du's nicht wieder", sagte Fräulein Rottenmeier auf den Boden zeigend; "zum Lernen sitzt man still auf seinem Sessel und gibt Acht. Kannst du das nicht selbst fertig bringen, so muß ich dich an deinen Stuhl festbinden. Kannst du das verstehen?"
"Ja", entgegnete Heidi, "aber ich will schon fest¬ sitzen." Denn jetzt hatte es begriffen, daß es eine Regel ist, in einer Unterrichtsstunde still zu sitzen.
Jetzt mußten Sebastian und Tinette hereinkommen, um die Ordnung wieder herzustellen. Der Herr Candidat ent¬ fernte sich, denn der weitere Unterricht mußte nun aufge¬ geben werden. Zum Gähnen war heute gar keine Zeit ge¬ wesen.
Am Nachmittag mußte Klara immer eine Zeit lang ruhen und Heidi hatte alsdann seine Beschäftigung selbst zu wählen; so hatte Fräulein Rottenmeier ihm am Morgen erklärt. Als nun nach Tisch Klara sich in ihrem Sessel zur Ruhe gelegt hatte, ging Fräulein Rottenmeier nach ihrem Zimmer, und Heidi sah, daß nun die Zeit da war, da es seine Beschäftigung selbst wählen konnte. Das war dem Heidi sehr erwünscht, denn es hatte schon immer im Sinn, Etwas zu unternehmen; es mußte aber Hülfe dazu haben und stellte sich darum vor das Eßzimmer mitten auf den Corridor, damit die Persönlichkeit, die es zu berathen gedachte, ihm nicht entgehen könne. Richtig, nach kurzer Zeit kam Sebastian die Treppe herauf mit dem großen
du's nicht wieder“, ſagte Fräulein Rottenmeier auf den Boden zeigend; „zum Lernen ſitzt man ſtill auf ſeinem Seſſel und gibt Acht. Kannſt du das nicht ſelbſt fertig bringen, ſo muß ich dich an deinen Stuhl feſtbinden. Kannſt du das verſtehen?“
„Ja“, entgegnete Heidi, „aber ich will ſchon feſt¬ ſitzen.“ Denn jetzt hatte es begriffen, daß es eine Regel iſt, in einer Unterrichtsſtunde ſtill zu ſitzen.
Jetzt mußten Sebaſtian und Tinette hereinkommen, um die Ordnung wieder herzuſtellen. Der Herr Candidat ent¬ fernte ſich, denn der weitere Unterricht mußte nun aufge¬ geben werden. Zum Gähnen war heute gar keine Zeit ge¬ weſen.
Am Nachmittag mußte Klara immer eine Zeit lang ruhen und Heidi hatte alsdann ſeine Beſchäftigung ſelbſt zu wählen; ſo hatte Fräulein Rottenmeier ihm am Morgen erklärt. Als nun nach Tiſch Klara ſich in ihrem Seſſel zur Ruhe gelegt hatte, ging Fräulein Rottenmeier nach ihrem Zimmer, und Heidi ſah, daß nun die Zeit da war, da es ſeine Beſchäftigung ſelbſt wählen konnte. Das war dem Heidi ſehr erwünſcht, denn es hatte ſchon immer im Sinn, Etwas zu unternehmen; es mußte aber Hülfe dazu haben und ſtellte ſich darum vor das Eßzimmer mitten auf den Corridor, damit die Perſönlichkeit, die es zu berathen gedachte, ihm nicht entgehen könne. Richtig, nach kurzer Zeit kam Sebaſtian die Treppe herauf mit dem großen
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du's nicht wieder“, ſagte Fräulein Rottenmeier auf den
Boden zeigend; „zum Lernen ſitzt man ſtill auf ſeinem
Seſſel und gibt Acht. Kannſt du das nicht ſelbſt fertig
bringen, ſo muß ich dich an deinen Stuhl feſtbinden. Kannſt
du das verſtehen?“
„Ja“, entgegnete Heidi, „aber ich will ſchon feſt¬
ſitzen.“ Denn jetzt hatte es begriffen, daß es eine Regel
iſt, in einer Unterrichtsſtunde ſtill zu ſitzen.
Jetzt mußten Sebaſtian und Tinette hereinkommen, um
die Ordnung wieder herzuſtellen. Der Herr Candidat ent¬
fernte ſich, denn der weitere Unterricht mußte nun aufge¬
geben werden. Zum Gähnen war heute gar keine Zeit ge¬
weſen.
Am Nachmittag mußte Klara immer eine Zeit lang
ruhen und Heidi hatte alsdann ſeine Beſchäftigung ſelbſt
zu wählen; ſo hatte Fräulein Rottenmeier ihm am Morgen
erklärt. Als nun nach Tiſch Klara ſich in ihrem Seſſel
zur Ruhe gelegt hatte, ging Fräulein Rottenmeier nach
ihrem Zimmer, und Heidi ſah, daß nun die Zeit da war,
da es ſeine Beſchäftigung ſelbſt wählen konnte. Das war
dem Heidi ſehr erwünſcht, denn es hatte ſchon immer im
Sinn, Etwas zu unternehmen; es mußte aber Hülfe dazu
haben und ſtellte ſich darum vor das Eßzimmer mitten auf
den Corridor, damit die Perſönlichkeit, die es zu berathen
gedachte, ihm nicht entgehen könne. Richtig, nach kurzer
Zeit kam Sebaſtian die Treppe herauf mit dem großen
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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/120>, abgerufen am 26.06.2024.
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