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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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"Keine", sagte Heidi.

"Wie? Was? Wie hast du denn lesen gelernt?" fragte
die Dame weiter.

"Das hab' ich nicht gelernt und der Peter auch nicht",
berichtete Heidi.

"Barmherzigkeit! du kannst nicht lesen? du kannst wirk¬
lich nicht lesen!" rief Fräulein Rottenmeier im höchsten
Schrecken aus. "Ist es die Möglichkeit, nicht lesen! Was
hast du denn aber gelernt?"

"Nichts", sagte Heidi der Wahrheit gemäß.

"Jungfer Dete", sagte Fräulein Rottenmeier nach einigen
Minuten, in denen sie nach Fassung rang; "es ist Alles nicht
nach Abrede, wie konnten Sie mir dieses Wesen zuführen?"
Aber die Dete ließ sich nicht so bald einschüchtern; sie ant¬
wortete herzhaft: "Mit Erlaubniß der Dame, das Kind ist
gerade, was ich dachte, daß sie haben wolle; die Dame hat
mir beschrieben, wie es sein müsse, so ganz apart und nicht
wie die andern, und so mußte ich das kleine nehmen, denn
die größeren sind bei uns dann nicht mehr so apart, und
ich dachte, dieses passe wie gemacht auf die Beschreibung.
Jetzt muß ich aber gehen, denn meine Herrschaft erwartet
mich, ich will, wenn's meine Herrschaft erlaubt, bald wieder
kommen und nachsehen, wie es geht mit ihm." Mit einem
Knix war die Dete zur Thür hinaus und die Treppe
hinunter mit schnellen Schritten. Fräulein Rottenmeier
stand einen Augenblick noch da; dann lief sie der Dete nach,

„Keine“, ſagte Heidi.

„Wie? Was? Wie haſt du denn leſen gelernt?“ fragte
die Dame weiter.

„Das hab' ich nicht gelernt und der Peter auch nicht“,
berichtete Heidi.

„Barmherzigkeit! du kannſt nicht leſen? du kannſt wirk¬
lich nicht leſen!“ rief Fräulein Rottenmeier im höchſten
Schrecken aus. „Iſt es die Möglichkeit, nicht leſen! Was
haſt du denn aber gelernt?“

„Nichts“, ſagte Heidi der Wahrheit gemäß.

„Jungfer Dete“, ſagte Fräulein Rottenmeier nach einigen
Minuten, in denen ſie nach Faſſung rang; „es iſt Alles nicht
nach Abrede, wie konnten Sie mir dieſes Weſen zuführen?“
Aber die Dete ließ ſich nicht ſo bald einſchüchtern; ſie ant¬
wortete herzhaft: „Mit Erlaubniß der Dame, das Kind iſt
gerade, was ich dachte, daß ſie haben wolle; die Dame hat
mir beſchrieben, wie es ſein müſſe, ſo ganz apart und nicht
wie die andern, und ſo mußte ich das kleine nehmen, denn
die größeren ſind bei uns dann nicht mehr ſo apart, und
ich dachte, dieſes paſſe wie gemacht auf die Beſchreibung.
Jetzt muß ich aber gehen, denn meine Herrſchaft erwartet
mich, ich will, wenn's meine Herrſchaft erlaubt, bald wieder
kommen und nachſehen, wie es geht mit ihm.“ Mit einem
Knix war die Dete zur Thür hinaus und die Treppe
hinunter mit ſchnellen Schritten. Fräulein Rottenmeier
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[94/0104] „Keine“, ſagte Heidi. „Wie? Was? Wie haſt du denn leſen gelernt?“ fragte die Dame weiter. „Das hab' ich nicht gelernt und der Peter auch nicht“, berichtete Heidi. „Barmherzigkeit! du kannſt nicht leſen? du kannſt wirk¬ lich nicht leſen!“ rief Fräulein Rottenmeier im höchſten Schrecken aus. „Iſt es die Möglichkeit, nicht leſen! Was haſt du denn aber gelernt?“ „Nichts“, ſagte Heidi der Wahrheit gemäß. „Jungfer Dete“, ſagte Fräulein Rottenmeier nach einigen Minuten, in denen ſie nach Faſſung rang; „es iſt Alles nicht nach Abrede, wie konnten Sie mir dieſes Weſen zuführen?“ Aber die Dete ließ ſich nicht ſo bald einſchüchtern; ſie ant¬ wortete herzhaft: „Mit Erlaubniß der Dame, das Kind iſt gerade, was ich dachte, daß ſie haben wolle; die Dame hat mir beſchrieben, wie es ſein müſſe, ſo ganz apart und nicht wie die andern, und ſo mußte ich das kleine nehmen, denn die größeren ſind bei uns dann nicht mehr ſo apart, und ich dachte, dieſes paſſe wie gemacht auf die Beſchreibung. Jetzt muß ich aber gehen, denn meine Herrſchaft erwartet mich, ich will, wenn's meine Herrſchaft erlaubt, bald wieder kommen und nachſehen, wie es geht mit ihm.“ Mit einem Knix war die Dete zur Thür hinaus und die Treppe hinunter mit ſchnellen Schritten. Fräulein Rottenmeier ſtand einen Augenblick noch da; dann lief ſie der Dete nach,

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/104>, abgerufen am 23.11.2024.