Blume befruchtet, und das Inſekt ſeiner Buͤrde entledigt. Ich hatte ein großes Verlangen, auch dieſes zu ſehen, und beſahe deswegen zum oͤftern die Blumen. Ich habe aber nie ein aͤhnliches Inſekt auf denſelben wieder ange- troffen. In der II. Figur iſt das groͤſſere von den zuerſt genannten Inſekten in dem Augenblick abgebildet, da es das klebrichte Ende der Staubkoͤlbchen mit dem Kopf beruͤhrt. Auf eben dieſem Blatt neben Fig. VII. iſt daſſelbe mit den beiden Staubkoͤlbchenpaaren abgebildet, die es an ſeinem Kopf ſitzen hat. Es iſt eben ſo ſtark vergroͤſſert als die Blume. Zu dem zweyten Paar, welches nicht unmittelbar an ſeinem Kopf, ſondern an dem erſten haftet, war es auf folgende Art gekommen. Nachdem es das erſte Paar auf die beſchriebene Art aus einer Blume geholt hatte, ſo haͤtte es ei- gentlich nach der Abſicht der Natur ſich auf eine ſolche Blume be- geben ſollen, welche ihre Staubkoͤlbchen ſchon verloren hatte, um daſſelbe auf das Stigma derſelben abzuſetzen. Es hatte ſich aber zufaͤlligerweiſe auf eine ſolche begeben, welche ihre Staubkoͤlbchen noch hatte. Indem es nun die Saftdruͤſe derſelben ableckte, ſo hingen ihm die Staubkoͤlbchen vorne uͤber dem Kopf. Als es bis an das Ende derſelben gekommen war, beruͤhrte es mit ſeinen Staubkoͤlbchen das klebrichte Ende der Staubkoͤlbchen der Blume,

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [216]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/216>, abgerufen am 21.11.2024.