bastian's Grimasse wurde sehr bedenklich, und die Schüssel in seinen Händen fing an gefährlich zu zittern.
"Er kann die Schüssel auf den Tisch setzen und nachher wiederkommen", sagte jetzt Fräulein Rottenmeier mit strengem Gesicht. Sebastian verschwand sogleich. "Dir, Adelheid, muß ich überall die ersten Begriffe beibringen, das sehe ich", fuhr Fräulein Rottenmeier mit tiefem Seufzer fort. "Vor Allem will ich dir zeigen, wie man sich am Tische bedient", und nun machte die Dame deutlich und eingehend Alles vor, was Heidi zu thun hatte. "Dann", fuhr sie weiter, "muß ich dir hauptsächlich bemerken, daß du am Tisch nicht mit Sebastian zu sprechen hast, auch sonst nur dann, wenn du einen Auftrag oder eine nothwendige Frage an ihn zu richten hast; dann aber nennst du ihn nie mehr anders, als Sie oder Er, hörst du? daß ich dich niemals mehr ihn anders nennen höre! Auch Tinette nennst du Sie, Jungfer Ti¬ nette. Mich nennst du so, wie du mich von Allen nennen hörst; wie du Klara nennen sollst, wird sie selbst bestimmen."
"Natürlich Klara", sagte diese. Nun folgte aber noch eine Menge von Verhaltungsmaßregeln, über Aufstehn und Zubettegehn, über Hereintreten und Hinausgehn, über Ord¬ nunghalten, Thürenschließen, und über alledem fielen dem Heidi die Augen zu, denn es war heute vor fünf Uhr auf¬ gestanden, und hatte eine lange Reise gemacht. Es lehnte sich an den Sesselrücken und schlief ein. Als dann nach längerer Zeit Fräulein Rottenmeier zu Ende gekommen war
baſtian's Grimaſſe wurde ſehr bedenklich, und die Schüſſel in ſeinen Händen fing an gefährlich zu zittern.
„Er kann die Schüſſel auf den Tiſch ſetzen und nachher wiederkommen“, ſagte jetzt Fräulein Rottenmeier mit ſtrengem Geſicht. Sebaſtian verſchwand ſogleich. „Dir, Adelheid, muß ich überall die erſten Begriffe beibringen, das ſehe ich“, fuhr Fräulein Rottenmeier mit tiefem Seufzer fort. „Vor Allem will ich dir zeigen, wie man ſich am Tiſche bedient“, und nun machte die Dame deutlich und eingehend Alles vor, was Heidi zu thun hatte. „Dann“, fuhr ſie weiter, „muß ich dir hauptſächlich bemerken, daß du am Tiſch nicht mit Sebaſtian zu ſprechen haſt, auch ſonſt nur dann, wenn du einen Auftrag oder eine nothwendige Frage an ihn zu richten haſt; dann aber nennſt du ihn nie mehr anders, als Sie oder Er, hörſt du? daß ich dich niemals mehr ihn anders nennen höre! Auch Tinette nennſt du Sie, Jungfer Ti¬ nette. Mich nennſt du ſo, wie du mich von Allen nennen hörſt; wie du Klara nennen ſollſt, wird ſie ſelbſt beſtimmen.“
„Natürlich Klara“, ſagte dieſe. Nun folgte aber noch eine Menge von Verhaltungsmaßregeln, über Aufſtehn und Zubettegehn, über Hereintreten und Hinausgehn, über Ord¬ nunghalten, Thürenſchließen, und über alledem fielen dem Heidi die Augen zu, denn es war heute vor fünf Uhr auf¬ geſtanden, und hatte eine lange Reiſe gemacht. Es lehnte ſich an den Seſſelrücken und ſchlief ein. Als dann nach längerer Zeit Fräulein Rottenmeier zu Ende gekommen war
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baſtian's Grimaſſe wurde ſehr bedenklich, und die Schüſſel
in ſeinen Händen fing an gefährlich zu zittern.
„Er kann die Schüſſel auf den Tiſch ſetzen und nachher
wiederkommen“, ſagte jetzt Fräulein Rottenmeier mit ſtrengem
Geſicht. Sebaſtian verſchwand ſogleich. „Dir, Adelheid,
muß ich überall die erſten Begriffe beibringen, das ſehe ich“,
fuhr Fräulein Rottenmeier mit tiefem Seufzer fort. „Vor
Allem will ich dir zeigen, wie man ſich am Tiſche bedient“,
und nun machte die Dame deutlich und eingehend Alles vor,
was Heidi zu thun hatte. „Dann“, fuhr ſie weiter, „muß
ich dir hauptſächlich bemerken, daß du am Tiſch nicht mit
Sebaſtian zu ſprechen haſt, auch ſonſt nur dann, wenn du
einen Auftrag oder eine nothwendige Frage an ihn zu richten
haſt; dann aber nennſt du ihn nie mehr anders, als Sie
oder Er, hörſt du? daß ich dich niemals mehr ihn anders
nennen höre! Auch Tinette nennſt du Sie, Jungfer Ti¬
nette. Mich nennſt du ſo, wie du mich von Allen nennen
hörſt; wie du Klara nennen ſollſt, wird ſie ſelbſt beſtimmen.“
„Natürlich Klara“, ſagte dieſe. Nun folgte aber noch
eine Menge von Verhaltungsmaßregeln, über Aufſtehn und
Zubettegehn, über Hereintreten und Hinausgehn, über Ord¬
nunghalten, Thürenſchließen, und über alledem fielen dem
Heidi die Augen zu, denn es war heute vor fünf Uhr auf¬
geſtanden, und hatte eine lange Reiſe gemacht. Es lehnte
ſich an den Seſſelrücken und ſchlief ein. Als dann nach
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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/110>, abgerufen am 26.06.2024.
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