Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.Heidi hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört, und "Jetzt wird's kommen und gar nicht lang wird's Seit dem Tage, da Heidi hatte heimgehen wollen und Heidi hatte mit geſpannter Aufmerkſamkeit zugehört, und „Jetzt wird's kommen und gar nicht lang wird's Seit dem Tage, da Heidi hatte heimgehen wollen und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0168" n="158"/> <p>Heidi hatte mit geſpannter Aufmerkſamkeit zugehört, und<lb/> mit leuchtenden Augen ſagte es jetzt, tief Athem holend:<lb/> „O, wenn ich nur ſchon leſen könnte!“</p><lb/> <p>„Jetzt wird's kommen und gar nicht lang wird's<lb/> währen, das kann ich ſchon ſehn, Heidi, und nun<lb/> müſſen wir 'mal nach der Klara ſehn, komm', die ſchönen<lb/> Bücher nehmen wir mit.“ Damit nahm die Großmama<lb/> Heidi bei der Hand und ging mit ihm nach dem Studier¬<lb/> zimmer. —</p><lb/> <p>Seit dem Tage, da Heidi hatte heimgehen wollen und<lb/> Fräulein Rottenmeier es auf der Treppe ausgeſcholten und<lb/> ihm geſagt hatte, wie ſchlecht und undankbar es ſich erweiſe<lb/> durch ſein Fortlaufenwollen und wie gut es ſei, daß Herr<lb/> Seſemann Nichts davon wiſſe, war mit dem Kinde eine<lb/> Veränderung vorgegangen. Es hatte begriffen, daß es nicht<lb/> heimgehen könne, wenn es wolle, wie ihm die Baſe geſagt<lb/> hatte, ſondern daß es in Frankfurt zu bleiben habe, lange,<lb/> lange, vielleicht für immer. Es hatte auch verſtanden, daß<lb/> Herr Seſemann es ſehr undankbar von ihm finden würde,<lb/> wenn es heimgehen wollte, und es dachte ſich aus, daß die<lb/> Großmama und Klara auch ſo denken würden. So durfte<lb/> es keinem Menſchen ſagen, daß es heimgehen möchte, denn<lb/> daß die Großmama, die ſo freundlich mit ihm war, auch<lb/> böſe würde, wie Fräulein Rottenmeier geworden war, das<lb/> wollte Heidi nicht verurſachen. Aber in ſeinem Herzen wurde<lb/> die Laſt, die darinnen lag, immer ſchwerer; es konnte nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [158/0168]
Heidi hatte mit geſpannter Aufmerkſamkeit zugehört, und
mit leuchtenden Augen ſagte es jetzt, tief Athem holend:
„O, wenn ich nur ſchon leſen könnte!“
„Jetzt wird's kommen und gar nicht lang wird's
währen, das kann ich ſchon ſehn, Heidi, und nun
müſſen wir 'mal nach der Klara ſehn, komm', die ſchönen
Bücher nehmen wir mit.“ Damit nahm die Großmama
Heidi bei der Hand und ging mit ihm nach dem Studier¬
zimmer. —
Seit dem Tage, da Heidi hatte heimgehen wollen und
Fräulein Rottenmeier es auf der Treppe ausgeſcholten und
ihm geſagt hatte, wie ſchlecht und undankbar es ſich erweiſe
durch ſein Fortlaufenwollen und wie gut es ſei, daß Herr
Seſemann Nichts davon wiſſe, war mit dem Kinde eine
Veränderung vorgegangen. Es hatte begriffen, daß es nicht
heimgehen könne, wenn es wolle, wie ihm die Baſe geſagt
hatte, ſondern daß es in Frankfurt zu bleiben habe, lange,
lange, vielleicht für immer. Es hatte auch verſtanden, daß
Herr Seſemann es ſehr undankbar von ihm finden würde,
wenn es heimgehen wollte, und es dachte ſich aus, daß die
Großmama und Klara auch ſo denken würden. So durfte
es keinem Menſchen ſagen, daß es heimgehen möchte, denn
daß die Großmama, die ſo freundlich mit ihm war, auch
böſe würde, wie Fräulein Rottenmeier geworden war, das
wollte Heidi nicht verurſachen. Aber in ſeinem Herzen wurde
die Laſt, die darinnen lag, immer ſchwerer; es konnte nicht
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